„Das Höchste, Beste und Schönste für einen Musiker“

Ein Gespräch mit dem Dirigenten der Kronstädter Philharmonie, Cristian Oroşanu

Cristian Oroşanu während des Gesprächs
Foto: der Verfasser

Die bekannte Redewendung, dass jeder Soldat im Tornister einen Marschallsstab trägt, wird allgemein Kaiser Napoleon Bonaparte zugeschrieben. Ob er diese Worte benutzt hat oder nicht ist nicht Gegenstand dieses Beitrags, denn belegt ist als einzige gesicherte Quelle eine Ansprache von König Ludwig dem XVIII., der vor den angehenden Offizieren der École des Saint-Cyr am 8. 8. 1819 sagte:  Rappelez-vous qu’il n’est aucun de vous qui n’ait dans  sa gibernele bâton de maréchal (Denkt daran, dass keiner unter euch ist, der nicht den Marschallsstab in seiner Patronentasche hat). Also keine gemeinen Soldaten und kein Tornister.
Dirigent Cristian Oroşanu hat selbst keinen Tornister und auch keine Patronentasche getragen und sein Marschallsstab ist eigentlich der Dirigentenstab. Der Rest der Geschichte stimmt aber im Großen und Ganzen: Der Dirigentenstab wurde ihm, wie man so schön sagt, in die Wiege gelegt. Von nun an lassen wir ihn aber selbst zu Wort kommen! Die Fragen stellt Hans B u t m a l o i u .

„Meine Eltern lebten in Jassy/Iaşi, dort spielte mein Vater Oboe im philharmonischen Orchester Jassy und war gerade auf Tournee in Deutschland, als ich zur Welt kommen sollte. Meine Mutter fuhr also zu ihren Eltern für diese Zeit, nach Galatz/Galaţi, so dass ich dort  1972  geboren bin, übrigens genauso wie mein Bruder. Meine Kindheit und Jugend verbrachte ich aber in Jassy, dort besuchte ich die Grundschule und auch das Musiklyzeum Octav Băncilă“.

Irgendwie hat er mit dieser Antwort nun ein wenig vorgegriffen, denn die nächste Frage wäre gewesen, woher diese Liebe und Leidenschaft für Musik denn kommt.

„Ja die habe ich voll und ganz von meinem Vater geerbt, er gab mir diese Liebe mit auf den Lebensweg!  Mein Bruder folgte der Mutter: Sie war Professorin für Englisch und das machte auch er. Ich habe, wie man sagt, von Kindesbeinen an Musik geliebt, und als ich sechs wurde, da kaufte Vater ein Klavier, auf dem ich spielen lernte. Eine Zeit lang versuchte sich auch mein Bruder daran, doch nicht lange, ich aber lernte weiter. Musik war für mich immer etwas Wunderbares, und selbst wenn ich nicht beim Klavier geblieben bin, so war es immer die klassische Musik, die mich begeistert hat und der ich mich gewidmet habe. Nach vier, vielleicht fünf Jahren Klavier, da sagte mein Vater: ‘Schau, du hast nicht genügend Geduld für dieses Instrument, warum lernst du nicht ein Blasinstrument?’ So habe ich begonnen, Horn zu spielen, und so bin ich zum Studium dieses Blasinstruments ans Bukarester Konservatorium gegangen,das ist auch mein Abschlussdiplom gewesen. Das zweite Diplom, als Dirigent habe ich erst später gemacht.“

Zwischen dem Mitglied eines Orchesters und dem Dirigentenpult ist ein großer Unterschied! Wie und wieso vollzog sich der Wandel, der Umstieg vom Horn zum Dirigentenstab?   

„Na ja, ich habe erst mal vier Jahre Horn gespielt, im Orchester des Nationalen Rundfunks, und bin wie ein gewissenhafter Soldat den Befehlen eines Generals, den Anweisungen der jeweiligen Dirigenten, gefolgt. Ich bin nämlich der Überzeugung, dass nur jemand, der in den unteren Rängen anfängt, später auch führen kann. Man beginnt von der Pike auf und arbeitet sich empor, an die höheren Aufgaben.“

Na, das ist ja wie mit dem Soldaten, der sich bis zum Marschallsstab empor dient. Nur ist es eben der Dirigentenstab...

