Wussten Sie, dass metallene Schienen und Weichen, erstmals 1535 dokumentiert, bereits für die Minen-Transportwägelchen (Hunte) in Roșia Montană verwendet wurden? „Eines davon ist heute im Berliner Transportmuseum ausgestellt, hier bei uns befindet sich nur eine Kopie“, leitet Mircea Dorobanțu, Direktor des Bukarester Eisenbahnmuseums, die Vorstellung des neuen Buchs von Dr. Volker Wollmann ein: „Un mileniu și jumătate de minerit aurifer la Roșia Montană“ – eineinhalb Jahrtausend Goldabbau in Roșia Montană werden darin wissenschaftlich beleuchtet. Wollmann füllt damit eine Lücke in der hiesigen Industriegeschichte, dem stark vernachlässigten Stiefkind der Historiker in Rumänien. Der Bergwerkskomplex als Wiege der modernen Eisenbahn – Grund genug für die Wahl des CFR-Museums als Veranstaltungsort. Am Tag zuvor war das Werk auch in Karlsburg/Alba Iulia als Teil der Schriftenreihe „Bibliotheca Musei Apulensis“, die parallel zum Jahrbuch des Museums der Vereinigung erscheint, präsentiert worden.
„Das Buch ist mein Lieblingskind geworden“, gesteht Volker Wollmann, der die Geschichte des Erzabbaus in Rumänien seit etwa 50 Jahren erforscht und so ausführlich wie kaum ein anderer dokumentiert hat (siehe auch ADZ vom 24. April 2016: www.adz.ro/artikel/artikel/alles-begann-mit-den-wachstaefelchen/). Nicht nur in Fachkreisen sind seine Buchreihe „Silber und Salz in Siebenbürgen“ (10 Bände) sowie die 6-bändige Serie über vorindustrielles und industrielles Kulturerbe, „Patrimoniu preindustrial și industrial în România“, bekannt. Der siebte – und angeblich letzte Band, wenn man dem Autor glauben darf – soll im nächsten Jahr erscheinen, kündigt Wollmann an. „Irgendwann muss genug sein“, verweist er auf die etwa 90.000 Kilometer, die er auf Dokumentationsreisen in Rumänien zurückgelegt hat.
Wollmanns Publikationen zu Roșia Montană gehören auch für das Nationale Institut für Denkmalschutz (INP) zu den wichtigsten Quellen, so Direktor Ștefan Bălici. Das Institut befasst sich aktuell mit der Inventarisierung in Roșia Montană und war auch mit der Erstellung des Dossiers befasst, das die Aufnahme des historischen Bergbaukomplexes mitsamt seiner spezifischen Kulturlandschaft in das UNESCO-Welterbe motivieren soll. Irina Iamandescu, Direktorin der Abteilung für immobiles Kulturerbe im INP, weiß auch Wollmanns Arbeiten über industrielles Kulturerbe zu schätzen: dieses sei in Rumänien nur unzureichend beschrieben und daher völlig ungeschützt. Auch Constantin Inel, der stellvertretende Direktor des Museums der Vereinigung in Karlsburg, würdigt die Bedeutung der langjährigen Dokumentationsarbeit des aus Mühlbach/Sebeș stammenden Forschers. Ein großer Teil dieses Kulturerbes, bedauert Wollmann, ist jedoch bereits verloren.
Eineinhalb Jahrtausende Goldabbau in Roșia Montană – ein 312 Seiten starkes und grafisch ansprechend gestaltetes Buch – richtet sich in erster Linie an Historiker, ist aber auch für interessierte Laien attraktiv. Wollmann arbeitete darin in etwa zweieinhalb Jahren das für verschiedene Projekte in der Vergangenheit gesammelte Material zur Geschichte des Erzabbaus ab dem 4. Jahrhundert – die Zeit davor sei bereits ausführlich erforscht und beschrieben – wissenschaftlich gründlich auf. Den rumänischen Fachbegriffen wird übrigens stets der deutsche Terminus technikus in Klammern beigefügt, was deutschsprachigen Lesern das Verständnis erleichtert. „Leider gibt es diesmal keine fremdsprachigen Zusammenfassungen der Kapitel“, bedauert jedoch der Autor.
Das Buch beginnt mit der Geschichte der Erforschung Roșia Montanăs, archäologischen Entdeckungen, dem Erzreichtum der Region, den Anfängen des Goldabbaus. Anschließend werden archäologische und historische Beweise einer Fortsetzung des Bergbaus auch nach dem Rückzug der Römer aus dem besetzten Dakien beschrieben. Weitere Highlights: die Techniken, die den Bergbau in Siebenbürgen vom 17. bis 19. Jahrhundert revolutionierten, bekannt aus den Beschreibungen und Illustrationen von Georgius Agricola „De re metallica libri XII“, der Habsburger Merkantilismus im 18. Jahrhundert, die Reformen und Maßnahmen zur Zeit Maria Theresias (1740-1780). Auch nicht-technische Themen werden aufgegriffen: die medizinische Infrastruktur zur Behandlung typischer Berufskrankheiten; Schulen – Roșia Montanș war neben Săcărâmb der einzige Ort im Siebenbürgischen Erzgebirge, wo es neben Grundschulen auch eine Bergbauschule gab –, Kirchen und soziale Institutionen. Tabellen, Statistiken und eine Vielzahl technischer Skizzen untermauern die Dokumentation und runden das Bild ab. Fotografien erzählen ihre eigene Geschichte: 1930 – eine Gruppe Kinder kommt mit schwer beladenen Körben auf dem Rücken aus der Mine; 1935 – ein hölzerner Hunt wird manuell auf Schienen manövriert, daneben wartet ein Esel mit Tragekörben; primitive, zugespitzte Steinwerkzeuge, die im Mittelalter zum Erzabbau verwendet wurden; Tiegellampen aus der Mine Gheorghe (13.-14. Jahrhundert?); ein Holzbau mit riesigen Schöpfrädern für die Evakuierung von Wasser aus dem Bergwerk; eine Postkarte aus dem Jahr 1910, die Goldwäscher bei der Arbeit zeigt, auf Holzbottichen sitzend, daneben wartet ein „feiner Pinkel“ von der Minenvereinigung im hellen Anzug mit Hut; oder die gruselig anmutenden unterirdischen Aufnahmen der längst verlassenen Stollen mit zurückgelassenen, verrostenden Maschinen. Geschichte zum Anfassen, hautnah.