Es klingt idyllisch: Ein Hirte mit seiner Schafherde auf einer saftigen, grünen Weide. Der Hirte schaut auf seine Herde, damit ihr nichts passiert, und freut sich an seinen Schafen. Die Schafe weiden friedlich vor sich hin und können sorglos und angstfrei sein, denn sie haben ja den Hirten. Dieses Bild strahlt viel Ruhe und Harmonie aus. Das tut gut in einer unruhigen Zeit wie der aktuellen mit ihren vielfältigen Bedrohungen.
Jesus benützt dieses Bild für sein Verhältnis zu seinen Jüngern. Er ist der Gute Hirte, der sie wie eine Schafherde hütet. Dieses Gottesbild erfreut sich großer Beliebtheit; es wird gerne als Thema für Erstkommunion und Kinderbibeltage gewählt. Nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene lassen sich von diesem Bild ansprechen. Sich in der Hand Gottes geborgen zu wissen wie ein Schaf unter den Augen des Hirten, einen liebevollen, wohlwollenden Gott zu haben, spricht uns an.
Jesus steigert und vertieft dieses Bild noch. Er ist nicht nur irgendein Hirte, sondern der Gute Hirte. Er schaut nicht nur wohlwollend und liebevoll auf die Menschen, sondern er geht in seiner Liebe aufs Ganze, und gibt sein Leben hin für die Schafe. Er liebt seine Jünger so sehr, dass er bereit ist, sein Leben zu opfern. So gibt er ihnen nicht nur alles, was sie zum Leben brauchen, sondern gibt ihnen ewiges Leben. Er ist der Gute Hirt und das Lamm, das sie weidet und zu den Quellen führt, aus denen das Wasser des Lebens strömt, wie es der Apostel Johannes in der 2. Lesung formuliert. Jesus, der Gute Hirte gibt Leben, ja ewiges Leben. Das kann uns keiner nehmen, wenn wir zu ihm, dem Guten Hirten gehören.
So schön und vertrauenserweckend dieses Bild ist, gilt es aber auch die Kehrseite der Medaille zu bedenken. Seine Schafe sind nicht jene, die sich nach Harmonie und Geborgenheit sehnen, sondern jene, die auf seine Stimme hören: „Meine Schafe hören auf meine Stimme. Ich kenne sie und sie folgen mir.“ Die Bedingungen, um zur Herde Christi zu gehören und von ihm als dem Guten Hirten geweidet zu werden, sind Hören auf seine Stimme und Gehorsam ihm gegen-über. Das sind Dinge, die wir gar nicht gern hören. Wer will schon auf jemand anderen hören und gehorsam sein? In einer Welt, die individuelle Freiheit und egozentrische Selbstbestimmung zum höchsten Gut erhebt, fällt es schwer, jemand anderen gelten zu lassen und ihn bestimmen zu lassen. Und Gott geht es da nicht anders. Wer will sich sein Leben schon von Gott bestimmen lassen? Wer will die Stimme Gottes hören und ihm gehorchen?
Gerade dann, wenn mich Gottes Wort kritisiert und herausfordert, wenn es gegen den Zeitgeist steht und unmodern erscheint, gilt es, auf die Stimme des Guten Hirten zu hören. Das kann herausfordernd sein und erfordert manchen Mut, ist aber wichtig. Vielleicht gilt es, das Hören auf die Stimme des Guten Hirten wieder neu zu lernen. In so manchen Diskussionen des sogenannten Synodalen Weges, bei dem nach Parlamentsmanier für gefällige Beiträge applaudiert wurde und im Wahlkampfmodus für bestimmte Positionen gekämpft wurde, die nur darauf bedacht waren, sich der Welt anzugleichen, dachte ich mir: Wo ist da das Hören auf die Stimme des göttlichen Hirten? Ohne mit dem Finger auf andere zu zeigen, darf ich mich selbst fragen: Bin ich bereit, den unbequemen Weg zu gehen und auch mich selbst zu überwinden, wenn das Wort Jesu es verlangt? Kann ich meine Wünsche an die Wünsche Jesu anpassen?
Wer Gott zum Guten Hirten haben will und auf den himmlischen Weiden seinen Platz finden will, muss auch auf seine Stimme hören und seinem Wort gehorchen. Dann wird er mich behüten und verhindern, dass ich der Hand des gütigen Vaters entrissen werde. Dann werde ich niemals zugrunde gehen.