„Ungefähr so stehen die Dinge. Ich glaube fest daran, dass man erst folgen muss, bevor man befiehlt. Der Verlauf für mich war folgender: Nachdem ich einige Jahre Horn gespielt habe, führte ich ein Gespräch mit meinem Vater, in dem er mir sagte, dass es, seiner Meinung nach, das Höchste, Beste und Schönste für einen Musiker sei, Dirigent zu werden. Das war ein Wendepunkt - eigentlich der Wendepunkt meines Werdegangs, meiner Musikerkarriere. Mein Vater erklärte mir damals: ‘Als Dirigent kannst du die ganze Partitur verstehen, nicht nur den kleinen Teil deines Instrumentes, du bist es, der die Kontrolle hat, du kannst das Stück so gestalten, wie du es verstehst. Außerdem ist es immer etwas Neues, etwas Anderes, du leitest jede Woche ein anderes Orchester, hast ein anderes Stück, es ist eine immerwährende Abwechslung, ein ständig neues Repertoire.’ Als Horia Andreescu dann bei einem Konzert in Jassy war, da empfahl er uns  Maestro Constantin Bugeanu, der damals am Bukarester Konservatorium Dirigenten ausbildete, und nach einem gemeinsamen Gespräch mit dem Maestro stand die Entscheidung fest. Bugeanu meinte, ich solle für ein-zwei Jahre ein Studium bei ihm belegen, und das tat ich.“      

Jetzt stellt sich für einen Nichtkenner die Frage, worauf in solch einem Fall geachtet wird - wie entscheidet ein Maestro, wen er als Schüler nimmt?

 „Also, ich sage zwar so locker, dass wir ein Gespräch geführt haben, doch er stellte mir unheimlich viele Fragen über Musiktheorie, Partituren und Orchestration. Er prüfte mich, mit anderen Worten, in Bezug meiner Kenntnisse aufs Schärfste. Diese Kenntnisse sind die Grundbedingung, denn die Handtechnik, die lernt man leicht, die kann man in sechs Monaten erlernen und beherrschen. Etwa zwei Jahre vorher hatte ich schon mit dem Freund meines Vaters, dem Komponisten Viorel Munteanu, in Jassy sehr ernsthaft sehr viel Theorie studiert. Die Technik des Dirigieren ist leichter als das, was sich im Kopf des Dirigenten abspielt. Er ist es, der die Partitur verstehen muss, und das Orchester folgt instrumental seiner Vorstellung vom Stück. Was zum Beispiel Gustav Mahler komponiert hat, kann nicht so einfach gespielt werden, es muss erst gelesen und verstanden werden, es muss aufgenommen werden, und der Dirigent ist es, der fähig sein muss, es umzusetzen. Das spielt sich im Kopf ab, nicht mit der Gestik. Im Kopf entsteht ein Klangbild der Partitur, du hast eine Idee, wie das klingen soll und vom Orchester bekommst du dann das Feedback, mit dem du deine Vorstellung vergleichst. Dann erst versuchst du, diese beiden Teile in Einklang zu bringen, mit der Gestik. Es ist eine immer andere Alchemie, es ist immer etwas Neues. Wenn ich heute ein Stück einstudiere und es nach fünf Jahren mit demselben Orchester spiele, so kann es einfach nicht gleich klingen. Abgesehen davon, dass auch die Zusammensetzung des Orchesters nicht dieselbe sein kann, gibt es das gewisse Etwas, den Freiraum an Improvisation, den ein Komponist diesem überlässt und der immer anders ist. Und in den fünf Jahren werde auch ich mich in meinem Verständnis verändert haben.“

Wie ist das genau mit dem Freiraum, den Komponisten für die interpretative Improvisation lassen?

„Nehmen wir als Vergleich Georg Philipp Telemann und Gustav Mahler: Telemann ist in der Schrift seiner Partitur sehr schematisch, bei ihm gibt es viel Freiraum im Vergleich zu Mahler, der schön akribisch alles niedergeschrieben hat, jede Anweisung für jedes einzelne Instrument, hier piano, dort pianissimo, so der Dirigent hier, so dort. Mahler hat nichts der Improvisation überlassen.“

So gesehen, wo liegt der Reiz und auch die Herausforderung für einen Dirigenten - bei einem größeren Spielraum oder bei strengen Anweisungen?

„Ich würde sagen, in der Mitte!  Wenn es zu präzise ist, dann hat man keine Freiheit und wenn es zu vage ist, dann trägt man eine sehr große Verantwortung für das Ergebnis. Für mich ist der Mittelweg besonders angenehm, so in der Richtung, in der Beethoven geschrieben hat, oder auch Brahms: ein wenig Freiraum - aber Vorgaben, wie man spielen soll, oder besser gesagt sollte (lacht).“         

Improvisation ist eine der besonderen Eigenschaften des Jazz in seinen verschiedenen Formen, wie stehen Sie dazu?

