In der Publikation der „Gruppe für Sozialen Dialog“, „22“, erschien kürzlich ein Gespräch mit der in Rumänien geborenen und an der Georgetown University sowie am Diplomatischen Institut der USA lehrenden Iulia Joja, deren Fach Sicherheit und Verteidigung sowie Europäische Sicherheit ist. Das Gespräch vermittelt Aufschlüsse über Schritte und Fehler der internationalen Gemeinschaft „der Guten“ im Ukrainekrieg, weswegen im Folgenden einige Aussagen und Behauptungen daraus zitiert werden, die für das Schicksal Europas – inklusive Rumäniens - aufschlussreicher sein könnten, als es die Europawahlen samt ihrem (trotz allem noch nicht ganz gefährlichen) Rechtsruck waren.
Erstens stellt die Sicherheitsexpertin fest, dass die EU und die USA („von der wir wissen, dass sie führt“) „weniger gegeben haben und auch einen Mangel an Leadership“ zeigten. „Sie gaben nur so viel, dass die Ukraine standhielt, nicht genug für eine Offensive.“ Das „Genug“ der Guten sei zu wenig gewesen. Das Hinauszögern der Hilfen – „was immer teurer wurde“ – habe die Konsolidierung der russischen Positionen bewirkt. Die jetzt verspätet eintreffenden Hilfen seien „schon wieder völlig unzureichend“. Es gäbe erste Anzeichen für „eine immer schlimmere Situation“. „Wir sehen, dass es seitens des Abendlands, USA und EU-Eu-ropa, keinerlei Visionen bezüglich der Abwicklung und Beendigung dieses Konflikts“ gibt.
Angesichts des gegenwärtigen Versuchs der Russen, Charkow vom Osten und Norden einzukreisen, seien die der Ukraine auferlegten Restriktionen in der Waffennutzung obsolet. Die Russen zögen bereits ihre Truppen für die Einkreisung zusammen. Wenn die USA und Deutschland weiterhin der Ukraine verbieten, die Russen dort zu treffen, von wo aus sie ihre (Luft)Angriffe starten, werde Charkow fallen, egal wie viele Waffen die Ukraine bekomme. Die Russen seien im Stande, es dem Erdboden gleichzumachen, „wie wir das in Mariupol gesehen haben“. Sie sähe keinen Anlass, einen russischen Atomschlag zu befürchten.
Gegen die Nutzung weitreichender Waffen durch die Ukraine sei Jake Sullivan, aus Furcht vor einer Eskalation des Konflikts. Biden befürchte dasselbe. Zukunfts- und Hauptfrage für Europa und die USA müsse sein, wo die Front endet und wo Russland beginne. Das sei ein (gesamt) europäisches Problem, ebenso, wie, ob und bis wie weit die USA eine Hilfsverpflichtung haben. Europa müsse sich endlich klarwerden darüber, was Russland bedeutet. Will man es stoppen oder abwarten, bis wohin es vorrückt? Am verwundbarsten seien die baltischen Staaten. „Wir sehen doch, wie Russland unter Putin mit Grenzen spielt, wie es ständig herausfordert!“ Europa und die USA sollten sich endlich zusammenraffen und sich „einigen über ein Ziel“ betreffs Russland, folglich auch einen gemeinsamen Plan ausarbeiten, um aufs Ziel zuzuarbeiten. Zu klären wäre im Gefüge des Abendlands der Status „der zwei oder gar drei“ Staaten Europas, EU- und (zwei) NATO-Mitglieder, die „prorussisch“ seien und in Mitteleu-ropa angesiedelt sind. Ungarn, die Slowakei und Österreich, die laufend Boykotte der Ukrainehilfen organisieren und stark energieabhängig sind von Russland.
Sollte Trump 2025 ins Weiße Haus einziehen, habe der Kongress inzwischen so viele Gesetze verabschiedet, die Trump den verspochenen NATO-Austritt verunmöglichen, dass er wohl die Finger davon lässt, meint Iulia Joja. Komplizierte legislative Vorgänge meide er, das sei „nicht sein Stil“. Sollte Russland z.B. Estland überfallen, ist es trotzdem unmöglich zu sagen, ob Trump den Bündnisfall ausrufen würde. Joja: „Ich kann dafür kein radikales JA vorbringen.“
Das größte Problem des Abendlands seien die Ziele Russlands: Annullierung der Ukraine, NATO-Rückzug auf den Stand 1997, keine US-Soldaten mehr in Mittel- und Ost-Europa. Putins Herrschaftsziel: die Erschaffung einer neuen Sowjetunion.