Die evangelischen Gemeinschaften aus Westrumänien standen am vergangenen Wochenende im Mittelpunkt des Geschehens: Mehrere Veranstaltungen wurden im rumänischen, serbischen und ungarischen Banat organisiert, denen Vertreter der Evangelischen Kirchen aus dem In- und Ausland beiwohnten. „Gesichter – Grenzen – Geschwister“ war das Motto der Veranstaltungsreihe, die mit der gleichnamigen Ausstellung im Temeswarer Adam-Müller-Guttenbrunn-Haus begann. Bereits im November des vergangenen Jahres hatte die Evangelische Kirche A.B. in Rumänien (EKR), vom Altreich aus, eine Pilgerreise zu den bestehenden und ehemaligen Mitglieds- und Geschwistergemeinschaften in Mittel- und Osteuropa gestartet, die am vergangenen Wochenende ins Banat führte. Das im Zentenar-Jahr Rumäniens initiierte Projekt soll 2021 enden, wenn die Kirche hundert Jahre seit ihrer Umorganisierung nach den Folgen des Ersten Weltkrieges feiert.
Im Karl-Singer-Saal des AMG-Hauses in Temeswar/Timișoara trafen am Freitagabend Gäste von nah und fern ein. Den musikalischen Auftakt gab das Streichquartett der Musikfakultät unter der Leitung des Vorsitzenden des Demokratischen Forums der Deutschen im Banat, Dr. Johann Fernbach. Dargeboten wurden, auch als Intermezzo, Werke von Johann Sebastian Bach und Antonio Vivaldi, wobei Matthias Lang aus Deutschland das Quartett an der Gitarre begleitete. Bei der Veranstaltung dabei war auch der Abgeordnete der deutschen Minderheit im rumänischen Parlament, Ovidiu Ganț.
Nach einer kurzen Einführung durch den Vorsitzenden des Demokratischen Forums der Banater Berglanddeutschen, Erwin Josef Țigla, der vor zwei Jahren erstmalig einen Evangelischen Kirchentag im Banater Bergland organisierte, sprach Dr. Stefan Cosoroabă, Referent für Institutionelle Kooperation und Projektmanager der EKR, der die Ausstellung „Gesichter – Grenzen – Geschwister“ initiiert hatte. Die Expo porträtiert evangelische Gläubige aus Rumänien und anderen osteuropäischen Ländern, die einst der Donaumonarchie angehörten. Es handelt sich nicht um Persönlichkeiten, sondern um Personen, betonte Dr. Stefan Cosoroabă. „Wenn man über unsere Kirche spricht, dann spricht man meist über die Siebenbürger Sachsen. Aber wir sollten nicht vergessen, dass es eben auch evangelische Gläubige in Bukarest, in der Bukowina und hier, im Banat, gibt. 1921 haben auch diese Gemeinschaften den Weg nach Hermannstadt gefunden und sind offiziell aufgenommen worden, als Teil der EKR“, erklärte Dr. Stefan Cosoroabă. Die Biografien von Personen aus der Evangelischen Kirche A. B., begonnen von Bessarabien und bis zum Banat, aber auch solche aus kirchlichen Gemeinschaften, von denen man sich nach 1918 trennen musste – Slowenien, Ungarn, Österreich, Schlesien, usw. – kommen in der Ausstellung zur Geltung. „Gerade das ist die Botschaft der Ausstellung: Grenzen können politisch zwar trennen, aber wir bleiben doch Brüder und Schwestern“, sagte Stefan Cosoroabă. Das Gesicht des Banats im Rahmen der Ausstellung ist eine beherzte Lehrerin aus Semlak/Semlac, Elisabeth Klamm. „Sie studierte in Klausenburg, kehrte aber nach Semlak zurück, wo sie als Lehrerin tätig war, und wanderte schließlich nach Deutschland aus. Es ist das typische Leben einer Banater Evangelischen, welches vom Ersten und Zweiten Weltkrieg, der Deportation und schließlich der Auswanderung betroffen und geprägt war“, erklärt Dr. Cosoroabă.
Der evangelische Bischof aus Hermannstadt, Reinhart Guib, führte eine 15-köpfige Delegation ins Banat. In seiner Ansprache im AMG-Haus bezog sich Reinhart Guib auf die Multikulturalität des Banats, die andernorts nur selten anzutreffen sei. „Auch wenn das Banat geografisch am Rande liegt, ist hier das Zusammenleben, das Mit- und Nebeneinander, aber auch das Für-Einander zu Hause, in der Mitte. Es hat eine lange Tradition und hohe Qualität. Wir können selbst in Siebenbürgen so manches von euch lernen“, sagte Reinhart Guib. „Die wenigen evangelischen Gemeinden und Gläubigen des Banats sind eine krasse Minderheit im Vergleich zu den römisch-katholischen und erst recht zu den orthodoxen Gläubigen. Sie sind eine ´quantité négligeable´. Und doch wiegen sie für uns, als Evangelische Kirche in Rumänien, unendlich viel. In diesem Jahr möchten wir ihnen bewusst noch mehr Gewicht geben. Denn wer seine eigene Minderheit nicht ehrt, ist die eigene Mehrheit nicht wert. Und das gilt für unsere Kirche, für unser Land und für Europa“, betonte der evangelische Bischof. Ungefähr 12.000 Mitglieder zählt die EKR zurzeit, informierte Bischof Guib, allerdings wäre nicht die Zahl, die Quantität, sondern die Qualität viel wichtiger, betonte er.
