„Nichts für uns Roma ohne uns“

Die größte Minderheit Europas ist Thema in der Intergruppe des EU-Parlaments

Im neuen Europaparlament sitzt kein Vertreter der Roma mehr, obwohl sie und ihre Untergruppen mit rund sechs Millionen Angehörigen die größte nationale Minderheit in der EU sind. Das allein schon sage viel aus, meinte Costel Bercu{ bei der jüngsten Sitzung der  Interfraktionellen Arbeitsgruppe Traditionelle Minderheiten, nationale Gemeinschaften und Landessprachen.

Er war eingeladen worden, die Lage der Roma in Europa zu erläutern. Costel Bercu{ ist Berater für europäische Angelegenheiten der 1991 gegründeten rumänischen Roma-Partei Partida Romilor Pro-Europa (PRPE). Sie hat erst kürzlich ein Vertretungsbüro in Straßburg eröffnet, um die Anliegen der Roma in Europa voranzutreiben.

In Rumänien sitzt – anders als im Europaparlament und in vielen Parlamenten der einzelnen Mitgliedsstaaten – ein Rom in der Abgeordnetenkammer, denn die Verfassung garantiert jeder anerkannten nationalen Minderheit ein Mandat in Bukarest. Für die PRPE hat diesen Sitz ihr Präsident Nicolae P²un  inne. Die Roma-Partei stellte zwischen 1991 und 2024 darüber hinaus über 1600 Gemeinde- und Bezirksräte und in einigen Gemeinden auch den Bürgermeister.
Die nationalen Strategien für das Roma-Jahrzehnt seien gescheitert, obwohl die Europäische Union wirklich viel investiert habe, sagte der Vorsitzende der Intergruppe, Loránt Vincze einleitend bei der Sitzung. Der ungarische EU-Abgeordnete aus Siebenbürgen ist auch Präsident der Föderalistischen Union Europäischer Volksgruppen.

Bercu{ verwies in seiner Präsentation auf die leidvolle Geschichte der Roma in Europa: „Vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert waren viele Roma Opfer von Sklaverei, Zwangsassimilation und systematischer Ausgrenzung“, schilderte er. Diese historischen Ungerechtigkeiten hätten die heutige Realität geprägt, in der viele Roma-Gemeinschaften immer noch mit erheblichen Hindernissen beim Zugang zu Bildung, Beschäftigung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung konfrontiert seien.
Trotz aller Anstrengungen sei Europa heute „Zeuge eines alarmierenden Trends, der zunehmenden sozialen Polarisierung, der wachsenden Intoleranz und der Zunahme von Hassreden und Gewalt. Anstatt als Gleichberechtigte behandelt zu werden, bleiben die Roma in Europa in einem Kreislauf der Ausgrenzung und Marginalisierung gefangen“, sagte Bercu{ und fuhr fort: „Rechtsextremismus, Hassrhetorik, Neonazismus und neoreligiöse Ideologie breiten sich auf dem ganzen Kontinent aus, und die Roma gehören zusammen mit anderen Minderheiten zu den ersten, die zur Zielscheibe werden. Noch beunruhigender ist das Schweigen der politischen Akteure. Gleichgültigkeit ist zur Norm geworden.“

Die soziale und wirtschaftliche Kluft zwischen den Roma und der Mehrheitsbevölkerung schließe sich nicht, sondern werde immer größer, schilderte Bercu{: „Fast acht von zehn Roma leben unterhalb der Armutsgrenze. Die durchschnittliche Lebenserwartung der Roma ist zehn Jahre niedriger als die der Gesamtbevölkerung. In einigen Regionen liegt die Schulabbrecherquote bei über 60 Prozent, und der Zugang zu höherer Bildung ist fast nicht vorhanden.“
In viel zu vielen Mitgliedstaaten seien die Stimmen der Roma im Parlament, in der Regierung und in den etablierten politischen Parteien nicht zu hören. Selbst diejenigen, die sich als pro-europäisch bezeichnen, nähmen oft keine Roma-Kandidaten in ihre Wahllisten auf. „Das muss sich ändern!“, forderte Bercu{ und rief: „Führen Sie beispielsweise Quoten für die Vertretung von Minderheiten, einschließlich der Roma, ein.“ Die Wahrnehmung in der Mehrheitsbevölkerung müsse dahingehend geändert werden, dass sie erkennt, dass die Roma ein Gewinn für die ganze Gesellschaft sind.

Bercu{ warb um Unterstützung für die Anliegen der Roma aus den Reihen des EU-Parlaments: „Alle genannten Punkte können nicht ohne die direkte Beteiligung der Roma-Gemeinschaften angegangen werden: Nichts für uns ohne uns. Das Grundprinzip der Europäischen Kommission muss mehr sein als ein Slogan. Es ist an der Zeit, dass die Roma aus dem Herzen der Europäischen Union heraus für sich selbst sprechen“, sagte Bercu{ abschließend.


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