Auf dem holprigen Weg vor der Pension „Nagy“ in der sogenannten Zipserei in Oberwischau/Vişeu de Sus nähert sich ein seltsames Gespann. Unsere Rettung! So können wir das Auto stehen lassen und kommen doch noch pünktlich zum Wassertalbahnhof, wo man uns zum abendlichen Teil des Zipserfestes (August 2014) erwartet. Schnell raufgeklettert - und holterdipolter geht es los über Stock und Stein. Kein Problem, die Ledersitze sind weich gepolstert. Wie ein Fürstenpaar aus der K&K-Zeit fühlen wir uns, als die Pferde mit unserer Nobelkutsche dann durch die Stadtmitte traben, sich in Autoschlangen an der Ampel brav einreihen und zum Talbahnhof abbiegen. Neugierige Blicke von allen Seiten. Und alle Augen auf uns gerichtet, als wir vor den Festzelten absteigen. Soviel Aufsehen war nicht in unserem Sinn - doch was für eine witzige Tourismusidee!
Am nächsten Tag müssen wir unbedingt den Besitzer des Gefährts ausfindig machen. Pensionswirt Theo Nagy vermittelt den Kontakt. In kariertem Holzfällerhemd und blauer Latzhose sitzt mir schließlich ein handgeschnitzter Schweizer gegenüber. Mit Cowboyhut und rotem Zwirbelbart steht er seinem Gefährt an Originalität um nichts nach. Unaufhörlich bimmelt das Handy. „Uli la Telefon!“ meldet er sich auf Rumänisch mit unverkennbarem Schweizer Akzent. Wie hat es ihn in die Maramuresch verschlagen?
Seit 1997 lebt Ulrich Reist in Rumänien, beginnt er zu erzählen. „Ich hatte die Schnauze voll von der Schweiz. Wir haben strenge Gesetze und alles - aber die Freiheit hat mir gefehlt!“ 35 Jahre jung war der gelernte Zimmermann und Schreiner, als die heile Welt der Wohlstandsgesellschaft für ihn zusammenbrach. Durch Scheidung Haus und Werkstatt verloren, mit Schulden auf dem Buckel, sah er in der Heimat keine Perspektive mehr. Im Gegenteil - sie engte ihn ein. Hinzu kam die Erkenntnis: „Du verdienst einen Haufen, und trotzdem bleibt dir nichts - wie Sand läuft das viele Geld durch die Finger!“ Demonstrativ hält er die leeren Handflächen in die Höhe. „Ich habe einmal eine Parkbuße nicht bezahlt - die haben mich zwei Jahre gesucht und hätten mich ins Gefängnis gesteckt“, illustriert er das strenge System und bekräftigt: „Ich wollte frei sein. Irgendwie bin ich auch ein bisschen abgehauen...“
Auf gepflasterter Straße schlendern wir zu seinem Haus. Vor dem Zaun auf der Straße steht sein gesamter Fuhrpark: Kutschen aus allen Epochen, ein Pritschenwagen, eine halbe Lasterattrappe... Kuriose Gefährte mit klitzekleinen Defekten. In der Schweiz günstig erstanden, lassen sie sich in Rumänien mit guter Gewinnspanne verkaufen. „An Pensionen, Sammler, Neureiche oder Zigeuner“ lacht Uli Reist. Denn auf dem hiesigen Markt gibt es sowas nicht, und wenn, dann in so schlechtem Zustand, dass es fast zerfällt. „Meine Kreativität ist mein Kapital“ erklärt der Schweizer, wie er in Rumänien überlebt. Zuvor handelte er mit Motormähern, Pferdesätteln, selbstgebauten Gartenhäusern - bis jedesmal der Punkt kam, wo andere seine Geschäftsidee kopierten und er sich umorientieren musste. Abschrecken kann ihn dies nicht. Das Internet ist seine Spielwiese. Sie steht auch den Rumänen offen. „Aber dadurch, dass ich viel weiß, fühl ich mich immer ein paar Schritte voraus!“
Für seine Ware braucht er Platz, erklärt Uli Reist. Ein Grundstück für eine Lagerhalle möchte er kaufen. Und ein Haus bauen, denn hier wohnt er nur zur Miete. Mit über 50 sprüht der gelernte Möbelschreiner vor Energie und Abenteuerlust. Trotz langjähriger Erfahrung in Rumänien - und der Erkenntnis, dass hier auch nicht alles rosig ist.
