Es war ein Wahltag für die Große Nationalversammlung, für den sicher schon vorher das Ergebnis bekannt war – fast hundert Prozent der Stimmen für die vorher auserlesenen Vertreter. Auch sollten diese Wahlen vom Sonntag, dem 15. November 1987, landesweit unter besten Voraussetzungen und ungestört stattfinden. Doch gerade diesbezüglich machten die Arbeiter vom Kronstädter Lastkraftwagenwerk „Steagul roşu“ den Behörden einen Strich durch die Rechnung. Empört darüber, dass die Löhne nicht rechtzeitig ausgezahlt worden waren, verärgert über die schlechten Lebensbedingungen, die sich besonderes in den achtziger Jahren stark verschlechtert hatten, brodelte es schon seit mehreren Tagen unter den Arbeitnehmern.
Die Grundnahrungsmittel wurden laut Karten, natürlich gegen Bezahlung ausgeteilt, in den Wohnungen litten die Menschen wegen der drastischen Sparmaßnahmen unter Kälte und Ausfall der Stromzulieferung. In der Nachtschicht vom 14. auf den 15. November 1987 stellten die Arbeiter der Abteilung 440, spontan ihre Tätigkeit ein, um so gegen das Ausbleiben der Entlohnung zu protestieren. Auch gingen diese nach dem Schichtwechsel nicht nach Hause, sondern warteten auf ihre Kollegen von der Tagesschicht, von denen sie abgelöst werden mussten.
Auf dem Platz zwischen dieser und den anderen Abteilungen (420, 520, und 570) versammelten sich einige Hunderte Arbeiter, die versuchten mit der Betriebsleitung einen Dialog einzuleiten. Die Direktoren verließen aber schnell den „Verhandlungstisch“. Die Empörung stieg weiter an, als der stellvertretende Parteisekretär für Propagandafragen vor diese trat und mit einem Pfeifkonzert empfangen wurde. Die Menschenmasse begann sich zu bewegen und diesen schlossen sich die Arbeiter auch anderer Abteilungen an.
Wurde anfangs laut geschrien: „Wir wollen unser Geld“, so wurden bald immer mehr Stimmen laut die forderten „Wir wollen Licht“, „Wir wollen Heizung“, „Wir wollen Nahrung für unsere Kinder“, „Diebe, Diebe“. Die Menschenmasse bewegte sich von einer Betriebsabteilung zur anderen und stellte sich, etwa 10.30 Uhr, vor dem Verwaltungsgebäude ein. Doch dieses war leer. Das war der psychologische Moment. Als die empörten Arbeiter feststellen mussten, keinen Dialogpartner zu haben, wurde beschlossen in die Stadt zu marschieren und die lokale Parteileitung zu befragen.
Von den etwa 4000 bis 5000 Arbeitern wagten nur einige Hundert den Betrieb zu verlassen, um dann durch die Poienelor-, die Bukarester-Straße und Brunnengasse, damals Lenin Boulevard, den Marsch aufzunehmen. Dann begannen auch die Solidaritätsbekundungen. Im Gebiet des Krankenhauses tönte jemand das bekannte Lied „Deşteaptă-te române“ (Wache auf Rumäne) an, das nach 1989 zur Staatshymne erklärt wurde. Unzählige Stadtbewohner flankierten die Gehsteige der Straßen auf denen die in Arbeitskleidung marschierenden Lkw-Bauer ins Stadtzentrum zogen.
Zum ersten Mal hörte man da die Rufe „Jos Ceauşescu“ und „Jos comunismul“. Ein Dialog vor dem Gebäude des Kreisparteikomitees mit dem ersten Sekretären der Stadt, Dumitru Calancea, scheiterte ebenfalls, worauf die Masse das Gebäude stürmte. Die am Gebäude befindlichen Fahnen und das Porträt des Diktators wurden in die Tiefe geworfen und angezündet, aus dem Lebensmittellager der Kantine wurden die so raren Lebensmittel wie Käse oder Salami, aus den Büroräumen Einrichtungsgegenstände auf die Straße geworfen. Auch der Sitz des Stadtparteikomitees, dem jetzigen Bürgermeisteramt, blieb nicht verschont bis die Einsatzkräfte gegen die Protestierenden eintrafen. Über 300 Personen wurden verhaftet, die Menschenmasse wurde vertrieben.
