Wer am Mittwoch oder Freitag Vormittag den Videosaal des Adam-Müller-Guttenbrunn-Hauses betritt, der trifft da drei ältere Herren an. Einer von ihnen steht gerade auf einer kleinen Leiter im hinteren Teil des Raums und sucht etwas im Schrank ganz links. Der Schrank ist voll mit Medikamenten – einige Schachteln stehen auf den Tischen nebenan. Benedikt Roch (88) versucht, die Arzneimittel zu sortieren, denn: „Der, der nach mir kommt, sollte schon wissen, was es da alles gibt“, sagt der Mann. Seine grünlich blauen Augen blicken freundlich zu den beiden BZ-Redakteurinnen hinüber, die zu ihm gekommen sind. „Ich habe die Medikamente für deinen Vater vorbereitet“, sagt er zu Andreea. Ein Glück: Denn das Arzneimittel, das ihr Vater einnehmen muss, gibt es in Rumänien in der Konzentration, in der er es benötigt, überhaupt nicht. Allein in Deutschland kann man es finden. Und da ist die Hilfe von Benedikt Roch gefragt.
Seit über 20 Jahren sorgt der gelernte Chemieingenieur dafür, dass die ehemaligen Russlanddeportierten - und andere auch - mit Medikamenten versorgt werden. Er ist der Schriftführer des Vereins der Ehemaligen Russlanddeportierten, der von seinem Leidensgenossen und Freund Ignaz Bernhard Fischer geleitet wird. Als nach der Wende Spenden aus Deutschland für die Deutschen aus Rumänien geschickt wurden, half Benedikt Roch bei deren Verteilung. Auch Arzneimittel waren dabei. Damals waren es einige Dutzend Helfer, die die Medikamente besorgten und nach Rumänien schickten, damit sie Benedikt Roch an jene, die diese so nötig hatten, verteilen konnte. „Inzwischen sind nur sieben Helfer geblieben. Aber auch der Bedarf an Medikamenten ist im Laufe der Jahre zurückgegangen“, sagt er. Den sieben Leuten, die Medikamente aus Deutschland schicken, ist Roch besonders dankbar. Es handelt sich um Theresia Kerner, Almut Ziegler, Dieter Hillier, Marius Pera, Helga Mih²ilescu-Seiler, Reinhold Jung und Alfred Zawadzki, die Benedikt Roch regelmäßig mit Medikamenten beliefern. Er leitet die Tabletten an die Kranken weiter – nicht, bevor er sich zuerst ganz genau die jeweiligen Rezepte von den Ärzten anschaut. Am gefragtesten sind Arzneimittel, die bei Herz- und Kreislaufstörungen zum Einsatz kommen, aber auch Diuretika und neuroleptische Mittel verteilt Benedikt Roch. Allerdings ist für Letztere ein Rezept vom Facharzt nötig, betont er. „Ich habe organische Chemie studiert. Der Himmel hat es so gewollt, dass ich jetzt mehr oder weniger wieder mit der Chemie zu tun habe“, sagt er.
Benedikt Roch, ein waschechter Temeswarer aus der Elisabethstadt, war noch nie verheiratet gewesen. Sein Lebensweg war kein leichter, denn im Alter von 16 Jahren wurde er zur Zwangsarbeit in die ehemalige Sowjetunion verschleppt. „Fünf Jahre minus drei Monate war ich im Kriwoj Rog, in der heutigen Ukraine. Ich habe dort elf verschiedene Berufe ausüben müssen“, erinnert sich Benedikt Roch an die Zeiten der Zwangsarbeit. „Dort sind zwei Drittel meines Gehörsinns geblieben“, sagt er. Dystrophisch, aber lebend kehrte er von Russland zurück. „Ich bin dort ein paar Mal nur so knapp am Sensenmann vorbeigegangen“, erinnert er sich bitter und zeichnet mit der rechten Hand eine Entfernung von etwa 30 Zentimetern nach. Sein Schutzengel hatte ihn aber nie im Stich gelassen. „Das Leben ist eine Sinuskurve – und keine regelmäßige“, sagt er. Und es ist offensichtlich: Seinen Optimismus hat Benedikt Roch auch in schweren Zeiten nicht verloren.
Nachdem er aus der ehemaligen Sowjetunion zurückkehrte, war er ein Jahr lang als Ersatzlehrer für Russisch an der Schule in Sackelhausen tätig – da, wo seine sechs Jahre ältere Schwester Deutsch unterrichtete. Dann studierte er Chemie und war nach Abschluss des Studiums als Universitätsassistent an der Politehnica tätig. Danach ging er in die Lokalindustrie, die er erst im Rentenalter, mit 60, verließ. „Chemie ist meine Ehegattin, aber Mathematik ist meine Geliebte“, scherzt Benedikt Roch. Das Fach Mathematik hatte ihm immer sehr gut gefallen, sagt er.
Egal, ob Sommer oder Winter: Benedikt Roch ist an zwei Tagen die Woche im AMG-Haus zu finden. In den kommenden Wochen möchte er Ordnung in die Medikamente schaffen, denn diese füllen nicht nur einen, sondern gleich alle fünf Schränke im Videosaal. „Ich schaue mir alle Verpackungen genau an und werfe die abgelaufenen weg“, sagt er. Zum Schluss gibt es eine Umarmung und ein kleines Kreuz auf der Stirn, mit dem gegenseitigen Wunsch nach Gesundheit und Wohlbefinden.