Steiniger Weg ins Holzparadies
Sein Weg nach Rumänien begann mit der Einladung zu einer Hochzeit nach Bukarest. Eine belgische Firma bot ihm dort einen Job an - als Holzfachmann war sein Wissen gefragt - und er griff zu. Als 2000 seine Mutter starb und ihm 40.000 Franken hinterließ, investierte er in eine eigene Schreinerei im Wassertal, an der Quelle des Holzes, wie er sagt, und begann mit der Produktion solider Gartenhäuser. Die erste Ernüchterung ließ nicht lange auf sich warten. „Hier wird nur gespart und man verwendet billige Materialien - Qualität ist nicht gefragt“, klagt der Schweizer. Probleme gab es auch mit Lehrlingen und Angestellten. Ständig waren die Geräte kaputt, esmangelte an Wissen und Durchhaltevermögen.Schließlich trennte er sich von seinen fünf Angestellten mit der Erkenntnis, doch lieber alles selbst zu machen. Erschwerend kam die Unvorhersehbarkeit der Mieten hinzu. Für 160 D-Mark im Monat hatte er eine 300 Quadratmeter große Lagerhalle gemietet - doch kaum waren die Kabel verlegt, die Fenster repariert und alles renoviert, wollte der Besitzer 160 Dollar, dann auf einmal Euro. „Irgendwann war der Geldbeutel leer“, resignierte Uli Reist. „Ich hatte viel investiert, aber kaum Gewinn gemacht.“
Er löste das Unternehmen auf und begann, Landmaschinen aus der Schweiz zu verkaufen - bis die ersten Konkurrenten nachzogen und mit Billigprodukten seinen Markt zerstörten. Es folgten Fahrräder, doch kurz darauf eroberten glanzlackierte Billigräder aus China das Land. „Ich hab immer gesagt, ich verkauf was Gutes. Ich kann dazu stehen und die Leute wieder besuchen. Und meine Kunden sagen: ‚Toll, das geb ich nicht wieder her!‘“ Eine Strategie, die hierzulande nur selten aufgeht. Der Kunde kann Qualität nicht von Ramsch unterscheiden und richtet sich nur nach dem Preis. Resigniert wirft er die Hände in die Höhe: „Deshalb verkauft der Rumäne alles möglichst weit weg...“
In der Schweiz auch nicht besser
Trotz aller Rückschläge und Erfahrungen sieht Uli Reist seine Zukunft in Rumänien. „In der Schweiz ist es ja auch nicht besser geworden, seit den letzten fünf Jahren sind sehr viele Deutsche dort“, erklärt er die Lage auf dem Arbeitsmarkt. „Wenn man 50 ist, ist man chancenlos. Keiner stellt dich mehr ein!“ Trotzdem verbringt er die Wintermonate in der alten Heimat. Denn Oktober, November, vor der Weihnachtszeit, kann er als Schreiner Aufträge ergattern, weil die Arbeiten bis Weihnachten versprochen sind. „Das ist zwar ein Mordsstress“, erklärt er, „doch mit zwei Monaten Ausland kannst du in Rumänien den Rest des Jahres überleben.“ In der Schweiz unterhält er deshalb noch einen Wohnsitz, ein schlichtes Ferienhaus, doch für seine Zwecke genug.
Was Heimat für ihn bedeutet, will ich von ihm wissen. Der Abenteurer seufzt. „Wenn ich manchmal in der Schweiz bin und die schönen Berge seh, dann frag ich mich schon, was ich hier unten mach. Im Oktober bin ich oft soweit, dass ich die Schnauze voll habe. Dann genieße ich in der Schweiz schöne Straßen, alles sauber, keiner bescheisst einen.... Aber nach drei Wochen, einem Monat gehe ich gerne wieder zurück. Man muss sich nicht vormachen, die Leute bescheissen einen dort nicht. Sie tun es nur anders. Diese Lügerei, die Prahlerei im Internet, wie man sich darstellt oder was im Leben wichtig sein soll...“.
