Am Abend des 10. Mai versammelten sich Kunstliebhaber im Foyer des Nationalen Kunstmuseums Bukarest, um an der Vernissage der Ausstellung die „Neue schwarze Romantik“ teilzunehmen. Die 34 Künstler aus elf Ländern – außer Deutschland und Rumänien aus Österreich, Tschechien, Russland, Dänemark, Norwegen, den Niederlanden, Spanien, Großbritannien und den USA – suchen diesem nicht ganz neuen Thema der europäischen Kunstgeschichte Leben einzuhauchen. Im angelsächsischen Kulturkreis auch unter dem Begriff „Gothic“ geläufig und unter dieser Bezeichnung fester Bestandteil der populären Kultur, scheint die „schwarze Romantik“ als „kleine düstere Schwester“ der Aufklärung immer dann aufzublühen, wenn die Entwicklung der Moderne ein besonders rasantes Tempo vorlegt. Als Gegenbewegung oder Kommentar zu den neuesten Technologiesprüngen entwickelten sich somit „zeitgenössische Strömungen zwischen progressivem Dark Wave und Finster-Strategie“, wie die Kuratoren in ihrem Begleittext formulieren.
Rumänien als Kernland des Dracula-Mythos und Deutschland mit der Erfindung der filmischen Kunstfigur Nosferatu bieten sich als Orte einer solchen Präsentation geradezu an, was ausschnittsweise in der Ausstellung auch seinen visuellen Niederschlag findet. In seinen einleitenden Worten betonen der Kurator Christoph Tannert vom Künstlerhaus Bethanien, Berlin, und der Gastgeber, der Generaldirektor des Nationalen Kunstmuseums, Călin Stegerean diese Verbindung zum Film. Gleich zu Anfang empfiehlt Tannert deshalb, sich zunächst den subversiven Videokünsten von Greta Alfaro (Pamplona, Spanien), William Lam-son (Viginia, USA), Bill Morrison (Chicago, USA), den Quay-Brüdern (Norristown, USA) und Jan Švankmajer (Prag, Tschechien) zu widmen, um einen besseren Zugang zu den Kunstwerken zu finden. Denn hier wird die Verbindung zu mittelalterlichen Vanitas-Symbolen (z. B. bei Alfaro) oder Klassikern wie „The Pit and The Pendulum“ von Edgar Allan Poe (bei Švankmajer) deutlich gemacht.
Das Zustandekommen dieses gemeinsamen Kunstprojekts, das erstmals in Bukarest gezeigt und später auch in Berlin zu sehen sein wird, fußt auf einer Idee des inzwischen verstorbenen Berliner Kurators Peter Lang. Die Verbindung zu den rumänischen Stellen darf sich wohl das Goethe-Institut anrechnen, das zudem auch die rumänische Übersetzung des Katalogs beigesteuert hat, wie die Leiterin des Goethe-Instituts, Evelin Hust, in ihrer Eröffnungsrede herausstellt.
Die Aufmerksamkeit der Kunstszene suchen die meisten Künstler hier weniger mit brutalen Schockelementen zu erregen, sondern mit elegisch-melancholischen Sujets. Nächtliche Landschaften an Seen und Mooren bei Berthold Bock (Salzburg, Österreich) oder Wasserfällen bei dem aus Klausenburg/Cluj stammenden László Szotyory entsprechen ganz dem Thema der Ausstellung. Biswei-len hinterfragen die Titel auch die wiedergegebene Landschaftsmalerei, wie bei dem Norweger Tommy Høvik, der eine gewittrige Meeresszenerie mit dem Titel „I haven’t lost it, you just don’t get it anymore“ versieht.
Apokalyptische Dystopien sind ebenfalls ein beliebtes Motiv, so bei Sándor Szász, (Târgu Mureş) mit Szenen, die aus einem Science-Fiction-Drama stammen könnten (K-141, 2012) oder auch die Prognostikon-Serie von Maik Wolf (Pirna, Deutschland). Philip Topolovac (Würzburg, Deutschland) übersetzt dies in die dritte Dimension. Seine Bronzeskulptur „Envisat“, nahezu ein Replikat des einst berühmten Umweltsatelliten der ESA, der mittlerweile als Weltraumschrott die Erde umkreist, schwebt bedrohlich über den Köpfen der Besucher.
Stillleben, sei es als Installation mit ironisch verfremdeten Vanitas-Symbolen von Moritz Stumm oder als blumiges „memento mori“ von Martin Eder mit dem irritierenden Titel „Eine Träne, die in den Ozean fällt“ (2017), werden durch unheimliche Interieurs wie den „Kronleuchter“ von Axel Geis (Limburg an der Lahn) oder die Tuschzeichnungen von Andrey Klassen aus Irkutsk (Russland), dessen Szenerie in „Favourite Flower Shop“ (2016) eher an einen gewissen „Little Shop of Horrors“ gemahnen, ergänzt.
Jan Vytiska, (Prag, Tschechien) zelebriert seinen „Black Sabbath“ ( 2012) malerisch in einer bäuerlichen Wohnstube seiner tschechischen Heimat und bei Ralf Ziervogel (Clausthal-Zellerfeld, Deutschland) steckt der Teufel im Detail einer auf die Distanz wie ein filigraner Haarfächer wirkenden Tuschzeichnung mit dem Titel „Endeneu“ (eine Anspielung auf die Band EinstürzENDENEUbauten von 2012).
Filmisch erinnert Lisa Junghanß (Döbeln, Deutschland) in „Exsolutio“ (2012) durch klaustrophobische Szenen einer Frau im Nonnenhabit an die Furcht, lebendig begraben zu werden – nicht zuletzt eine hysterische Vorstellung im viktorianischen England. Susan Maria Hempel (Greiz, Deutschland) zeigt hier den preisgekrönten Animationsfilm „Sieben Mal am Tag beklagen wir unser Los und nachts stehen wir auf, um nicht zu träumen“ von 2014. Eine verstörende Erzählung eines Missbrauchs aus der ostdeutschen „Wendezeit“, die im Stil eines Puppentheaters inszeniert wird.
Nicht immer sind für die hier ausgestellten Künstler romantisch-historische Bezüge relevant, manche verorten ihren Schrecken im zeitgenössischen Alltag, sei es in lebensfeindlicher Architektur oder anonymisierten Hoodie-Trägern, so bei Bertram Hasenauer (Saalfelden Östereich).
In all ihrer Vielfältigkeit trifft das Thema der Ausstellung einen europaweiten düstergefärbten Grundton, der hoffentlich nicht als Resignation, sondern Aufruf zu handeln verstanden werden sollte.
Weitere Künstler sind: Alexandra Baumgartner, Roland Boden, Sven Drühl, Anders Grønlien, Gregor Hildebrandt, Krištof Kintera, Michael Kunze, Nik Nowak, Markus Proschek, Adam Saks, Jan Šerých, Iris Van Dongen, Fabrizia Vanetta, Ruprecht Von Kaufmann.
Die Ausstellung ist noch bis zum 27. August zu sehen. Weitere Informationen unter http://www.mnar.arts.ro/descopera/expozitii-temporare/226-noul-romantism-negru