Natürlich das Corona-Jahr, die Pandemie-Zeit ist das beherrschende Thema des neuen Jahrbuchs 2021. In den Geleitworten und Stellungnahmen des Vorsitzenden des demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien, Dr. Paul-Jürgen Porr, des deutschen Botschafters in Bukarest Cord Meier-Klodt, dem DFDR-Abgeordneten Ovidiu Ganţ, oder des Bischofs der Evangelischen Kirche A.B. Reinhart Guib und vielen anderen schimmert der Geist des bekannten Hölderlin-Zitats durch. Ja, es gab Einschränkungen, Entbehrungen, sogar Verluste, und in den Monaten, seit diese Texte verfasst wurden, wuchs auch die Gefahr, aber dass wir überhaupt jetzt schon über einen Impfstoff verfügen, hätte selbst der erfahrene Arzt und Forumsvorsitzende Paul Jürgen Porr damals nicht zu hoffen gewagt.
Das oft verteufelte Internet erwies sich bisweilen als Segen gerade auch für die Kirche, die oft ihre Häuser schließen musste und nur durch Streaming, Zoom, und was es alles an modernen Kommunikationsmitteln gibt, mit ihren Mitgliedern Kontakt halten konnte. Das lief nicht ohne Hindernisse und bietet auch keinen vollwertigen Ersatz, wie Michael Mundt in seinem Bericht „Online-Abendmahl zu Gründonnerstag in Hermannstädter Gemeinde“ anschaulich schildert. Aber was wäre die Alternative?
Historische Ereignisse und Persönlichkeiten
Einen Blick in die Vergangenheit gewährt uns Thomas Şindilariu durch seinen Vortrag zu „Pest, Glaube und Reformation in der siebenbürgisch-sächsischen Geschichte“, den er anlässlich des Reformationsfestes 2020 in Michelsberg hielt. In den schlimmen Pestjahren 1717-19 verordnete die Obrigkeit in Kronstadt aus medizinischen Gründen u.a. Kirchenschließungen – sehr zum Unmut der Bevölkerung. Deren Ungehorsam und die folgenden Lockerungen hatten damals fatale Folgen. Nicht die einzige Lehre, die sich aus dem Studium alter Quellen ableiten lässt. Wo diese „gut aufbewahrt“ werden, schildert uns an anderer Stelle Ralf Sudrigian in seinem Artikel über das Archiv der Honterus-Gemeinde in Kronstadt., als dessen Hüter Thomas Şindilariu fungiert.
Jenseits der Corona-Thematik bietet das Jahrbuch Erkenntnisse über zentrale Ereignisse und Persönlichkeiten der siebenbürgischen Geschichte. Der Agrarreform von 1921 als einer „hochpolitischen Angelegenheit“ samt ihren gravierenden Folgen für die siebenbürgisch-sächsische Bevölkerung widmet Wolfgang Wittstock seine Aufmerksamkeit. Anhand der Erinnerungen des Kronzeugen dieses Prozesses, dem Hermannstädter Juristen Dr. Wilhelm Klein (1888-1976), kann die Ungleichbehandlung von Altreich und Siebenbürgen, insbesondere was die Enteignung von Gemeindebesitzungen betrifft, belegt werden. Der Name Samuel von Brukenthal ist in Hermannstadt sicher jedem ein Begriff, allein schon durch das nach ihm benannte Museum. Zu seinem 300. Geburtstag würdigt ihn Manfred Wittstock mit einem Lebensbild, das seine Herkunft, die steile Karriere und sein tragisches Ende genauestens nachvollzieht. Die weit verzweigte Herkunft und Geschichte der Buchenlanddeutschen erzählt uns Luzian Geier und stellt die Frage: „Wer sind die Buchenlanddeutschen heute?“ Vielleicht hätte er auch fragen können: „Wo sind die Buchenlanddeutschen heute?“ – denn die meisten leben heute weit verstreut in aller Welt und pflegen dennoch ihr Heimatgefühl.
Pflege des historischen Erbes
Ein Schwerpunktthema in etlichen Beiträgen stellt die Pflege des materiellen und immateriellen Erbes in seinen vielfältigsten Formen dar. „Einen Schlossbesitzer in Siebenbürgen“, genauer Kalmán Teleki vom Kertzinger Schloss, lässt Krisztina Molnar von den Herausforderungen, die ein solches Erbe mit sich bringt, erzählen. Die Geschichte der Banater Schwaben wird im Museum in Lenauheim von Elfriede Klein betreut, wovon der Vorsitzende der HOG Lenauheim, Werner Griebel, berichtet. Zur historischen Infrastruktur gehören von alters her auch die Brücken. Für den Erhalt historischer Brücken in Westrumänien kämpft der Professor für Straßen- und Brückenbau, Radu Băncilă, und hat zu diesem Zweck eigens einen Verein gegründet. Raluca Nelepcu hat sich die Ziele und Hintergründe dieses Projektes genau von ihm für uns Leserinnen und Leser erklären lassen.
