Am Sonntag steigt in Polen die Richtungswahl um die Präsidentschaft, die jene Rumäniens vom 18. Mai noch überragt. Polen ist, trotz Zeiten- und Entwicklungsbremse, durch die PIS („Recht und Gerechtigkeit“) des (alternden, steif konservativen) Jaroslaw Kacynski ausgelöst, stark EU- und NATO-integriert. 2023 kappte der überzeugte Europäer Donald Tusk den PIS-Sonderweg mit seinem Mitte-Links-Bündnis. Der 53-jährige Präsident Andrzej Duda („Dlugopis“ – Kugelschreiber) übte aber als PIS-Wächter Veto-Recht aus und bremste Tusk. Der konnte so an den zahlreichen Zurück-ins-Mittelalter-Gesetzen der PIS-Vorgängerregierung kaum rütteln.
Polen, als größtes und militärisch stärkstes EU-Grenzland zur Ukraine, zudem durch viele Marksteine aus älterer und jüngerer Geschichte kollektiv-mental streng antirussisch eingestellt, hat – weit mehr als Rumänien – ein extrem angespanntes Verhältnis zu (vor allem Putin-)Russland. In dieser, womöglich nur in dieser Hinsicht ist das Mitte-Links-Bündnis von Tusk sich mit den Rechtskonservativen des Kacynski einig. Die beiden Lager bestehen schon seit 20 Jahren (in Polen spricht man von einem „Duopol“) und die Präsidentschaftskandidaten, die sie ins Rennen schicken, führen eine Art Stellvertreterkrieg: Tusk gegen Kacynski.
Wie wichtig der Ausgang diesen Wahlkriegs für Europa ist, ist klar, geht es doch grundsätzlich um die Gewichtung von Fort- oder Rückschrittsorientierung in der EU, jenseits jeder Brüsseler Plapperei. Auch deswegen muss die zweite Auslandsreise von Friedrich Merz, die nach Polen ging, in ihrer vollen Symbolkraft auch als Wink gewürdigt werden – so kompliziert das deutsch-polnische Verhältnis nun mal sein mag. Aber mit dem Tusk-Flügel kann man jederzeit (wenigstens) reden.
Die beiden Kandidaten vom Sonntag, die Sieger der Stichwahl von vor knapp zwei Wochen, machen für Europäer eine Wahl eigentlich unschwer, so unterschiedlich sind sie. Der Bürgermeister von Warschau, der promovierte Sozialwissenschaftler Trzaskowski vom linken Flügel der Tusk-Partei, der fünf Fremdsprachen spricht, liberal und entschieden pro-europäisch ist, ließ in Warschau die Kruzifixe in den Amtsstuben abhängen, als eindeutiges Zeichen der Trennung von Staat und (der in Polen mächtigen römisch-katholischen) Kirche. Bei öffentlichen LGBT-Manifestationen marschiert er mit Selbstverständlichkeit mit.
Sein aus Danzig kommender Gegenkandidat Karol Nawrocki (die beiden trennte vor der Stichwahl bloß ein Prozentpunkt), ein in der großen Politik unerfahrener Historiker (! – auch der Rumänische Pro-Faschist und Präsidentschaftskandidat Simion hat „Geschichte studiert“), ein ziemlich guter Redner, soll der PIS als Zugpferd zurück an die Macht dienen.
Kommentatoren fragen sich aber, ob der PIS-Parteipatriarch Kacynski eine gute Hand hatte bei dieser Personenwahl. Immerhin geht es um eine Schlüsselposition, von wo aus die Tusk-Politik fast vollumfänglich ausgebremst werden kann – und Polen auf Rückwärtsgang eingestellt werden soll, Richtung Politik der PIS-Jahre 2015-2023.
Da kommen schlechte Erinnerungen hoch: an Polens Dauerstreit mit der EU, an das gründlich zerrüttete Verhältnis zu Berlin nach der Billionen-Reparationsforderung Polens an Deutschland für im Zweiten Weltkrieg Angerichtetes.
Der Ex-Amateurboxer und Club-Türsteher (mit angeblich noch bestehenden Kontakten zum Rotlicht-Milieu), Orbán-Fan und Nutznießer einer Audienz beim globalen Oberdealer Donald (Fotos von Kaiser Donald I. und Nawrocki mit Daumen hoch…), der den Pro-Faschisten George Simion zu Wahlkampfveranstaltungen lud, hat eine dubiose Vergangenheit (u.a. Bürgschaften, Rentnertäuschung), die polnische Medien enthüllten und PIS-Wähler vergrämten. Recht und Gerechtigkeit scheinen ihm nicht unbedingt Lebensmaximen zu sein.
Ein Sonderlob fürs Solidaritätszeichen N. D. Dans betreffs Trzaskowski!