Glossen aus dem „Land der Geschichten“ – Debüt-Ritterschlag für Nina May

Foto: George Dumitriu

Im Pop Verlag, Ludwigsburg, erscheint in diesen Tagen eine Sammlung mit Glossen von Nina May unter dem Titel „Das gibt’s doch gar nicht! Die Walachei ist nicht im Nirgendwo, sondern mitten unter uns“. Der Verlag hat das überzeugende Buch mit seinem Debütpreis gewürdigt. Die Preisverleihung wird voraussichtlich während der Buchpräsentation, der „lansare“, Mitte September in Hermannstadt stattfinden.
 
Wussten Sie schon, dass Sie mit „Țăraning “ kräftig, gesund und beweglich bleiben, ohne jemals ein Fitnessstudio zu betreten („Auf ins Sportstudio!“)? Dass es fast einem Schicksalsschlag gleichkommt, wenn der Mechaniker mitten im siebenbürgischen Outback nachdenklich „etwas Großes“ am kaputten Auto diagnostiziert und sich auf das Eigentliche nicht näher festlegen will („Glück und Pech“)? Dass Ihnen gelegentlich der „Wohnwagen“ aus der Hosentasche fallen kann, wenn Sie die Sünde eines Vokalverdrehers begehen? Rulotă versus ruletă in „Der Wohnwagen aus der Hose“. Wussten Sie, wie eine Reparatur trotz allem gelingt, wenn drei Handwerker ohne Werkzeug und Leiter, aber fest in den Hosentaschen versenkten Händen anrücken, um nach längerem Diagnosepalaver einen größeren Schaden zu beheben („Mangelgesellschaft“)? Und welche uralten Sammler- und Jägerinstinkte man auspacken muss, um am übervollen Büffet nicht zu verhungern („Milieustudien am Büffet“)?

Das alles und sehr, sehr viel mehr ist in Nina Mays Glossensammlung aus dem Pop Verlag nachzulesen. Von der humorvoll-ironischen Erzählhaltung her ist es – entfernt – eine Art Gregor von Rezzori’sches „Maghrebinien“, aber weder Land noch Leute entspringen der überbordenden Phantasie, sondern die „Walachei“ Nina Mays ist Realität, die jeglichem Faktencheck standhält: Sie ist geographische Wirklichkeit und mental-kulturell bedingte  Verhaltensrealität in einem — angesiedelt im Zentrum des heutigen neuen Europa an seiner aufstrebenden Peripherie Rumänien.

Glossen sind eine journalistische Disziplin der Meinungsäußerung. Nina May äußert ihre Meinung zu den vielfältigsten Alltagsthemen. Sie kommentiert die Tücken der vermeintlich stabilen Normalität, die aber einer näheren Prüfung nicht standhalten kann.  Sie entdeckt Neues, wo alt Eingefahrenes scheinbar unverrückbar ist. Sie öffnet den Blick für manch Eigenartiges (Stempelsucht, Klopapier …) , aber auch für die unscheinbaren Details des Lebens, die indessen bei näherer Betrachtung zu einem essenziellen Lebensinhalt mutieren können: beispielsweise die aktiv unterstützte Geburt einer fingerkuppengroßen Wasserschildkröte.

In neun Kapiteln sieht man durch Nina Mays Kommentar-Brennglas Facetten der Wirklichkeit, die man bisher entweder nicht kannte oder die man übersehen oder gar falsch verstanden hat:  „Hurra – in Rumänien!“, „Kulturelle Kollisionen“, „Trautes Heim“, „Kuriose Arbeitswelt“, „Alltagswahnsinn“, „Alles, was recht ist“, „Sprachverwirrnisse“, „Über Stock und Stein“, „Geliebte Technik“.