Was für ihn wichtig ist? „Gesundheit“, kommt wie aus der Pistole geschossen. „Ich achte auf gesunde Ernährung, versteckte Fette. E-326 oder was weiss ich“, scherzt Ulrich Reist. Doch auch ein Leben im Einklang mit der Natur gehört zu seinen Träumen. Ein Grundstück im Wassertal hat er hierfür schon erstanden, ein altes Holzhaus - demontiert und gut gelagert - wartet auf den Aufbau. „Am liebsten ohne Strom, mit Sonnenenergie, eigene Kartoffeln, Pilze aus dem Wald...“ gerät der Aussteiger ins Schwärmen. „Ich wünsch mir, dass ich es nicht mehr nötig habe, Geld zu verdienen für irgendeinen Scheiß. Nicht mehr das tolle Leben vorgaukeln müssen...“ Problemlos kann er auf Fernseher oder moderne Klamotten verzichten. Ein Mensch auf der Suche nach der Essenz. „Dafür ist Rumänien halt schon noch das Land der unbegrenzten Möglichkeiten“, bekennt Uli Reist.
Traum vom Abenteuertourismus
Trotz aller Erfahrungen hat Uli Reist die Fähigkeit zu träumen nicht verloren. Zielstrebig verfolgt er seine Ideen für ein zukünftiges Projekt. Durch die Nähe zur Wassertalbahn - wo seine ebenfalls aus der Schweiz stammende Lebensgefährtin Brigitte als Köchin arbeitet und den Hotelzug managt - hatte er die Möglichkeit, an Tourismusmessen in der Schweiz teilzunehmen. Dort fesselte ihn ein auf das Wassertal gut übertragbares Konzept: Säumern und Pastesel. So nennt man mit Waren beladene Pferde und Esel, die bis ins Jahr 1200 Käse aus der Schweiz über die Berge nach Italien transportierten. Heute tragen sie Campingausrüstung und Gepäck von Abenteuertouristen, die den historischen Pfaden durch die wilde Natur folgen.
Man reitet nicht, sondern geht neben den Lasttieren her, erklärt Uli Reist. Im Wassertal würde er gern Schweizer auf den traditionellen Zigarettenschmuggelpfaden führen, vielleicht auch mal bei Holzfällern übernachten. Die Durchführung hält er für realistisch. „Ich brauch ja keine 1000 Touristen, sondern 50, und geh vielleicht fünfmal im Jahr.“ Die Pferde will er von Bauern mieten. Erstaunt fügt er hinzu, dass mittlerweile auch Rumänen Interesse an dieser Art Outdoorabenteuer zeigen. „Bukarester Bürohengste - die sitzen im gleichen Boot wie wir. Die wollen auch mal ein Stück Käse vom Bauern.“ In zwei Jahren will er seine Pläne in die Tat umgesetzt haben. „Große Investitionen braucht man dafür nicht“, meint er optimistisch.
Was der Aussteiger sich sonst noch wünschen würde? Dass sein Sohn nach Rumänien käme, bekennt Uli Reist. Noch genießt der 22-Jährige das brodelnde Leben in der Schweiz, stößt sich die Hörner ab. „Doch bald wird auch er merken, dass ihm dort nichts bleibt“, meint der Vater und fügt an: „Was der mit seinem Wissen hier alles machen könnte!“
Keine eingefahrenen Gleise bis zum Ende weitergehen, sich selbst stets neu erfinden, ein Leben ohne verlogene Statussymbole. Das ist es, was Menschen wie ihn, die der geordneten Wohlstandsgesellschaft den Rücken kehren, an Rumänien reizt. Seine Bilanz ist insgesamt positiv geblieben. Noch immer fasziniert ihn das Unvorhersehbare: „Wer hätte vor fünf Jahren gedacht, dass ich mal Kutscher bin?“ lacht Uli Reist und seine wasserblauen Äuglein blitzen.