Studieren mit über 60 Jahren? Dorothea Kronsbein wagte diesen Schritt und begann nach 31 Jahren Schuldienst noch einmal zu studieren. Im Goethe Institut in Bukarest absolvierte s ie ihr Pflichtpraktikum. Ihr ungewöhnlicher Weg zeigt, dass man sich auch in reiferen Jahren keine Grenzen auferlegen muss. Wissensdurst kennt eben kein Alter!
In einem kleinen Büro in der Strada Tudor Arghezi sitzen sie, die drei Praktikantinnen des Goethe Instituts. An einem Schreibtisch, der manchem schon allein zu klein wäre, sitzen Maxi Ludwig, Marie Menzer und Dorothea Kronsbein, genannt Thea, vor ihren Laptops. Auf den ersten Blick würde man nicht vermuten, dass alle drei Frauen Praktikantinnen sind, denn Dorothea Kronsbein ist bereits 62 Jahre alt. Die Atmosphäre ist locker entspannt im Bukarester Büro des Goethe Instituts. Man versteht sich unter den Praktikantinnen, auch wenn der Altersunterschied zu Marie und Maxi fast 40 Jahre beträgt. „Ich gebe zu, ich war am Anfang etwas verwirrt“, sagt Maxi, die in Leipzig European Studies absolviert. „Nicht etwa, weil Thea das Gleiche studiert wie ich, sondern aufgrund der älteren Dame, die da zu mir sprach und voller Überzeugung von ihrem Studium schwärmte!“ Auch Marie, die ebenfalls in Leipzig studiert, war überrascht, als sich Dorothea ihr als „die andere Praktikantin“ vorstellte. „Ich war total beeindruckt, die anfänglichen Berührungsängste waren schon nach einem Tag verflogen.“ Mittlerweile sei auch der Altersunterschied kein Grund mehr zum Nachdenken.
Nach der Pensionierung in den Hörsaal
Dorothea Kronsbein ist eine aufgeweckte Person und zudem topfit. An ihrer Art zu reden, merkt man ihr die Lehrervergangenheit an: bestimmt, aber freundlich und ohne Umschweife erklärt sie, warum sie sich dazu entschlossen hat, noch einmal eine Hochschule zu besuchen. „Der Lehrer-Beruf ist sehr hart“, gesteht sie. „Die Kinder werden immer aggressiver, teilweise schreien sie oder schlagen sich sogar gegenseitig mit der Faust ins Gesicht.“ Dabei ist es schwer vorstellbar, dass die gutmütig wirkende Frau nicht die Lieblingslehrerin vieler Schüler gewesen sein könnte.
Die Entscheidung, am Ende ihrer Laufbahn als Englischlehrerin in Altersteilzeit zu gehen, fiel ihr nicht schwer. „Ich wollte mehr Zeit zum Reisen haben und zudem noch etwas Neues lernen. In den USA ist es heutzutage unvorstellbar, bis an sein Lebensende den einen Beruf auszuüben, den man mit 18 Jahren gewählt hat.“ Viel herumgekommen ist sie bereits: sie lehrte zwei Jahre lang in Budapest Deutsch, arbeitete während ihrer Ausbildung in England und hat auch sonst schon fast alle englischsprachigen Länder der Welt bereist. Nun macht sie sich wieder daran, den scheinbar nie versiegenden Wissensdurst zu stillen.
An vielen deutschen Universitäten gehören ältere Gasthörer oder Seniorenstudenten längst zum Alltag. Im Wintersemester 2013/2014 nahmen, nach Informationen des Akademischen Vereins der Senioren in Deutschland, rund 55.000 über 50-jährige an Lehrveranstaltungen in Hochschulen teil, dazu gehören Vollzeitstudierende, Gasthörer sowie Seniorenstudenten. Die Tendenz ist steigend. Die Zahl derjenigen, die im fortgeschrittenen Alter ein komplett neues Studium beginnen, ist jedoch vergleichsweise gering.
