Der Kulturverein „Timisoara Gospel Project“ (TGP) hat sich mit den beiden Jubiläumskonzerten in diesem Jahr selbst übertroffen. Man würde annehmen, dass nach zehn Jahren die Luft raus sein müsste und dass das Interesse sowie die Faszination für Gospel bei den Temeswarern abflaut. Schließlich dürften Dauerbesucher und langjährige Teilnehmer die einstudierten Lieder in und auswendig kennen. Doch selbst ein Jahrzehnt später schafft es der deutsche Musiker und Komponist Dominic Samuel Fritz das Publikum noch immer zu überraschen, wenn auch manche Momente inzwischen feste Programmpunkte sind, die man obligatorisch abhacken muss.
Wer schon zwei- oder dreimal dabei war, kennt die Geschichte schon, wie Fritz als Freiwilliger nach Rumänien kam und später für eine Gospelwerkstatt zurückkehrte, wie jedes Jahr Laien für eine Woche zusammen mit ihm Gospellieder einstudieren, wie aus dem Projekt mehrere Projekte wurden und schließlich ein Verein. Und ja in der Tat, inzwischen kann man den Großteil der Lieder mitsingen, selbst wenn man nicht auf der Bühne mit den anderen Wagemutigen steht, sondern sich mit der Zuschauerrolle begnügt und den Chor lieber aus sicherer Distanz zujubelt. Doch das Familiäre gibt den Konzerten keinen faden Nachgeschmack, ganz im Gegenteil, es macht sie pfeffriger. Schließlich hat Gospel die Eigenschaft andere zum mitmachen zu animieren und mitmachen kann schwer sein, wenn man die Liedtexte nicht kennt.
Aber das Salz in der Suppe war das Orchester der Banater Philharmonie, das den Chor während den 14 Liedern begleitete. Es trafen zwei musikalische Welten aufeinander; sogar drei, wenn man auch die Begleitband dazuzählt. Auf der Philharmoniebühne wirkten Laiensänger und professionelle Musiker zusammen, zudem wurde Klassik und Moderne vermählt. Das Ergebnis war ein Spektakel für die Ohren: Die bekannten Gospellieder erhielten durch das Orchester Gravität, wobei die Infusion elektrischer Instrumente durch die Band das Ganze in Schwung hielt. Man hat dann schnell vergessen, dass es sich bei den 120 Sängern Größenteils um Menschen handelt, die überhaupt keine musikalische Ausbildung besitzen.
Und es zeigt auch, dass das Familiäre in diesem Fall ein wichtiger Bestandteil ist. Zwar haben sich immer wieder neue Freiwillige dem Projekt angeschlossen, doch es hat sich auch ein fester Kern gebildet, der mit den Jahren gereift ist. Man kann also wohl kaum von einer Redundanz sprechen, sondern viel mehr von einer Kontinuität. Und es dürfte Dominic Samuel Fritz mit Stolz erfüllen, dass sozusagen sein „Baby“ inzwischen erwachsen geworden ist. Dies dürfte nach den beiden Jubiläumskonzerten außer Frage stehen, eben weil ein Laienchor neben einer professionellen Band und einem Philharmonieorchester stehen und sich hören lassen kann.
Bescheidene Anfänge
Vor zehn Jahren sah das Projekt ziemlich wackelig aus: Ein Wochenende lang wollte Fritz mit Freunden und Bekannten ein Gospelkonzert in Temeswar/Timisoara auf die Beine stellen. Für einen Deutschen, dessen oberstes Gebot Pünktlichkeit ist, wurde es zur Zerreißprobe. Denn es wollte sich kein Chor bilden, weil manche zu spät kamen und andere zu früh gingen. Für Fritz war das Projekt gescheitert, noch ehe es gestartet war und er entschied sich das Handtuch zu schmeißen. Es waren dann aber die zehn Freiwilligen, die dem Deutschen einen Schub gaben und sich sagten: Jetzt ziehen wir es durch.