„Also, ich liebe Jazz, Piano Jazz habe ich auch ganz am Anfang ein wenig gespielt, ich liebe die Klänge afrikanischen oder amerikanischen Ursprungs, die Mischung an Themen und die Freiheit der Improvisation. Ja, Jazzmusik liebe ich.“
 
Kommen wir ein wenig auf Ihre Karriere als Dirigent zurück. Sie haben eine beeindruckende Visitenkarte, wenn wir die Reihe nehmen, wo sie als Gastdirigent – in Europa und nicht nur – Orchester geleitet haben. Wie ist es eigentlich, wenn man zum ersten Mal mit einem neuem Orchester arbeitet?

„Sehr interessant! Jedes Mal haben wir ein anderes Ergebnis, irgendetwas ist jedes Mal anders und das macht den Reiz aus. Auch wenn ich zehnmal die Fünfte von Beethoven dirigiert habe, wird es mit einem neuen Orchester ein neues Erlebnis, eine neue Erfahrung für mich sein. Anders gesehen ist für uns Dirigenten jede Zusammenarbeit mit neuen Musikern eine große Bereicherung, denn auch wir lernen ja daraus. Zum Beispiel, als ich in Zürich in der Turnhalle das dortige Orchester erstmals dirigiert habe, da habe ich solch einen Orchesterklang zu hören bekommen, der mir auch heute in Erinnerung geblieben ist.“

Kommen wir jetzt auch zu Ihrem jetzigen Orchester, der Philharmonie hier in Kronstadt/Braşov, und auch zu Ihrem noch neu zu benennenden Saal, das einstige Patria Kino.

„Es ist bedeutend besser geworden, wir haben jetzt richtig gute Bedingungen. Ich meine damit, als wir früher geprobt hatten, da waren wir in einem anderen Raum, da spielten wir einen Klang ein und im Konzertsaal klang es ganz anders, z.B. im großen Saal des heutigen Armeehauses, das einstige Offizierskasino. Wir haben sehr gute Bedingungen und auch ein sehr gutes Orchester. Im selben Raum, Saal, zu proben und zu konzertieren ist sehr wichtig. Wenn man irgendwo drei Tage lang geprobt hat und dann anderswo konzertiert, dann geht viel von dem einstudierten Klang im neuen Saal verloren.“

Sie arbeiten jetzt schon seit wie vielen Jahren fest in Kronstadt?

„Es sind jetzt schon gute fünf Jahre, seitdem ich hier in Kronstadt dirigiere. Dazu muss ich sagen, Kronstadt ist für mich nicht nur sehr interessant, sondern auch die lebenswerteste Stadt. Ich habe sie lieb gewonnen. Für mich war es beruflich ein sehr willkommener Wechsel nach der Stelle als Dirigent an der Bukarester Oper, da als Dirigent eines philharmonischen Orchesters für mich viel mehr Freiraum bleibt, auch als Gastdirigent zu arbeiten, was wiederum neue Erfahrungen und Bereicherungen mit sich bringt.“

Dazu kommt etwas neuer auch Kamerata Kronstadt, ein junges Orchester mit klassischem und nicht nur klassischem Repertoire. Wie ist das Projekt überhaupt entstanden?

„Die Idee ist eigentlich älter: Mich hatten mehrere Musiker angesprochen, Musiker aus dem Philharmonischen Orchester, ob wir denn nicht auch ein Kammerorchester bilden könnten. Damals stand es sehr schlecht mit dem Proberaum, der jetzige Saal war noch nicht vorhanden, so wurde damals nichts daraus. Jetzt aber haben wir die erwähnten Bedingungen, und das Orchester bildete sich schnell aus jungen, begeisterten Musikern. Nicht immer dieselben, nicht immer gleich viele, aber immer mit vollem Engagement und Einsatz.“

Welches sind die nächsten Pläne?

„Hier in Kronstadt zu arbeiten, weiter auf Tournee als Gastdirigent zu gehen, und dazu kommt seit fünf Jahren eine Klasse Dirigenten, welche ich am Fachlehrstuhl in Jassy unterrichte.“

Wir danken für diese Ausführungen.

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Wichtige Momente in der Karriere von Cristian Oroşanu

•    dirigierte in Frankreich das Orchestre de Paris, Ensemble orchestral de Paris, Orchestre Lamoureux und das Orchestre National de Bordeaux
•    in Deutschland das Tonhalle Orchester und das Deutsche Symphonie Orchester Berlin.
•    in Großbritannien das BBC Scottish Orchestra
•    in Belgien das Strasbourg Philharmonic Orchestra und das Brussels Philharmonic Orchestra
•    in Israel das Israel Kibbutz Orchestra
•    in Dänemark das Danish Radio Symphony Orchestra im Rahmen der Malko Competition und belegte den zweiten Platz (2005)
•    in Japan das Hyogo Performing Arts Center Orchestra.