Gräfin Sorina von Keyserling, aufgewachsen in einer adligen Künstlerfamilie, hat auch selbst eine künstlerische Laufbahn gewählt. Über Umwege ist sie nach der Beendung der Kunsthochschulen Amsterdam und Arnheim für modernen Bühnentanz und einem Russisch- und Portugiesisch-Studium vor etwa 15 Jahren zur Bildhauerei gekommen, der sie sich heute völlig widmet und bei der sie letztendlich am tiefsten aus ihrem Wesen schöpfen kann. Dies erzählte die Bildhauerin der ADZ-Redakteurin Cristiana Scărlătescu auf der Vernissage der Ausstellung „Keyserling und Keyserling“, die sie im Frühjahr gemeinsam mit ihrer in Bukarest gebürtigen deutschstämmigen Mutter, Gräfin Rodica von Keyserling, in der Bukarester Galerie Galateca organisierte (die ADZ berichtete).
Gräfin von Keyserling, Sie stammen aus einer Künstlerfamilie. Wie war es, in einem solchen Milieu aufzuwachsen?
Es war ein Selbstverständnis, das habe ich als Kind nicht hinterfragt. Ich habe sehr viele Anregungen bekommen, die andere vielleicht nicht hatten. Mit dem Zeichnen fing ich sehr früh an, und zwar einfach, weil ich es mir abgeguckt habe. Dann fühlte ich mich auch zur Musik hingezogen. Das war eher aus mir heraus, aber das habe ich auch ausprobiert. Kunst ist für mich selbstverständlich; etwas, was einfach zum Leben gehört. Und deswegen hat es nicht geklappt, als ich versucht habe, andere Tätigkeiten auszuüben – denn eigentlich war am Ende die Kunst das, was ich machen wollte und wofür ich auch begabt bin. Ich habe zwar die Talente meiner Eltern mitbekommen, aber auch selbst viel geübt und richtig Zeit investiert.
Irgendwann im Laufe Ihres Werdegangs haben Sie sich doch für die Bildhauerei entschieden. Meinen beruflichen Werdegang habe ich zunächst als Tanzstudentin begonnen. Erst sehr viel später über die Jahre bin ich zur Bildhauerei gekommen. Es war am Anfang noch gar nicht so klar. Ich habe erst nach und nach herausgefunden, dass die Bildhauerei wirklich mein Element ist. Aber nicht mit Anfang Zwanzig, da war ich noch nicht so weit. Weil ich so spät und auch sehr leidenschaftlich damit angefangen hatte, wollte ich keine halbe Sache machen. Das musste absolut perfekt sein. So habe ich an den großen Meistern meine Vorbilder gesucht. Im Klassizismus, aber auch in der klassischen Moderne des 20. Jahrhunderts.
Welche Meister dienen Ihnen zum Vorbild?
Der deutsche Bildhauer Georg Kolbe jedenfalls, und Auguste Rodin. Jetzt schaue ich mir auch viel an, was in der Welt passiert. Es gibt viele gute figürliche Bildhauer auch in der Gegenwart, insbeson-dere die Absolventen der Florenzer Kunstakademie in Italien.
Ihr Vater, Graf Leonhard von Keyserling, war Bildhauer, und Ihre Mutter, Gräfin Rodica von Keyserling, ist Malerin. Wer von Ihren Eltern hat Ihre künstlerische Persönlichkeit mehr geprägt?
Mein Vater ist schon sehr früh verstorben und ich habe nur seine Werke gesehen, die übrig geblieben sind. In Aktion habe ich ihn nie erlebt. Es gab keine künstlerische Interaktion zwischen mir und ihm. Daher war es meine Mutter, die mich maßgeblich geprägt hat.
Welche Bedeutung schreiben Sie den zwei Fertigungsstilen Ihrer Werke zu, dem feinen und dem raueren – einer Technik, die auch Michelangelo angewandt hat?
Nach und nach, mit den Jahren, lockere ich mich und spiele mit dem sehr Ausgearbeiteten und dem eher offen Gelassenen, weil das einfach lebendiger wirkt. Das Auge ergänzt ja auch vieles, die Fantasie wird angeregt und man kann sich ein bisschen etwas weiterdenken.
Das menschliche Wesen steht im Mittelpunkt ihres Schaffens mit all seiner Körperlichkeit und Spiritualität. Was hat Ihre Faszination für den Menschen erregt und Ihre ganzheitlich abgerundete Herangehensweise inspiriert?
Angefangen hat das mit meiner Mutter, sie hat mich dazu geführt, weil sie immer Menschen gezeichnet hat. Und das habe ich ihr nachgemacht. Also diese Faszination für Gesichter, die hat sich schon früh entwickelt. Auch meine ersten klassischen Versuche waren immer… Gesichter.
Ich bin selber ein offener und extrovertierter Mensch. Ich kommuniziere gerne mit Leuten, mag Menschen und interessiere mich für sie. Daraus ist das erwachsen: Gesichter anzuschauen, auszusuchen und sie nachzuempfinden. Die eine Seite ist das klassische Porträt, wofür ich ein gutes Auge habe und im Kontakt mit der Person schöne Porträts erschaffen kann.
Aber andersherum, wenn ich mir selber Modelle aussuche, setze ich mich durch ihre Porträts auch mit meinen eigenen Themen auseinander. Es geht dann nicht mehr nur um die Person, sondern auch um mich. Es ist so ähnlich wie eine Symbiose, obwohl man sie nicht so nennen kann.
Es gibt eine Arbeit, die ich im April ausgestellt habe. Das Modell für das Porträt habe ich selber entdeckt: Eine ältere Dame, die mir besonders aufgefallen ist und von der ich total fasziniert war. So habe ich eine größere Figur mit verschränkten Armen geschaffen. Die Leute empfinden sie manchmal als ein bisschen streng. Der ganze Ausdruck des Porträts scheint auch meines Erachtens ein bisschen anders zu sein, als er wirklich ist.