Die Beschreibungsakuratesse einer wissenschaftlich geformten Physikerin und die Parlandoakkrobatik einer im besten Sinne erfrischend nicht-rumäniendeutschen Autorin, die in Rumänien lebt und die dortigen Realitäten in deutscher Sprache beschreibt; ferner: die unverformte Neugier eines geistig jung gebliebenen Menschen und die Wohlgesonnenheit einer durch und durch positiv eingestellten Autorin – sie bestechen in diesen griesgrämigen Zeiten jeden Leser. Nina May bekennt sich dazu: „Wer schreibt über solche Dinge? Das ist meine Nische! Die schillernde Buntheit des Lebens in Rumänien schildern, so, wie ich sie erlebe. Mal bewundernd, mal kritisierend, mal staunend, mal verblüfft. Aber immer zutiefst ehrlich – und mit einem liebevollen Augenzwinkern im Hintergrund.“

Für die deutschsprachige Literatur der Gegenwart in, aus und über Rumänien ist sie sehr wohl eine Bereicherung. Erstens: Durch den unverstellten Blick auf sattsam bekannte Realitäten an einer mitteleuropäischen Schnittstelle zum Balkan, die von den deutschen Natives des Landes noch nie so burlesk-pikaresk, humorvoll-ironisch  wahrgenommen worden ist. Zweitens: Durch das erfrischend-sprühende Parlando eines deutschen Binnensprachlers, der sich innovativ und bemerkenswert vom zwar überaus korrekten, aber oftmals gestanzten und inselreduzierten Deutsch des deutschsprachigen Literaturkanons Rumäniens abhebt. Insofern ist auch die Frage beantwortet, ob Nina May zur deutschen Literatur dieses Landes zu zählen ist: Ja, sie ist es zweifellos, denn ihre Glossen transzendieren die rein journalistischen Schranken und ragen deutlich in die Ebene der literarischen Wirklichkeitsbewältigung hinein.  

Warum Lebenshilfeseminare aufsuchen, Persönlichkeitscoaching frequentieren oder seichte Texte zur seelischen Betreuung lesen? In Nina Mays Glossen finden Sie alles: Zuspruch, Orientierung, Bestätigung, Witz, Relativierung  und Verstand. Das Buch liest sich wie ein Instrumentenkasten dessen, wie im Leben Wichtiges von Unwichtigem zu trennen ist, wie tiefe Menschlichkeit auf- und Egomanie und Fremdheit abgebaut werden können, wie das Eigentliche vom Uneigentlichen zu scheiden ist.

Wer ohnehin Spaß am Lesen hat, aber auch derjenige, der die kultivierte Lebensfreude des Lesens (neu) entdecken will, kommt mit diesem Buch voll auf seine Kosten.



Signierstunden zum Großen Sachsentreffen

Beim diesjährigen Großen Sachsentreffen in Hermannstadt/Sibiu wird der Ludwigsburger POP Verlag mit mehreren Neuerscheinungen präsent sein:

Am Freitag, dem 2. August, mit dem neuen Buch „Das gibt’s doch gar nicht! Die Walachei ist nicht im Nirgendwo, sondern mitten unter uns“ (ISBN 978-3-86356-405-6; 372 Seiten) von Nina May, das die Autorin um 17 Uhr im Erasmus Büchercafe gerne signieren und Fragen dazu beantworten wird. 

Die Autorin Dagmar Dusil wird mit zwei Neuerscheinungen vertreten sein, dem Roman „Das Geheimnis der stummen Klänge“ (ISBN 978-3-86356-394-3, 220 Seiten) sowie der Anthologie „Im Schnee der Erinnerungen. Hermannstadt: dokumentiert – erinnert – recherchiert“(ISBN 978-3-86356-407-0, 444 Seiten), die sie am Samstag, dem 3. August um 14 Uhr in Anwesenheit der beitragenden Autoren im Spiegelsaal des Deutschen Forums präsentiert. 

Am Sonntag, 4. August, folgt im Anschluss an den Gottesdienst in der Rothberger Kirche eine weitere Signierstunde für den frisch erschienenen Sammelband „Reise nach Rothberg“ (Reihe Lesezeichen, Bd. 4, ISBN 978-3-86356-403-2, 512 Seiten), mit dem der POP Verlag das Werk und Wirken des Pfarrers und Schriftstellers Eginald Schlattner in einer Gesamtschau vorstellt. 

Alle Bücher sind im Erasmus-Büchercafe oder der Schiller-Buchhandlung erhältlich.