ADZ-Reihe: Wertvolle Jugendbücher

Auf einmal nur noch Angst...

„Gegen meinen Willen“, Heidi Hassenmüller Klopp Verlag -ausgeliehen in der Bibliothek des Goethe-Instituts Bukarest, Calea Dorobanți 32/Pavilion, www.goethe.de/bukarest


Als Malika Diba zwölf war, sprang die Angst sie an wie ein wildes Tier. Plötzlich und ohne Vorwarnung.  Der Anlass: Ein geblümter Badeanzug mit Rüschen, eigentlich viel zu kindlich für ein Mädchen, das schon einen leichten Busen bekam.  

Die Mutter sah sie nur mit zusammengepressten Lippen an. Der Vater tobte. Malika wusste, sobald sie ihre Tage bekam, würde nichts mehr wie früher sein. Dann würde sie ein Kopftuch tragen müssen. Dann wäre es vorbei mit den Schwimmstunden in der Schule, der Vater würde schon einen Grund finden, sie davon befreien zu lassen.

Malika ist in Deutschland aufgewachsen, doch ihre Familie stammt aus Marokko. Tiefgläubige, konservative Muslime. Ihre Eltern waren bisher sehr liebevoll gewesen, doch nun stand die Sittsamkeit der heranwachsenden Tochter für sie an oberster Stelle. „Islamische Mädchen sind die Ehre der Familie“, erklärt ihr die Mutter. Wenn das Mädchen ihre Ehre verliert, gilt dies für die ganze Familie. Dann gibt es nur einen einzigen Weg, sie wieder herzustellen...

Die Lehrerin setzt sich ein für Malika. „Sie ist doch in Deutschland aufgewachsen, sie will wie ihre Freundinnen sein.“ „Sie wird nie wie eine Deutsche leben“, erwidert die  Mutter. Malika weiß, was das bedeutet. Ehe, Kinder - punkt. Sie würde viel lieber studieren, Geschichten schreiben, frei sein...

Die Lawine der Angst kommt ins Rollen: Als die Eltern Malika vorübergehend zu Verwandten nach Marokko schicken, wo sie sich von einer hartnäckigen Erkältung erholen soll, überschlagen sich auf einmal die Dinge. Malika erfährt, wie leicht man seine Ehre verlieren kann - ganz ohne eigenes Zutun. Oder ist es ihre Schuld, dass sie das Zimmer nicht abgeschlossen hatte und ihr neugieriger Cousin Rashid sich Zugang verschaffen und einen Blick auf ihre Blöße erhaschen konnte? Gut, dass ihre Cousine Kuchida ihn ertappt hat, wer weiß, wozu Rashid noch imstande gewesen wäre!

„Rashid hat gefehlt“, gesteht Kuchida später voller Gewissensbisse dem Vater. Das besiegelt Malikas Schicksal. Denn jetzt gibt es nur noch eine Art und Weise, diesen Fehler wieder geradezuziehen: Heirat.

„Gegen meinen Willen“ von Heidi Hassenmüller verdeutlicht das Netz aus Ängsten und Zwängen, das sich um das  Mädchen in ihrem streng muslimischen Umfeld immer enger zusammenzieht. Zum Schluss bleiben nur zwei Wahlmöglichkeiten:  Sich zu fügen und für den Rest des Lebens ein freudloses Dasein zu fristen, als Spielball eines ungeliebten Mannes - oder die Flucht in die Freiheit, wenn sie denn jetzt überhaupt noch gelingen kann, fort aus ihrer fremd gewordenen Heimat, doch dies bedeutet für die Minderjährige auch den Bruch mit ihrer Familie, die Schande wäre zu groß für ihre Eltern. Und Malika wäre auch dann niemals wirklich frei. Die Angst bliebe ihr ständiger Begleiter. Was, wenn es ihr wie Fatima erginge?

Nur nach und nach hat sie erfahren, was ihrer ehemaligen Koranlehrerin zugestoßen war, nachdem sich diese für die Freiheit entschieden und heimlich ein neues Leben begonnen hatte. An einem Bahnhof hatte sie irgendwann ihr Bruder erkannt - und die Ehre der Familie wieder hergestellt. Mit Blut! Ehrenmord. Ein Tabuthema in Deutschland.

Wäre einer ihrer  Brüder dazu in der Lage? Mit Abdul hatte sie ein herzliches Verhältnis, aber Achmed, der Zweitgeborene? Allzu gerne würde er Abduls Platz einnehmen...

Wie wird sich Malika entscheiden? Eine Frau, die ihr beim Hinflug ein Päckchen überreicht hatte, ein Klassenkamerad aus Deutschland und ausgerechtet eine schwarze Burka helfen Malika, ihren Weg zu finden.