Für Thea Kronsbein kam ein Seniorenstudium allerdings nie in Frage. „Der Nachteil an den Seniorenstudiengängen ist, dass sie nach einem Semester vorbei sind und dann muss man sich wieder etwas Neues suchen. Das wollte ich nicht. Ich dachte mir, es muss doch auch für ältere Menschen möglich sein, noch einen detaillierteren Einblick in die Wissenschaft zu erhalten“, erklärt die 62-Jährige bestimmt. Nach einigem Suchen fand sie schließlich den passenden Studiengang: „Intercultural Communication and European Studies“ nennt sich der Master-Studiengang an der University of Applied Sciences in Fulda, in dem Kronsbein nun seit drei Semestern immatrikuliert ist.
Eine etwas ältere Studentin
Ganz ohne Hürden verlief die Aufnahme an der Hochschule jedoch nicht. „Ich konnte bei der Online-Bewerbung mein Geburtsdatum nicht eingeben. Das nahm das System gar nicht erst an. Daraufhin bin ich zum Studienzentrum gegangen, wo meine Bewerbung dann manuell erfasst wurde“, lacht sie. Von da an lief jedoch alles glatt.
Zu ihren Kommilitonen hat sie mittlerweile einen guten Draht, wobei sich Kronsbein durchaus bewusst ist, dass sie unter den Studierenden heraussticht. „Am Anfang haben meine Kommilitonen schon nicht schlecht geschaut, als sie mich gesehen haben. Aber nach einer Woche gegenseitigen Beschnupperns war das Eis gebrochen“, erklärt sie.
Inzwischen hat man sich in Lerngruppen zusammen gefunden und Freundschaften sind entstanden. Dorothea Kronsbein fühlt sich unter ihren wesentlich jüngeren Kommilitonen nicht fehl am Platz. Sie genießt es, immer Neues dazuzulernen. „Mir wird bei den ganzen IT-Sachen geholfen, damit kenne ich mich einfach nicht so gut aus. Meine Hausarbeiten wurden schon oft von einer meiner Kommilitoninnen richtig formatiert. Dafür überprüfe ich dann die Grammatik oder das Englisch ihrer Arbeiten. Es ist eben ein Geben und Nehmen.“ Für sie sind die guten Beziehungen zu ihren Mitstudenten auch eine Frage der Anpassung: „Man muss sich als älterer Mensch zurücknehmen können, trotz aller gesammelten Lebenserfahrung. Wenn man andere ständig belehren will, dann schreckt das ab“, erklärt sie. „Ich kann noch so viel lernen, da höre ich lieber zu, anstatt ständig zu erzählen, wie die Dinge aus meiner Sicht sein müssten.“
Ein Glücksfall für das Goethe Institut
In Bukarest absolvierte sie ihr zehnwöchiges Pflichtpraktikum am Goethe Institut im Bereich Bildungskooperation Deutsch. Die Abteilung ist unter anderem für die Förderung des Deutschunterrichts in Primar- und Sekundarschulen sowie für Lehrerfortbildungen verantwortlich. Für Bärbel An, Leiterin der Sprachenabteilung und stellvertretende Leiterin des Goethe Instituts, war die ungewöhnliche Praktikantin „ein absoluter Glücksfall“. „Man merkt schon, dass Frau Kronsbein aufgrund ihres Alters deutlich erfahrener ist und dementsprechend besser mit gewissen Situationen umgehen kann als so mancher Schulabgänger. Das ist ein großer Vorteil für uns.“
Auch Thea Kronsbein fühlte sich beim Goethe Institut sichtlich gut aufgehoben. Eines ihrer Highlights war ein Projekt mit jungen Deutschlehrern in Eforie Nord, wenige Kilometer südlich von Constan]a. „Es war wirklich unglaublich spannend mit Lehrern aus drei verschiedenen Ländern, die frisch in den Beruf eingestiegen sind, zu reden. Aber das Schönste war das gemeinsame Tanzen! Abends waren wir einmal in einem Restaurant, für das wir Coupons hatten. Dort haben auf einer freien Fläche die Menschen angefangen, im Kreis zu tanzen. Jung und Alt, immer mehr kamen dazu, sogar kleine Kinder tanzten mit. Natürlich sind wir dann jeden Abend dorthin gegangen“, erzählt die lebenslustige Frau.