Ganz im Sinne der gelebten Ökumene, des Spezifikums des Banats, war auch die Anwesenheit des römisch-katholischen Bischofs, Josef Csaba Pál, bei der evangelischen Veranstaltung im AMG-Haus eine Selbstverständlichkeit. Bischof Josef Csaba Pál erzählte kurz von seiner Zeit als Seelsorger in Reschitza, wo die Beziehungen zu den evangelischen Pfarrern schon immer sehr freundschaftlich gewesen waren. Einen Vortrag über die protestantischen Kirchen der Region nach dem Ersten Weltkrieg hielt Dr. Pál Lackner aus Budapest, Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Ungarn.
Die Pilgerreise der EKR-Delegation ging am Samstag mit einem Besuch bei der deutschen evangelischen Gemeinschaft in Liebling weiter. In der Temescher Gemeinde befindet sich eine der größten evangelischen Kirchen des Banats. Die Kirchengemeinde zählte in der Zwischenkriegszeit mehr als 4200 deutsche Muttersprachler. Heute leben im Dorf nur noch 20 Deutsche, die dem evangelischen Gottesdienst beiwohnen. Eine Andacht in der außen frisch sanierten evangelischen Kirche in Liebling hielt Dechant Dr. Wolfgang Wünsch aus Petersdorf. Musikalisch wurde der Gottesdienst vom Reschitzaer Franz-Stürmer-Chor untermalt. Nach der Andacht wurden am Denkmal vor der Kirche Kränze niedergelegt und der Opfer aus den beiden Weltkriegen sowie der Deportation, Flucht und Auswanderung gedacht. Weitere Stationen der Pilgerreise der EKR waren die slowakische Kirchengemeinde im serbischen Kovacica, die örtliche Kirchengemeinde aus dem ungarischen Makó und die slowakische Kirchengemeinde im rumänischen Nadlak/Nădlac.
Die evangelische Kirchengemeinde in der Kleinstadt an der rumänisch-ungarischen Grenze im Kreis Arad zählt rund 2000 Seelen. Früher gehörte sie zur deutsch-evangelischen Landeskirche mit Sitz in Hermannstadt, heute ist sie Teil der ungarisch-evangelischen Kirche in Klausenburg/Cluj-Napoca. Einen Festgottesdienst hielt am Sonntagmorgen Pfarrer Juraj Bálint, wobei die Festpredigt Bischof Adorjani Dezsö aus Klausenburg sprach. Zum Schluss erklang, auf Slowakisch, die Hymne der evangelischen Kirche, das Luther-Lied „Ein feste Burg ist unser Gott“.
Teil der evangelischen Delegation, die die Pilgerreise ins Banat mitmachte, war auch der aus Siebenbürgen stammende Wolfgang Rehner, ehemaliger Pfarrer der evangelischen Kirche in Kerz/Cârța und heute Superintendent der evangelischen Kirche in der österreichischen Steiermark. „Dieses Ereignis ist eigentlich ein Lebensthema von mir. Ich bin hier bei Geschwistern, über Grenzen, und ganz wichtig ist mir, dass wir einander ins Gesicht und in die Augen sehen können“, sagte Wolfgang Rehner. „In Liebling hat man zum Beispiel gespürt, wie es ist, wenn Dinge vergehen. Hier, in Nadlak, wie es ist, wenn eine Gemeinde da ist, die die Zukunft wirklich sucht. Diese Pilgerreise zwischen den Zeiten und über die Grenzen hinweg ist schon etwas, was sehr zum Nachdenken anregt“, fügte Superintendent Rehner hinzu.
Zum Nachdenken regte auch die anschließende Podiumsdiskussion zur Zukunft der evangelischen Kirche im Banat an. Ein Impulsreferat hielt Prof. Dr. Karl Schwarz aus Wien, der die Region „aus der Habsburger Perspektive“ beschrieb und dabei die europäische Dimension des Banats in den Vordergrund rücken ließ. Zu den Sprechern der von Bischof Reinhart Guib moderierten Diskussion gehörten Bischof Adorjani Dezsö, Ortspfarrer Juraj Bálint und Walther Sinn aus Semlak, der die deutschsprachigen evangelischen Gemeinschaften von dies- und jenseits der Marosch wie auch jene im Banater Bergland betreut. Im Rahmen der Diskussion versuchten die Sprecher, eine Antwort auf die Frage zu finden, inwiefern dieses exemplarische multiethnische und interkonfessionelle Miteinander im Banat auch in der Zukunft gedeihen wird. Alle hoben sie die Bemühungen hervor, die Gottesdienste an die aktuellen Gegebenheiten anzupassen, u. a. durch die verstärkte Verwendung der rumänischen Sprache. Rund 200 Seelen zählen die deutschsprachigen evangelischen Gemeinschaften des Banats, die Pfarrer Walther Sinn aus Semlak betreut. „40.000 evangelische Deutsche gab es einst im Banat – wenn man an die aktuelle Zahl, 200, denkt, würde man lieber in den Boden versinken. Aber ich habe in meiner Rede den Baumstumpf des Propheten Jesaia aus dem Alten Testament erwähnt. Wenn der Baumstumpf abgeschnitten wird, dann beginnt er wieder von unten zu treiben. Ich hoffe, dass es auch mit uns, Evangelischen, im Banat so geschehen wird, dass mit Gottes Hilfe aus dem Baumstumpf ein Reis entspringt, das irgendwann mal auch Früchte tragen wird“, sagte Walther Sinn zuversichtlich. Das große Interesse an der Veranstaltungsreihe am vergangenen Wochenende ist ganz bestimmt ein erstes positives Zeichen in diesem Sinne.