Die Verdienste der Stiftung Mihai-Eminescu-Trust um den Erhalt der sächsischen Dörfer würdigt Dieter Drotleff. Seit 20 Jahren kümmert sich die Stiftung insbesondere unter der Leitung ihrer umtriebigen Vorsitzenden Caroline Fernolend um Restaurierungsprojekte von Kirchenburgen und Häusern, aber auch um die Menschen, ohne die es dort längst kein Leben mehr gäbe. Über ihre neueste Aufgabe als Vorsitzende des Demokratischen Forums im Kreis Kronstadt spricht Christine Chiriac mit Caroline Fernolend. Aber auch die Landschaftspflege gehört zum historischen Erbe, etwa die Kultivierung oder Züchtung alter Tierrassen oder Obstsorten. Hier sei stellvertretend nur der Artikel von Brunhilde Böhls über den Anbau des berühmten siebenbürgischen Batullapfels erwähnt. Die oft farbenfrohen Zeugnisse des siebenbürgischen Kunsthandwerks werden uns im Kalenderteil durch die eindrucksvollen Fotos von George Dumitriu vor Augen geführt. Von den gröberen Steinmetz- oder Schmiedearbeiten bist zu den feinsten Trachtenstickereien ist hier alles vertreten, was das Handwerk zu bieten hat.
Neben diesen anschaulichen Zeugen der Vergangenheit treten die bedeutenden immateriellen Güter, in erster Linie die deutsche Sprache. Dazu gehört das deutsche Schulwesen, dessen Zustand Martin Bottesch durch einen statistischen Vergleich analysiert. Multiethnische Märchen, vorgestellt von Hans Fink und populäres gemischtsprachiges Liedgut – „Oh mit welcher bucurie“, amüsant präsentiert von Veronika Zwing – zeugen von einem weniger puristischen Ansatz in der Pflege der Sprachschätze. Hierhin gehören auch die mundartlichen banat-schwäbischen Texte aus dem Lesespaß – Kapitel u.a. von Helen Alba. Für die ernste Literatur und Dichtung stehen hier die Neuedition der Briefe Paul Celans durch Barbara Wiedemann, die Dr. Markus Fischer bespricht, und der Artikel von Cristiana Scărlătescu über die Werke von „Selma Meerbaum-Eisinger und ihre biografischen und literarischen Gemeinsamkeiten mit Paul Celan“. Über das „Kulturverständnis des Schriftstellers Hans Bergel“, mit dem Fokus auf seiner Liebe zum griechisch-römischen Kulturkreis, lässt sich ausführlich Prof. Dr. em. Mariana-Virginia Lăzărescu aus.
Lese- und Rätselspaß und viele interessante Gespräche
Der Lesespaß unterhält uns diesmal mit Auszügen aus Werken und Sammlungen von Wolfgang Wittstock, Balthasar Waitz, Dagmar Dusil oder der Reihe „Briefe an Rohtraut“ von Karin Gündisch. Gerade in schweren Zeiten sollten Beispiele des siebenbürgischen Humors nicht fehlen. Die haben Michael Astner mit seinen Glossen und Josef Balazs mit seiner Kalendergeschichte höchst amüsant geliefert. Und auf Lesespaß folgt am Ende des Heftes immer der Rätselspaß mit Ovidiu Şperlea, der sich rings um das alte „Panta rhei – alles fließt“ dreht.
Recht launig fallen auch die Rückblicke auf 44 Jahre Redaktionsarbeit aus, die die neue Redaktionschefin der ADZ, Nina May, ihrer scheidenden Vorgängerin Rohtraut Wittstock entlocken konnte. Bisweilen liest sich das auch wie ein Thriller, so die Rettungsaktion der „Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien“ – buchstäblich in letzter Minute.
Überhaupt erstaunlich, wie es die Autoren trotz coronabedingtem Kontaktverbot geschafft haben, das Jahrbuch durch zahlreiche Interviews zu beleben. Gabriela Rist lässt den Ehrenvorsitzenden des Regionalforums Nordsiebenbürgen und Kreisforums Sathmar, Johann Forstenheizler und den Generaldirektor der Diözesancaritas Sathmar, Ioan Roman, die Lage vor Ort schildern. Die Zukunft der Minderheiten und ihre Bedürfnisse rücken nun in den Fokus. Jetzt kommt auch die jüngere Generation zum Zuge. „Wir werden Hunderte Junge Menschen brauchen!“, so der Titel des Interviews, das Klaus Philippi mit dem Historiker Csaba Szavbó über „Krise, Identität und Aufarbeitung“ geführt hat. Über die Aufarbeitung der Vergangenheit zu einem besseren Verständnis voneinander mit dem Ziel eines harmonischen Miteinanders, so könnte man sein Credo zusammenfassen. Auch in Temeswar spricht man von Aufbruch, von „…Effizienz, Transparenz und Kompetenz“, das jedenfalls kann man dem Interview mit dem frisch gebackenen bundesdeutschen Bürgermeister Dominic Fritz (USR-Plus) entnehmen, der alleine schon in seiner Personalie ein absolutes Novum darstellt.
Für Petra Antonia Binder steht die Jugend im Mittelpunkt ihrer Theaterarbeit in Kronstadt. Vermitteln will sie ihr „die Relevanz der deutschen Minderheit für Kronstadt“, wie sie Elise Wilk in ihrem Interview erklärt. Ihr Werdegang ist vielleicht symp-tomatisch für eine neue Generation von deutschen Kulturschaffenden in Siebenbürgen. Denn wer frei ist zu gehen, ist auch frei zurückzukehren, und einige engagierte junge Leute möchten lieber vor Ort Neues wagen. Nach ihrem Wunsch für die Zukunft gefragt, setzt Petra Antonia Binder schließlich hinzu: „Außerdem, Identität und Humanität nicht vergessen – das macht uns als Seelen hier aus.“ (S. 205)