Randbemerkungen: Das post-amerikanische Europa


Dem jüngsten Besuch von Friedrich Merz, Keir Starmer, Emmanuel Macron und Donald Tusk in Kiew und ihrem Versuch, einen sich in Selbstzufriedenheit und militärischen Erfolgen suhlenden Putin an den Verhandlungstisch zu bestellen, fehlten die ultimativen Argumente. Die EU-Sanktionen – seit der Annexion der Krim durch Russland 2014 inzwischen mehr als 2500 – sind gegenüber dem riesigen Zweikontinenteland faktisch zahnlos. Ein weiteres, von den Vieren mitinitiiertes Sanktionenpaket der EU (das 14. oder 15. seit Februar 2022) hat kaum was geändert.

Der Besuch der Vier bei Wolodymyr Selenskyi verdient trotzdem mehr Beachtung. Denn es war – trotz der ängstlichen Dauerzusicherung, sie stimmten sich mit dem werdenden US-Diktator und Obergeschäfts-/Staatsmann Trump ab – ein erster Auftritt in ihrer ungern angenommenen künftigen Spitzenrolle in der Sicherheitsarchitektur Europas. Ein Anflug des „post-amerikanischen Europa“, das Kommentatoren häufig ansprechen.

Fakt ist, dass der für sein Amt weitestgehend unqualifizierte US-Defense-Secretary Pete Hegseth – allein seine Trump-Hörigkeit qualifiziert ihn – bereits der Nr.3 im Pentagon, Elbridge Colby, die Anweisung gegeben hat, den Redigierungsprozess der neuen Nationalen Verteidigungsstrategie der USA zu starten. Mitgegeben auf den Weg wurde Colby, sich strengstens an die Zielvorgaben und Imperativa des Präsidenten zu halten. Grundsätzlich heißt das: Blick weg von Europa – die sollen gefälligst selbst für sich und ihre Sicherheit sorgen! – Blick hin auf den indo-pazifischen Raum, oder, wie aus dem Memo Hegseths durchgesickert ist (wieder mal! – erinnert an Signalgate…): Colby habe auszugehen von der Interim National Defense Strategic Guidance. Essenz des Geheimpapiers: die neue Philosophie des Pentagon besteht in einer grundlegend anderen Sicht gegenüber Haupt- und Nebenaktions-/-interessensfeldern. Konkreter, die US-Amerikaner scheinen ihre (möglicherweise finanziellen, auch humanen) Grenzen erkannt zu haben und konzentrieren ihre Ressourcen künftig auf ihre Höchstpriorität indopazifischer Raum und das ozeanische (Insel-)Umfeld Chinas – für alle anderen Räume wollen die USA durchs Pentagon „Risiken akzeptieren“.

Elbridge Colby saß schon in der ersten Amtsperiode Trumps unter den Spitzenstrategen: damals schrieb er mit und unter Jim Matts die Verteidigungsstrategie.  Seit Erscheinen seines Buches „The Strategy of Denial. American Defense in an Age of Great Power Conflict” erfreut er sich der Unterstützung breitester republikanischer Einflusskreise und hat den direkten Draht zu Thronfolger J. D. Vance (der saß neben Colby, als dieser vom Kongress angehört wurde). Sein Plädoyer zur Umorientierung des Pentagon ist nicht neu - zumindest schon 2016 wollte er weg von der Post-11th-September-Militärpolitik. Colby will nun „die Adjustierung unserer Defensiv-Stellung ummodeln, dass sie die Agenda des Präsidenten reflektiert.“ Militärische Ressourcen sollen nicht mehr global verstreut werden. Die USA verfügen nicht mehr über die Ressourcen, simultan an vielen Fronten aktiv zu sein. Die Achse der revisionistischen Mächte von heute – Russland, China, Nordkorea, Iran – die ihre Offensivstrategien koordinieren, könne von den USA nur punktuell erfolgreich kontrolliert werden. Zudem müsse auf dem eigenen Kontinent achtsamer vorgegangen werden – siehe Südgrenze der USA, Panama-Kanal.

Hegseth, Colbys Chef, sagte bei der NATO in Brüssel: „Wir sind heute hier, um direkt und ohne Vieldeutigkeit zu sagen, dass harte strategische Realitäten die USA daran hindern, sich in erster Linie auf die Sicherheit Europas zu konzentrieren.“ Für die Europäer bleibt also gar nichts übrig, als ihre Verteidigungsausgaben zu erhöhen und ihr Schicksal in die Hand zu nehmen. Polen geht voran: 5 Prozent für Verteidigung.

Die Vier in Kiew sind schon mal vorgeprescht.