Das internationale Echo diese Aufstands blieb nicht aus, sodass auch die Befürchtungen, dass einige sogar zu Tode verurteilt werden, nicht eintrafen. Von den rund 500 festgenommenen und anschließend verhörten Personen in den Kellern der Miliz und Securitate von Bukarest und Kronstadt wurden 61 der Teilnehmer zu unterschiedlichen Haftjahren und Zwangsaufenthalt in anderen Landesteilen verurteilt, andere 27 wurden an andere Arbeitsstellen versetzt.
Darunter befanden sich auch Personen, die nicht im Werk arbeiteten, sich spontan aber der Aktion angeschlossen hatten. Bisher sind 12 der 61 Verurteilten gestorben. In dem Prozess der im Lastkraftwagenwerk auch als Mahnveranstaltung stattfand, wurden zu drei Jahren Gefängnis Aurică Geneti (geboren 1963), Florin Mutihac (1963), Gheorghe Duduc (1932), Werner Sommerauer (1936) verurteilt. Zu vermerken: Sommerauer war nicht im Lastkraftwagenwerk tätig, sondern als Installateur im Sanitätslyzeum, im Lkw-Werk arbeitete seine Frau. Er schloss sich spontan, so wie andere Kronstädter, dem Protestmarsch an.
Zu zweieinhalb Jahren Gefängnis wurden verurteilt: Ioan Ştefănoiu (1960), Gheorghe Gyerko (1963), Dumitru Broască (1957), Costică Sbârn (1958), Niculai Bordei (1931), Cristian Zavela (1965), Tudor Lucian Toma (1968), Ovidiu Mocanu (1969), Nicuşor Cojocea (1962), Ioan Grădinaru (1955), Petrică Dascălu (1956), Ioan Bruma (1960).
Zweijährige Haftstrafen erhielten: Josif Farkas (1958), Vasile Mureşan (1962), Pavel Nicuşari (1956), Daniel Anghel (1959), Vasile Anghel (1959), Constantin State (1962), Radu Duduc (1968), Andras Gergely (1969), Marian Ricu (1936), Constantin Cocan (1940), Gavril² Maniu (1964), Florin Tulai (1964), Ionel Ilie (1969), Marius Neculăescu (1963), Cornel Pavel Vulpe (1969), Dumitru Năstase (1969), Nicuţă Paraschiv (1959), Aurel Hossu (1966), Mihai Macovei (1966), Iosif Csomos (1968), Gheorghe Zaharia (1950), Enea Puşcaşu (1954).
Für eineinhalb Jahr kamen hinter Gitter: Gheorghe Oprişan (1956), Mircea Sevaciuc (1954), Stan Voinea (1958), Arpad Gergely (1948), Eugen Tudose (1960), Aurel Buceanu (1950), Petru Creangă (1955), Puiu Apetroaiei (1963), Aurel Huian (1959), Ciprian Pintea (1963).
Zu je einem Jahr wurden verurteilt: Costică Băhnăreanu (1954), Petru Pricope (1960), Marius Petre Boeriu (1937), Gheorghe Banciu (1956), Gheorghe Haldan (1957), Dumitru Robotă (1954), Vasile Vieru (1951), Ludovic Vitos (1957).
Und schließlich zu sechs Monaten Haft wurden folgende verurteilt: Denes Bencze (1965), Ştefan Micu (1956), Gavrilă Filichi (1953), Ion Năstase (1930), Dănuţ Iacob (1968). Diese Auflistung der Verurteilten erscheint zum ersten Mal in der deutschsprachigen Presse Rumäniens.
Vorsitzender der Gerichtsinstanz war Ştefan Pană, Richter Dumitru Comşa.