Bei ihrer Arbeit am Goethe Institut schätzt sie vor allem die starke Einbeziehung der Praktikanten, die von der Planungsphase bis zur Evaluation fest in die verschiedenen Projekte eingebunden sind. „Ich würde jederzeit wieder den Bereich Bildungskooperation Deutsch wählen. Ich denke, dass man in diesem Bereich am nächsten an den Menschen dran ist“, resümiert sie.
Die Praktikantinnen unter sich
Auch im Büro der Praktikantinnen wurde eng zusammengearbeitet. „Thea stand uns ‚jungen’ Praktikantinnen in nichts nach“, erklärt Maxi. „Sie war bei jeder Kulturveranstaltung dabei und beherrscht Englisch im Schlaf!“ Auch hier herrscht ein Geben und Nehmen: „Die Zusammenarbeit mit Thea funktionierte ausgesprochen gut. Nicht zuletzt, weil wir gegenseitig voneinander lernen konnten. Verzweifelte Thea gerade wieder an einer Excel-Tabelle, waren Marie und ich als helfende Hände zur Stelle“, beschreibt Maxi den Büroalltag. „Mich fasziniert an Thea, dass sie in dem, was sie tut, zu einhundert Prozent aufgeht. Sie ist so engagiert in ihrem Studium und beim Praktikum, zudem immer offen für Neues und vielseitig interessiert, sodass es sehr großen Spaß gemacht hat, sich mit ihr auszutauschen und mit ihr zusammenzuarbeiten“, ergänzt Marie.
Auch während der Mittagspause oder nach Feierabend unternahm man etwas zusammen. „Wir entdeckten mit Thea regelmäßig mittags das kulinarische Angebot der Läden rund um das Institut und auch abends unternahmen wir manchmal etwas. Beispielsweise gingen wir ins Kino, zu Ausstellungen oder auch mal ins Restaurant“, erzählt Marie.
Überraschungen in Bukarest
Am 31. Oktober endete Thea Kronsbeins Praktikum in Bukarest. Zu der Stadt hatte sie allerdings ein sehr zwiespältiges Verhältnis. „Einerseits hat mir die Stadt mit ihren wunderschönen Gebäuden und großen Parks sehr gut gefallen! Andererseits fühle ich mit den Bukarester Fußgängern, gerade den älteren! Die Bürgersteige sind oft in einem gefährlichen Zustand und die moderne Unterführung am Universitätsplatz ist mit 8 Rolltreppen ausgestattet, von denen maximal eine, meistens aber keine einzige, funktionierte. Und das neben einem großen Krankenhaus!“
Es gab in Rumänien auch Überraschungen für die weltgewandte Dorothea Kronsbein: „Mich überraschte, dass ältere Frauen hier Handküsse bekommen! Schon als ich im März zur Wohnungssuche in Bukarest war, habe ich von einem älteren Herren einen Handkuss bekommen. Ich hatte das damals einfach als positives Erlebnis mit nach Hause genommen und mir nichts weiter dabei gedacht. Als ich für mein Praktikum wieder herkam, bekam ich vom Hausmeister des Instituts zur Begrüßung einen Handkuss.“
Zurück in Fulda wird sich Thea ihrer Master-Arbeit widmen. Was sie nach ihrem Abschluss macht, weiß sie noch nicht genau. „Ich möchte noch einmal in das Berufsleben einsteigen, wenn auch nicht für volle 40 Stunden die Woche. Eine konkrete Vorstellung habe ich noch nicht, aber ein paar Ideen schweben mir schon vor Augen. Zum Beispiel könnte ich mir gut vorstellen, Workshops zu geben oder als Beraterin in Sachen Kulturaustausch tätig zu werden.“ Für Maxi ist der ungewöhnliche Weg der Dorothea Kronsbein jetzt schon ein Vorbild: „Wenn ich mal in Theas Alter komme, dann will ich erstens genauso viel erlebt haben, zweitens genauso gut aussehen und drittens auch nochmal studieren, um ein Auslandspraktikum zu machen!“