„Das Wunder von Tekir“ („Miracolul din Tekir“) läuft seit einer Woche in den rumänischen Kinos. Es ist der zweite Spielfilm der Regisseurin Ruxandra Zenide, 10 Jahre nach ihrem Debütfilm „Ryna“, der großen Erfolg auf vielen renommierten Festivals hatte. Die Hauptdarstellerin ist, genau wie in „Ryna“, Dorotheea Petre, in der Rolle von Mara, für die das Drehbuch eigentlich geschrieben wurde.
Bekannt im Heimatdorf für ihre heilenden Kräfte, wird Mara von ihren Dorfbewohnern ausgeschlossen, als sie schwanger wird und behauptet, es gäbe keinen Vater des Kindes. Dieselbe Gemeinschaft, die tagsüber zur Kirche geht und betet, kommt nachts vor ihr Haus und schimpft sie eine Hexe, die schuld daran sein soll, dass es fast keine Fische mehr zum Angeln gibt. Mara rechtfertigt sich, dass nicht ihr Kind die Ursache dafür sein kann, doch außer dem Dorfpfarrer, von Bogdan Dumitrache gespielt, scheint ihr niemand zur Seite zu stehen.
Mara ist gezwungen, das Dorf zu verlassen, weil ihr Haus in Brand gesteckt wird. Mit Hilfe des Dorfpfarrers findet sie eine Stelle im Spa Europa, wo Fruchtbarkeitsprobleme von Frauen behandelt werden. Eine der Patientinnen ist Lili (Elina Löwensohn), eine reiche, laszive Frau, die sogar einen Gigolo während ihres Aufenthaltes im Spa angeheuert hat (George Pi{tereanu). Lili setzt sofort ihr Vertrauen in Mara und befolgt ihre Ratschläge. Fest davon überzeugt, dass sie mit Hilfe des heilenden Schlammes fruchtbar werden könnte, taucht sie sogar in den Schlammbrunnen, der Mara schwanger gemacht hat. Bald kommen aber die unterschiedlichen Mentalitäten und Lebensstile der zwei Frauen zum Vorschein, die eigentlich eine Kluft zwischen Mystizismus und Pragmatismus, zwischen Osten und Westen (Lili wohnt in der Schweiz) darstellen, und beide Frauen kämpfen für ihr eigenes Credo.
Eine Welt zwischen Mystik und Religion, Tradition und Moderne, die im Kern das Wunder der Entstehung des Lebens birgt. Die Regisseurin Zenide charakterisiert ihren Film als Metapher der Schöpfung. Nicht nur der Film stellt eine Metapher dar, sondern auch viele der zahlreichen Elemente, die ihn ausmachen. Mara ist die Metapher der Reinheit, jedoch gelangt sie selber in eine innere Konfliktsituation wegen der Außenwelt. Auf der einen Seite ist ihre geheimnisvolle Art zu sprechen, die der Vision der Regisseurin entspricht, auf der anderen Seite wirkt sie zu gewissen Zeiten fast wortkarg, jedoch ist sie unglaublich aussagekräftig durch die Nahaufnahmen ihres Gesichtsausdruckes. Dies alles vermittelt die Gefühlswelt der Figur.
Details des Schlammbrunnens und der Wasserblasen unterstützen die Thematik des Films, stärken auch die Symbolik des wunderkräftigen Schlamms, der lebendig wirkt, scheinbar atmet und (mit)fühlt. Zwischen Mara und dem Schlamm bildet sich eine magische Beziehung, die in der Schöpfung des Fötus krönt. Anfangs empfindet Mara dies als etwas Sonderbares, sie schützt ihren Bauch und glaubt an das Magische des Vorgangs. Sie ist sich dessen bewusst, dass sie auserwählt wurde, ohne aber dabei eitel zu wirken. Später fragt sie verzweifelt, aber irgendwie rhetorisch, warum der Schlamm ihr das angetan hat, und verspottet diesen. Als Lili in den Brunnen taucht, fehlt das Magische, und Lili schämt sich ihrer eigenen Tat, kehrt erneut in ihre eigene pragmatische, vulgäre Welt zurück.
Nicht nur der Schlamm ist eine Figur im Film. Die ganze Natur wirkt lebendig und unterstützt das Drama der Gestalten. Neben den Fischen als Nahrungsquelle der Bewohner im Donau-Gebiet kommen anfangs auch Füchse, ein Reh und natürlich Amurg, Maras Pferd, vor, das ihr stets folgt, sie jedoch verlässt, wenn sich diese vom Schlamm lösen will. Das Meer ist anfangs still, wird aber immer unruhiger, rauer, um eine Parallele zur inneren Welt der Figuren zu schaffen. Der Film zeigt, dass unsere Welt von Vorurteilen und gesellschaftlichen Rollen geprägt ist. Als sich der Pfarrer von den kirchlichen Gewändern trennt, befreit er sich von den Fesseln der Institution, so wie Ruxandra Zenide das erklärt. Er kann die Geschehnisse nun aus einer anderen Perspektive betrachten, ohne fest an eine konservative Mentalität geklammert zu sein. Aussagekräftig ist der Moment, in dem dies geschieht, mit dem Meer im Hintergrund.
Es fällt schwer, in der heutigen Welt Wunder zu akzeptieren und an ihre Echtheit zu glauben. Obwohl der Pfarrer eigentlich die einzige Person ist, welche Mara glaubt und hilft, schwankt sein Glaube und er weiß nicht, ob er Maras Zustand als Wunder betrachten soll oder darf und sucht Rat bei einem älteren Pfarrer. Als er diesen fragt, ob er an Wunder glaubt, damit heutige, nicht biblische Wunder meinend (eine interessante Kategorisierung der Wunder, die scheinbar nicht zeitlos sind und heutzutage mit Skepsis aufgenommen werden), fragt ihn der Pfarrer, ob die Frau, der das passiert ist, schön ist – und sagt ihm, er solle keine Angst haben zu lieben. Selten sieht man Filme, in denen Bild (Hélène Louvart) und Musik (Aïcha Devi) in vollem Einklang die Gesamtidee unterstützen. Jedes Detail, jede Landschaft unterstützt die blaugraue Chromatik des Films, sie verbinden sich mit dem Geräusch des Wassers, des Schlamms, mit den geheimnisvollen Klängen der Dobrudscha.
Die Dreharbeiten haben 32 Tage gedauert. Gedreht wurde in Vadu, Konstanza/Constanţa und bei den Schlammvulkanen. Der Film ist eine Koproduktion zwischen der Schweiz und Rumänien, mit einem Budget von 1,5 Millionen Euro, und wurde schon mit einem Preis beim Zürich-Film-Festival ausgezeichnet. Ab April wird er auch in den Schweizer Kinos laufen. Für die Schaffenden war der Film eine Herausforderung, der Thematik wegen, da man stets zwischen Realität und Mystik gependelt ist. Die Schauspielerin Dorotheea Petre empfindet ihre eigene Rolle als Katalysator zur inneren, geistigen Umwandlung der Figuren im Film. Die Quelle des Films ist die Legende des Blinden aus Techirghiol, der in einen Schlammbrunnen gefallen ist, jedoch wieder sehen konnte, als er aus dem Brunnen herauskam. Der Schlamm war schon in alten Zeiten für seine heilenden Kräfte, insbesondere der Fruchtbarkeitsprobleme, bekannt und lockt auch heute viele Leute hin. Das Ende des Films bleibt offen und regt zum Nachdenken an. Manches kann man schließlich nicht durch Worte oder Bilder erklären. Somit muss jeder alleine urteilen, ob Wunder tatsächlich geschehen.