Bukarest (ADZ) - Das Parlamentsplenum in Bukarest hat in einer außerordentlichen Sitzung am Freitagabend für die Amtsenthebung von Staatspräsident Traian Băsescu gestimmt. Für die Suspendierung des Staatsoberhauptes stimmten 256 der Volksvertreter, 114 waren dagegen. Băsescu muss sein Amt nun ab sofort ruhen lassen, seine Amtsenthebung muss laut Verfassung binnen 30 Tagen duch eine Volksabstimmung bestätigt werden. Die Parlamentsmehrheit gewährt dem suspendierten Präsidenten allerdings nur eine dreiwöchige Wahlkampfzeit − das Referendum soll bereits am 29. Juli stattfinden.
Vor der Abstimmung hatte der rumänische Verfassungsgerichtshof befunden, dass der Präsident in keinem der sieben, von der Mitte-Links-Koalition angeführten, Anschuldigungen gegen die Verfassung verstoßen habe, doch könnten zwei Punkte als Überschreitung der Befugnisse gedeutet werden. Allerdings ist das Gutachten des Verfassungsgerichts infolge eines Eilerlasses der USL-Regierung nicht mehr bindend. Die Koalition erklärte am Freitagabend im Parlament, die Verfassungsrichter hätten Băsescus schwere Verstöße gegen die Verfassung bestätigt, weigerten sich aber, den Befund der Richter − wie in der Tagesordnung vorgesehen − zu verlesen.
Verfassungrichterin bedroht
Davor hatte der Verfassungsgerichtshof für den zweiten Eklat des Tages gesorgt, nachdem er in einer Pressemitteilung bekanntgab, dass Verfassungsrichterin Aspazia Cojocaru vor dem Befund des Richtergremiums „bedroht“ wurde. Laut Presse sollen letztlich nur sieben der neun Verfassungsrichter bei der Erstellung des Gutachtens dabei gewesen sein. Verfassungsrichterin Cojocaru erstattete inzwischen bei der Staatsanwaltschaft Anzeige wegen „Erpressung und Bedrohung“ – ob gegen Unbekannt, ist derzeit noch unklar. Rumänische und internationale Medien berichteten einhellig, das die 66-Jährige, die von der PSD für das Verfassungsgericht vorgeschlagen worden war, mit der Veröffentlichung ihrer Securitate-Akte bedroht wurde. Aus der Akte gehe hervor, dass die Richterin ein Spitzel der früheren Geheimpolizei Securitate war, schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung.
"Rechtsstaat schwer erschüttert"
Der suspendierte Präsident trat am späten Freitagabend vor die Presse und sagte, er ziehe ab dato „mit der Wahrheit und der Verfassung in der Hand in den Wahlkampf“. Regierungskoalition und ihre konjunkturelle Parlamentsmehrheit hätten den „Rechtsstaat schwer erschüttert“, sie täten nicht anderes, als die eigenen politischen Interessen zu verfolgen, die eine totale Unterwerfung der Institutionen − „Parlament, Regierung, Verfassungsgericht, Justiz und Geheimdienste“ − vorsehen. Dabei setze sie sogar „die Stabilität und den Ruf des Landes aufs Spiel“.
Präsidentschaft ruft Verfassungsgericht an
Băsescu teilte zudem mit, den Verfassungsgerichtshof wegen eines „institutionellen Konflikts zwischen Präsidentschaft und Parlament“ angerufen zu haben. Das Verfassungsgericht habe befunden, dass er nicht gegen die Verfassung verstoßen habe, das Parlament habe ihn jedoch just dafür suspendiert. Diesen Vorwurf könne er nicht auf sich sitzen lassen. Es gehe ihm dabei nicht um seine Person, sondern um die präsidentschaftliche Institution. Damit werde nämlich ein gefährlicher Präzendenzfall geschaffen. Den gleichen Schritt hatte Băsescu auch 2007 nach seiner ersten Supendierung unternommen.
Sobald der Verfassungsgerichtshof in der Klage von Ex-Senatschef Vasile Blaga über dessen irreguläre Absetzung befinde, trete er seine Befugnisse an den neuen Senatsvorsitzenden Crin Antonescu ab, sagte Băsescu. Blaga hatte seine Klage noch in letzter Minute einreichen können, bevor der Eilerlass der Regierung über die Beschneidung der Befugnisse des Verfassungsgerichts im Amtsblatt erschien.
