Picknick unter Eichen, Gedichte, die an Bäumen hängen, Theater in der Scheune, kalter Wein unter dem Sternenhimmel und eine bunte Katzenstatuette mit einer Feder – das verspricht in diesem Herbst das Kulturtreffen aus Katzendorf. Wer in das Dorf gelangt, das 9 Kilometer weit von Reps entfernt liegt, begibt sich in eine Zeitmaschine. Schon wenn man auf dem kleinen Bahnhof aus dem Personenzug steigt, wird man in längst vergangene Zeiten versetzt: Pferdewagen, Schaf- und Kuhherden, staubige Straßen, bröckelnde Häuser und eine Stille, die fast therapeutisch wirkt. Im Zentrum des Dorfes angelangt, öffnet man das Tor zum Pfarrhof und tritt in ein kleines Paradies: ein wunderschöner, grüner Garten, hohe Linden, ein Kirchturm aus dem Mittelalter. Man kann gut verstehen, was so viele ausländische und rumänische Künstler Jahr für Jahr hierher lockt. Multikulturell, bunt und unkonventionell – so wird das Kulturtreffen sein, das vom 3. bis zum 5. Oktober hier stattfinden wird. Der Initiator der Veranstaltung ist der in Berlin und Katzendorf lebende rumäniendeutsche Schriftsteller und Drehbuchautor Frieder Schuller. Über das Katzendorfer Kulturtreffen, den Beruf des Dorfschreibers und die Katze mit der Feder, aber auch vieles andere, sprach mit Frieder Schuller ADZ-Redakteurin Elise Wilk.
Die Katzendorfer Kulturtage im ehemaligen Pfarrhof organisieren Sie schon seit 1992. Wie in der Einladung steht, die sie jedes Jahr schicken, handelt es sich um „Begegnungen auf Rumänisch, Ungarisch und Deutsch mit Dichtern, Musikern, Malern, Bauern, Roma und Neugierigen“. Wie kamen Sie in den neunziger Jahren auf diese Idee?
Ich wurde in Katzendorf geboren, mein Vater war hier evangelischer Pfarrer. Schon früh sind wir nach Heldsdorf umgezogen, aber ich habe mich immer mit Katzendorf verbunden gefühlt. Als ich nach der Wende nach Rumänien zurückkehrte, restaurierte ich das ehemalige Pfarrhaus. Es ist für mich zum zweiten Quartier geworden, neben meiner Wohnung in Berlin. Auf die Idee, ein mehrsprachiges Kulturtreffen zu organisieren, kam ich, weil ich den Ausländern die Schönheit dieses Gebiets zeigen wollte. Viele hatten keine Ahnung davon. Beim ersten Treffen kamen über 300 Leute. Sie wurden im Dorf untergebracht. 1994 folgte ein neues Treffen. Im ersten Charter-Flugzeug, das auf dem Hermannstädter Flughafen landete, war ein Chor aus Landshut an Bord, der hier in der Scheune aufgetreten ist. Ich habe auch die rumänische Staatsphilharmonie eingeladen, die das Oratorium „Paulus“ von Mendelssohn-Bartholdy aufgeführt hat. Das Fest hatte unheimlichen Erfolg, es berichtete sogar die „Süddeutsche Zeitung“ davon.
Was fasziniert Ihrer Meinung nach die Ausländer an Katzendorf?
Sie kommen in eine andere Welt. Hier führen sie ein einfaches, sorgenfreies Leben. Sie werden in den Häusern der Dorfbewohner untergebracht, sie können in den Kirchturm steigen und die gesamte Landschaft bewundern, die Frauen aus dem Dorf kochen für sie. Außerdem werden sie kulturell bestens versorgt. Es gibt jedes Jahr Lesungen auf dem sächsischen Friedhof, der aussieht wie ein wilder Park. Dann fahren wir alle nach Streitfort/Mercheaşa zu den tausendjährigen Eichen und machen Picknick unter dem dicksten Baum Südosteuropas. Oder wir fahren zur Senne, wo wir uns bei frischem Käse und Wein mit den Schäfern unterhalten und ich aus dem rumänischen Volksgedicht „Mioriţa“ vorlese. So eine Atmosphäre kann man nirgendwo mehr finden. Das Wichtigste ist das gemeinsame Essen. Es wird entweder draußen oder in der Scheune ein riesiger Tisch aufgesetzt. Die Frauen aus dem Dorf kochen, es werden Wein und ţuică probiert. Im Garten hängen Gedichte an den Bäumen, immer zweisprachig auf Deutsch und Rumänisch. Es ist eine gute Gelegenheit, interessante Leute kennenzulernen und sich bis spät in die Nacht zu unterhalten. Früher haben sich die Veranstaltungen über eine Woche hingezogen, jetzt dauern sie drei Tage.
Auch rumänische Künstler kommen immer wieder nach Katzendorf. Wen erwarten Sie in diesem Jahr?
Vielen Schauspielern, Schriftstellern und Musikern gefällt es hier sehr gut. Unter den Gästen waren in den vorigen Jahren Maia Morgenstern, Johnny Răducanu, Mircea Dinescu, Ana Blandiana, Mircea Diaconu, Ion Mureşan oder Ioana Crăciunescu. Sie sind immer herzlich eingeladen. Das Kulturfest ist auch ein Treffpunkt für rumänische Künstler, die jetzt im Ausland wohnen. Dieses Jahr habe ich den in der Schweiz lebenden Schriftsteller Cătălin Dorian Florescu einladen. Gute Musik wird es auch geben. Die Band „Zmei Trei“ des in Berlin lebenden Künstlers Mihai Iliescu wird ein Konzert im Garten veranstalten.