Aus zehn sind einige Dutzend geworden und schließlich über hundert. Vor fünf Jahren übernahmen Freiwillige aus dem Chor die Organisation des Projektes. Die Konzerte erhielten auch einen wohltätigen Charakter: Seit nun sieben Jahren werden Gelder für die Hospiz der Caritas Temeswar gesammelt. Im letzten Jahr erreichten die Spenden die Rekordsumme von 11.400 Lei. Die Hospiz „Haus der Barmherzigkeit“ bietet todkranken Menschen eine Zuflucht. Personen, die nur noch wenige Monate oder Wochen zu leben haben, erhalten dort medizinische, psychologische und seelische Betreuung.
Fritz bat die Zuschauer um eine Spende vor dem bekannten Lied „Abide with Me“ und widmete die Hymne einem ehemaligen Freiwilligen, der letztes Jahr nur Wochen nach dem Gospelkonzert verstarb. Der schottisch anglikanische Pfarrer, Theologe und Kirchenlieddichter Henry Francis Lyte schrieb den Text zu dem Abend- und Sterbelied „Abide with Me“ als er selber aufgrund von Tuberkulose im Sterben lag.
Das gesamte Projekt widmete Fritz Nahestehenden, die im Waisenhaus der Caritas aufgewachsen sind. Er hatte als 19jähriger ein Freiwilligenjahr in Temeswar gemacht und sich so in das Land verliebt. Fritz durfte die Kinder aus dem Waisenhaus aufwachsen sehen, besonders auch durch das Projekt, das ihn immer wieder nach Temeswar zurückbringt. Ein Vorwand letztendlich für den eigentlichen Grund seiner Besuche, nämlich die Menschen, die er kennengelernt hat.
Die Stadt hat ihn mit offenen Armen aufgenommen und würdigt auch seine Arbeit. Der stellvertretende Bürgermeister Dan Diaconu und der Leiter der Banater Philharmonie Coriolan Gârboni überreichten dem TGP-Gründer eine Ehrenurkunde der Stadt Temeswar.
Durch den Sturm lotsen
Inzwischen führt Dominic Samuel Fritz auch seine eigenen Kompositionen in den Konzerten ein. Dieses Jahr wurde erstmals „You’re My All“ gesungen. Ein Publikumsfavorit ist das Lied „Take Us Through the Storm“, das auch von drei Solisten begleitet wird. Mona Violeta Siantiu, Amalia Iordache und Florentin Craineanu überwältigten das Publikum. Fast kein Platz blieb im Konzertsaal leer. Eine Erfolgsveranstaltung nicht nur für TGP sondern auch für die Philharmonie, die sich durch ausgefallenere Events und einer Erweiterung ihres Repertoriums mehr Zuschauer anlocken möchte.
Darum dürfte es auch kaum überraschend sein, dass Gârboni mit dem Vorschlag an Fritz herangetreten war, TGP und die Banater Philharmonie könnten zusammenarbeiten.
Das „Timisoara Gospel Project“ hat sich zu einem Vorzeigeprojekt der Stadt entwickelt und als ein Beispiel, wie sich Temeswar zeigen müsste, hinsichtlich ihrer Kandidatur auf den Titel „Kulturhauptstadt Europas“.
Denn beim TGP machen alle mit: Junge, Alte, Katholiken, Orthodoxe. Es werden keine Unterschiede gemacht und es wird auch keine religiöse Botschaft untergejubelt. Es geht um die Musik und ihre heilende Kraft. Es geht um das mit- und füreinander. Darum müsste man dem TGP auch alles Gute zum Zehnjährigen wünschen und noch weitere zehn Jahre. Wer weiß, was als nächstes ansteht und wie die Veranstalter die diesjährigen Konzerte noch toppen können. Eins wird es allerdings sein: Ein unvergesslicher Abend für alle ausnahmslos.