Gemeinsame Pressekonferenz Ponta-Antonescu
Regierungschef Victor Ponta und Crin Antonescu hielten am Freitagabend eine gemeinsame Pressekonferenz ab. Der Premier stellte Antonescu der Öffentlichkeit bereits als interimistischen Staatspräsidenten vor und sicherte ihm die volle Unterstützung seiner Regierung zu. Beide USL-Chefs betonten, dass die gestrigen Vorkommnisse im Parlament „ein Ausdruck der Demokratie sind“, Ponta versicherte erneut, Verfassung, Rechtsstaat und Gewaltenteilung respektieren zu wollen. Der Ministerpräsident bestritt, von dem besorgten EU-Kommissionschef José Manuel Barroso nach Brüssel zitiert worden zu sein, er reise am Donnerstag freiwillig nach Brüssel, um die Lügenmärchen der Liberaldemokraten über die Untergrabung des Rechtsstates in Rumänien aus der Welt zu schaffen.
Scharfe Kritik aus Brüssel, Berlin und Washington
Die EU-Kommission hatte sich am Freitag, vor der Abstimmung im Parlament, tief besorgt über die Entwicklung in Rumänien gezeigt. In ihrer ersten offiziellen Stellungnahme hieß es, die Kommission sei vor allem besorgt über „Handlungen, die anscheinend die tatsächliche Macht unabhängiger Einrichtungen wie des Verfassungsgerichts verringern wollen“. Brüssel ließ die Regierung Ponta unmissverständlich wissen, dass Rechtsstaatlichkeit, demokratische Kontrolle und die Unabhängigkeit der Justiz „Eckwerte“ der europäischen Demokratie seien − „die Regierungspolitik und politische Aktionen müssen diese Prinzipien und Werte respektieren.“ Ein Kommissionssprecher hob hervor, dass man auch über die schnelle Abfolge der Vorkommnisse besorgt sei.
Barroso telefonierte anschließend mit Ponta und berief den rumänischen Premier nach Brüssel; Eu-Ratspräsident Van Rompuy twitterte, “tief besorgt” über die Entwicklung und den Rechtsstaat in Rumänien zu sein, er werde sowohl mit Victor Ponta als auch mit Traian Băsescu umgehend in Verbindung treten.
Auch die Bundesregierung kritisierte die Lage in Rumänien scharf und drohte dem Land am Freitag erstmals mit Konsequenzen für den erhofften Schengen-Beitritt. Die Bundesregierung habe "große Zweifel an der Legitimität der von der Regierung Ponta ergriffenen Maßnahmen", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. "Das ist eine Entwicklung, die die Bundesregierung mit großer Sorge betrachtet", die Beschneidung der Rechte des Verfassungsgerichtshofs untergrabe das Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit des EU-Partners, so Seibert. Deutschland werde sich bezüglich des Schengen-Beitritts Rumäniens eng mit den anderen EU-Partnern abstimmen.
Die US-Verwaltung reagierte am Freitag. Das Außenministerium in Washington äußerte sich besorgt über die jüngsten Vorkommnisse in Rumänien, die „Gewaltenteilung und damit das demokratische Gleichgewicht bedrohen und unabhängige Institutionen wie die Justiz untergraben“.
Joseph Daul, Vorsitzender der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, teilte am Freitag mit, die Entwicklungen in Rumänien seien einem „Staatsstreich“ gleichzustellen.
Zerreißprobe
Rumänien steht nun vor der Zerreißprobe: Die Bevölkerung muss am 29. Juli in einem Referendum über die Absetzung Traian Băsescus entscheiden. Allerdings reicht aufgrund der am Donnerstag erlassenen Eilverordnung der Regierungskoalition ab sofort die Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Seit 2010 war dafür laut Gesetz die Mehrheit der Wahlberechtigten nötig.
Traian Băsescu sagte am Freitagabend, die USL habe in einem einzigen Punkt ihrer Anschuldigungen Recht gehabt: nämlich als sie ihm seine gesunkenen Popularitätsquote vorgehalten habe.