Voriges Jahr wurde in der Scheune ihr Stück „Ossis Stein oder Der werfe das erste Buch“ von der deutschen Abteilung des Hermannstädter Theaters „Radu Stanca“ aufgeführt. Dieses Jahr folgt eine neue Uraufführung.
Ja, es handelt sich um das Theaterstück „Tanz mit der Stille“, das ich vor 20 Jahren geschrieben habe. Es war ursprünglich ein Monolog, aber inzwischen habe ich es umgeschrieben und noch zwei Personen dazuerfunden. „Tanz mit der Stille“ ist die Geschichte einer berühmten Schauspielerin, die aus dem kommunistischen Rumänien flieht und versucht, sich in Deutschland einen Namen zu machen. Auch dieses Stück wird von der deutschen Abteilung des Radu-Stanca-Theaters aufgeführt und wird nachher auch in Hermannstadt Premiere haben. Für die Hauptrolle brauchten wir eine ältere Schauspielerin, die das Theater nicht hatte, also fand ich jemanden aus Deutschland. Es handelt sich um die Schauspielerin Ria Schindler, die in Mediasch geboren wurde und mit 19 Jahren nach Deutschland auswanderte. Hier wurde sie sehr bekannt. Sie war in über 100 Folgen der Serie „Lindenstraße“ zu sehen, spielt aber auch auf Bühnen in München oder Stuttgart.
Wer wird Regie führen?
Meine Tochter Marie Schuller. Sie lebt in London, wo sie Filmkunst und Fotografie studiert hat und als Assistentin des berühmten Mode-Fotografen Nick Knight arbeitet. Obwohl ihr Schwerpunkt in Mode-Videos liegt, wird sie es diesmal mit Theater versuchen. Das Bühnenbild macht mein Sohn Hannes Schuller. Meine Kinder sind in der ganzen Welt verstreut, kommen aber immer sehr gerne nach Katzendorf. Im September finden die Proben in der Scheune statt. Am 5. Oktober um 18 Uhr geht’s dann los.
Der Höhepunkt des Kulturtreffens wird auch dieses Jahr die Verleihung des Preises „Dorfschreiber von Katzendorf“ sein. Dieses Mal wird der Preis an die Schriftstellerin Carmen Francesca Banciu gehen. Sie wird ein Jahr lang kostenlos in Katzendorf untergebracht, um in aller Ruhe schreiben zu können. Ein Traum fast jedes Schriftstellers. Wie kamen Sie auf die Idee? Wie haben sich die ersten zwei Dorfschreiber in Katzendorf gefühlt?
Im deutschsprachigen Raum gibt es ja den Begriff „Stadtschreiber“. Da dachte ich mir, hier in Katzendorf wäre es interessant, einen Dorfschreiber zu haben. Im Sommer 2010 erschien vor meiner Tür plötzlich der Schriftsteller Elmar Schenkel. Er war auf einer Fahrradtour bis nach Rumänien gekommen. „Er passt in die Landschaft“, dachte ich damals. 2011 wurde er dann zum ersten Dorfschreiber. Er hat ein wenig Rumänisch gelernt und konnte sich mit den Dorfbewohnern unterhalten. Er hat erzählt: „Immer, wenn ich aus dem Pfarrhof hinaustrat, geschah etwas.“ Über das Jahr im Dorf entstand das Buch „Mein Katzenbuch“. Der zweite Dorfschreiber war Jürgen Israel. Als Dorfschreiber ist man nicht an Katzendorf gebunden, man kann auch ab und zu zurück nach Deutschland. Israel blieb aber das ganze Jahr über da. Er befreundete sich mit den Hirten, lernte Rumänisch, ging in die Dorfkneipen. Die Entscheidung, wer Dorfschreiber in Katzendorf wird, trifft eine Jury des Exil Pen Clubs. Für 2014 wurde Carmen Francesca Banciu ausgewählt. Am 4. Oktober wird ihr dann die Katzen-Statuette mit Feder, vom Bildhauer Daniel Răduţă geschaffen, in festlichem Rahmen verliehen. Wie es auch in der Einladung steht, „sie kann wohnen nach Schreibenslust ein Jahr lang im Pfarrhof von Katzendorf und ihr Preisgeld als tägliches Brot mitnehmen. Sie kann und soll sich umsehen, in die Sprache der Dorfbewohner hineinhören, sich wundern, mitreden um einen Dichterbeitrag zum gegenwärtigen Transsylvanien hinzuzufügen“.
Die Organisation der Kulturtage ist sicher keine leichte Sache. Haben Sie noch Zeit, an anderen Projekten zu arbeiten?
In dieser Zeit arbeite ich an einem Filmprojekt. Es geht um den jüdischen Elektrotechniker Siegfried Jägendorf, der Oskar Schindler Rumäniens, der im Deportationsort Moghilev-Podolski eine Fabrik eröffnete, in der 10.000 Juden den Holocaust überlebten. Ich arbeite mit einer Produktionsfirma aus Dresden zusammen, es wird ein Dokumentarfilm sein.
Sie haben zwei Zuhause, die sehr verschieden sind: die Großmetropole Berlin und das ruhige Katzendorf in Siebenbürgen.
Beide passen zu mir. Ich lebe in zwei Welten. Meine Kollegen, die Filmregisseure sind, erzählen von ihren Ferienhäusern auf der französischen Riviera oder auf exotischen Inseln. Ich erzähle ihnen von meinem Haus in Transsylvanien. Ich bin stolz, dass ich auch hier wohnen kann.
Herr Schuller, wir danken Ihnen für das Gespräch.