Da ist mir das überhaupt erst klar geworden, dass das öfter passiert in Porträts oder Figuren, die ich mir selber aussuche. Da spricht mich irgendwas in der Person an und ich finde das Porträt wie ein Mittel, wodurch ich eine Emotion, einen Zustand, eine Ausstrahlung usw. ausdrücken kann. Der Mensch wirkt für uns alle ja sehr stark, er spiegelt uns wieder.
Porträtieren Sie auch bekannte Personen?
In der Regel nicht, mit ein paar Ausnahmen wie etwa Alexander von Humboldt, Fürst Ferdinand von Bismarck oder Romy Schneider.
Hier in Bukarest habe ich die Büste aus Ton eines Künstlerkollegen, den ich schon sehr lange kenne und der quasi neben meiner Werkstatt arbeitet, ausgestellt, dann das in Bronze gegossene Porträt von Thomas Emmerling (ein deutscher Kunsthändler und Geschäftsführer des Kunsthauses 7B in Michelsberg/Cisn²diara, Kreis Hermannstadt). Herr Emmerling hat so ein Charaktergesicht! Er hat mich sehr inspiriert und ich wollte unbedingt ein Porträt von ihm machen. Da wir nicht im selben Land wohnen, haben wir eben beschlossen, wir machen das einfach öffentlich vor allen Leuten auf der Ausstellung „Parallel Vienna“, wo ich einige meiner Arbeiten präsentiert und auch spontan geschaffen habe.
Eine Live-Kunstperformance?
Genau. Dann hatte ich aber noch genug Ton und dachte mir: „In der ganzen Woche, da schaffe ich doch noch eins!“ Just am nächsten Tag kam eine junge Frau herein. Ich wusste sofort, sie will ich unbedingt nachbilden. Ich bin ihr nachgelaufen, habe sie noch überreden können. Und da bin ich sehr glücklich, weil ich die Skulptur unglaublich gerne mag. Ich finde sie total schön, obwohl sie gar keine klassische Schönheit ist und von der klassischen Gesichtsform leicht abweicht.
Sind alle Ihre Werke Modellen nachgebildet oder entstehen sie manchmal auch aus Ihrer Vorstellung heraus?
Einige Werke sind aus dem Flow heraus entstanden. Einmal hatte ich einen klumpen Ton in der Hand. Da wusste ich noch gar nicht, was ich daraus mache und habe losgelegt. Der Ton war zweifarbig und ich wollte sehen, wie das wirkt, wenn das so ein bisschen changiert und fleckig ist. Am Ende entstand dieses weibliche Gesicht hier mit geschlossenen Augen, das ich „Nocturn“ betitelte. Dies ist keine bestimmte Person, sondern das habe ich mir einfach in dem Moment ausgedacht und habe mich dabei von meinem Gefühl leiten lassen.
Ein anderes Beispiel ist eine Anfängerarbeit, die ich neu erfinden wollte. Die gefiel mir gut, aber war schon alt und ich dachte: „Mal sehen, was ich jetzt nach so vielen Jahren, wie ich das jetzt machen würde“. Und ganz schnell ist etwas ganz anderes daraus geworden. Die Figur hat sich sehr schnell, sehr stark verändert. Die hat zwar noch einen verlängerten Hals und schaut so leicht nach oben, aber das ist auch schon alles, was noch ähnlich ist.
Das Gesicht habe ich mir dabei auch ausgedacht und wollte die Figur aus einer anderen Perspektive heraus betrachten, zum Beispiel von oben, wo man etwas von größerem Zusammenhang sieht. Daher der Titel „Perspektive“.
Letzten Sommer haben Sie in Hermannstadt ausgestellt, dieses Jahr ging es weiter in der Hauptstadt. Verraten Sie uns bitte ein paar Details über Ihre zukünftigen Projekte.
Zunächst beteilige ich mich mit Werken an einer Ausstellung „Berlin Meets Taipei“, die von der Kunstagentur „Kunstleben Berlin“ in der Galerie Kuchling (Karl-Marx-Allee Nr. 123) mit örtlichen Künstlern und einigen aus Taipei, Taiwan, am 20. April eröffnet wurde. Diese kann bis zum 25. Mai besucht werden. Das soll auch eine langfristigere Zusammenarbeit sein. Das heißt, es wird eventuell dann eine Ausstellung in Taipei geben. Das wäre natürlich eine ganz tolle Sache.
Dann gibt es noch eine Ausstellung in der Galerie Frank in Wien (Himmelpfortgasse Nr. 12) zusammen mit meiner Mutter, die nur noch bis zum 18. Mai geöffnet ist. Ich freue mich riesig, dass ich dieselbe, von Herrn Emmerling kuratierte Ausstellung aus Bukarest auch in Wien präsentieren konnte.
Eventuell wollte ich mich erneut am internationalen Wettbewerb der Gesellschaft für Porträtbildhauer in London bewerben. Ich bin noch nicht ganz entschlossen, ob ich es tue. Letztes Jahr habe ich mitgemacht und es war es eine sehr schöne Erfahrung. Wir waren eine kleine Gruppe von Deutschen, zu dritt angereist aus Berlin, die dort mitgewirkt hat. Dazu muss man einen Vorschlag einreichen und zweimal hinfahren, das ist ein bisschen ein umständliches Prozedere. Aber es ist auch schön, in dieser Liga mitzumischen, weil die Engländer schon eine lange Tradition haben und sehr gut in der figürlichen Bildhauerei sind.
Herzlichen Dank für das Gespräch! Wir wünschen Ihnen auch weiterhin viel Erfolg!