Der gegenwärtige Vorsitzende des Vereins 15. November 1987, Florin Postolachi, beteiligte sich auch an dem Aufstand, wurde verhört, doch kam er ohne Haftstrafe davon. In dem am 3. Dezember 1987 stattgefundenen Prozess, betrachtet man die Geburtsjahre der Verurteilten, wurden vor allem Strafen gegen die jugendlichen Teilnehmer ausgesprochen. Innerhalb von zehn Tagen konnte Widerspruch eingelegt werden. Doch dazu kam es nicht.
Der Oberste Gerichtshof beschloss nach der Wende in seiner öffentlichen Sitzung vom 23. Februar 1990, die 1987 ausgesprochenen Urteile zu annullieren. Nach der Wende konnten die Verurteilten wieder heimkehren. Am 2. Januar 1990 wurde der Verein „15 Noiembrie l987“ gegründet. Zwar konnten die meisten ehemaligen Verurteilten ihre Arbeitsplätze wieder einnehmen, doch dieses nicht für lange Zeit, da im Jahre 2002 in dem auch die 15 Jahre seit dem Aufstand begangen wurden, der Betrieb restrukturiert wurde, wobei die meisten Mitglieder des Vereins die Reihen der Arbeitslosen stärkten.
Der Arbeiteraufstand aus dem Jahre 1987 in Kronstadt ist die bedeutendste antikommunistische Aktion in den Jahren der Diktatur gewesen. Zu verzeichnen wäre die Aktion des Dissidenten und Schriftstellers Paul Goma, der 1977 ein Solidaritätsschreiben an die Bewegung „Charta 77“ in der Tschechoslowakei richtete, sowie der Streik im gleichen Jahr der Bergwerkarbeiter von Lupeni deren Anführer ebenfalls Zwangsaufenthalt erhielten oder an andere Arbeitsstellen versetzt wurden. Während des Streiks waren die vom Zentralkomitee der Kommunistischen Partei entsendeten Unterhändler festgenommen worden und wurden erst nach dem persönlichen Einsatz von Nicolae Ceauşescu befreit.
Was die Kronstädter Arbeiterrevolte betrifft, wurde bisher öfters verabsäumt, deren antikommunistischen Charakter hervorzuheben, und dass dabei erstmals das Abdanken des Diktators gefordert wurde. Auch wird kaum die Solidaritätsaktion der drei Kronstädter Studenten Cătălin Bia, Lucian Silaghi und Horia Şerban erwähnt, die am 22. November, fünf Tage nach dem Aufstand und den vorgenommenen Verhaftungen, ein Transparent bei der Studentenkantine in der Memorandului-Straße anbrachten mit der Inschrift „Die verhafteten Arbeiter dürfen nicht sterben“.
Weitere drei Kronstädter Studenten, Mihai Torjo, Marian Brâncoveanu und Marian Lupoi, haben am 15. Dezember 1987, durch Beschriftungen auf Wänden innerhalb der Kronstädter Universität die Freilassung der Verhafteten gefordert. Alle wurden aus der Universität ausgeschlossen und verurteilt.
Leider gibt es bis heute in Kronstadt kein Museum des antikommunistischen Widerstandes, obwohl es längst fällig wäre, und besonders vom Verein der ehemaligen politischen Häftlinge und der Leitung des Vereins 15. November 1987 immer wieder gefordert wurde. In einem solchen Museum müssten dabei auch die Partisanenkämpfe im Fogarascher Gebirge und am Königstein, der Schriftstellerprozess und der Schwarze-Kirche-Prozess ihren Platz finden. Bei den diesjährigen Jubiläumsveranstaltungen (eine Ausstellung am Alten Marktplatz unter dem Titel „Kronstadt auf der europäischen Landkarte des antikommunistischen Kampfes. Widerstandsbewegungen in Zentral- und Osteuropa“ bis zum 26. November, eine wissenschaftliche Tagung, Kranzniederlegungen, Sportwettkämpfe ), könnte ein diesbezüglicher Beschluss gefasst werden, der dann aber umgesetzt werden müsste.