Fehler kann man wieder gut machen, Missverständnisse klären. Das galt zumindest bisher. Bis die Social Media kamen und jeden freiwillig oder unfreiwillig zum Star in der Öffentlichkeit küren. Niemand kann sich mehr entziehen: nicht dem Klassenchat, nicht den Kommentaren, nicht dem Weiterverteilen weit über die Grenzen des persönlichen Kontaktkreises hinaus. Auch Mobbing geschieht längst auf sozialen Medien, in der Öffentlichkeit des Internets und unauslöschlich. Am schlimmsten aber ist es, wenn die Dinge außer Kontrolle geraten: Wenn aus dem Klassenspott plötzlich ein Shitstorm wird, der Hass anzieht, weit über die Kreise, die es betrifft, hinaus. Der dann plötzlich in die reale Welt hineinbricht, an Fahrt aufnimmt, alles überschwemmt. Ignorieren hilft nicht, das Opfer kann sich nicht verstecken, mit jedem neuen Kommentar wird alles noch schlimmer. Bald bedrohen Unbekannte den im Netz geschmähten, mit Hass überhäuften Ausgestoßenen. Nicht mehr nur mit Worten, Beleidigungen, falschen Pizzabestellungen. Sondern mit Todesdrohungen, Auflauern, Zusammenschlagen auf offener Straße. Nie weiß man, woher die Gefahr droht, denn „berühmt“ ist ja nur das Opfer...
Robert hat es erlebt: „Vor drei Monaten, an einem Sonntagnachmittag im Mai kurz nach 17 Uhr, bin ich gestorben,“ beginnt seine Geschichte. Eine fiktive, doch realitätsnahe Erzählung, die Autor Daniel Höra Amanda Todd widmet, einer 15-Jährigen, die monatelang im Netz gemobbt wurde und sich schließlich das Leben nahm.
Wie geschehen solche Dinge? Was muss Schreckliches vorausgegagen sein, um derartigen Hass anzuziehen? Eigentlich – nichts. Ein winziger Fehler. Ein liegengelassenes Handy auf dem Tresen eines Partylokals, in der eine Klassenfeier stattfand. Und am nächsten Tag finden sich Fotos im Netz, von Annika, die mit Björn knutscht, obwohl beide fest vergeben sind. Versendet von diesem Handy. Wie gemein!
Robert versteht die Empörung. Doch niemand glaubt ihm, dass er es nicht gewesen ist. Vergeblich schreibt er das ins Netz, die Kommentare haben schon an Fahrt aufgenommen, täglich werden es mehr. Zuerst spricht niemand mehr in der Klasse mit ihm, bald kennt ihn die ganze Schule. Der Schneeball gerät ins Rollen…
Vergeblich schaltet Robert sein Handy aus, versucht, seinen Account zu ignorieren. Immer mehr gerät er ins Abseits. Selbst seinen Freunden ist es inzwischen peinlich, mit ihm abzuhängen. Egal, ob sie es glauben oder nicht. Der Lehrer, der zwischen den Fronten vermitteln soll, fragt Robert, warum er es denn nicht wenigstens zugibt...
Es wird schon abflauen, redet Robert sich ein. Sagen auch die Eltern. Aus der Schusslinie gehen, Gras drüber wachsen lassen...
Eines Tages wird der Junge auf offener Straße brutal zusammengeschlagen. Und erkennt: Es wird immer weitergehen. Selbst Schulwechsel oder Umziehen würde nicht helfen. Nicht einmal die Wahrheit, die dann unver-sehens doch noch ans Licht kommt... Zu groß ist schon der Schaden. Bestraft fürs Leben wird man auch für Fehler, die man gar nicht begangen hat.
Zum Schluss gelingt es Robert, seinem Schicksal eine Wende zu geben. Doch vieles bleibt auf der Strecke. Und im Netz wird er für die meisten wohl immer bleiben, was man ihm zuletzt angedichtet hatte: der potenzielle, polizeigesuchte Amokläufer, der seine Schule in ein Blutbad verwandeln wollte.
„Auf dich abgesehen“ - mit nur 110 Seiten schnell zu lesen und hochspannend - sollte Pflichtlektüre an allen Schulen sein.
Die monatliche ADZ-Reihe „Wertvolle Jugendbücher“ möchte Kinder und Jugendliche zum Lesen in deutscher Sprache anregen. Die Bücher sind in den deutschsprachigen Bibliotheken des Goethe-Instituts auszuleihen.