Er war Musiklehrer, Kirchenmusiker, Chorleiter und Komponist. Er selbst betrachtete sich nicht nur seines Lebensstils wegen als „der letzte Romantiker“. Seinen Schilderungen nach, kam er 1916 zur Welt – um das musikalische Erbe Max Regers anzutreten, der im gleichen Jahr gestorben ist…
Peter Kleckner erblickte am 18. März 1916 im Wallfahrtsort Maria Radna, am Fuße der Wallfahrtskirche, das Licht er Welt. „Im Schoße Mariens bin ich geboren“ - sagte Peter Kleckner, also am Fuße des heiligen Berges, im Schatten der herabschauenden Türme der Wallfahrtskirche. Er wird später in Temeswar den Kantorenkurs von Hans Eck absolvieren und an der Klausenburger Musikakademie studieren. Hier war er Schüler bedeutender rumänischer Musikerpersönlichkeiten wie Andreescu Scheletti, Sigismund Toduta, Mircea Neagu und Sabin Dragoi. Bereits mit 14 Jahren schrieb er seine ersten Kompositionen. Wenn Max Reger einen Johannes Brahms als Vorbild hatte, so galt für Peter Kleckner Franz Schubert als sein Idol. Das Klavierlied wird ihn bis an sein Lebensende begleiten.
Unsere europäische Musikgeschichte besteht nicht nur aus Bach, Mozart und Beethoven. Erst durch die unermüdliche Arbeit vieler unbekannter Musikpädagogen, Kantoren und Kapellmeister konnte die Musikkultur einzelner Regionen wie dem Banat oder Siebenbürgen gedeihen und weiterentwickelt werden. Unsere viel zu traditionell und zu westlich geprägte europäische Musikhistoriographie besteht auch nicht nur aus Musikmetropolen wie Wien, Neapel, Bayreuth und Paris sondern auch aus vielen kleineren Musikzentren regionaler Größe wie Temeswar, Arad, Hermannstadt, Kronstadt oder Lugosch.
Einer der Unterschiede ist der, dass man sich der Musikforschung dieses südöstlichen europäischen Winkels, wie man das Banat einmal nannte, noch nicht systematisch angenommen hat. Für unsere deutschen Musikwissenschaftler hierzulande (also in Deutschland) handelt es sich um eine viel zu entfernte Region, die irgendwo zwischen dem Orient und dem Okzident liegt. Wir selbst hatten eigentlich in der Nachkriegszeit in der alten Heimat nie die Möglichkeit, etwas Näheres über die bunte Musikkultur des Banats zu erfahren, geschweige über die Musiktraditionen der deutschen Minderheit oder über die Kirchenmusik. Auch das musikalische Schaffen dieser zahlreichen Kleinmeister des Banats wartet noch auf eine wissenschaftliche Erforschung und auf eine entsprechende Würdigung.
Peter Kleckner war einer dieser vielen „kleineren“ Meister dieser Kunst und dies in einer Zeit, die als das dunkelste Kapitel der europäischen Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts bezeichnet werden kann.
Wir alle wissen was das hieß, in den Jahren 1947-1952 als Kirchenmusiker im Banat tätig zu sein. Peter Kleckner leitete in dieser Zeitspanne den Lippaer Kirchenchor. Bereits in den dreißiger Jahren vertonte er Texte von Nikolaus Lenau, Mihai Eminescu, Ludwig Uhland und Pavel Brutan. Bereits damals hat Kleckner seinen Kompositionsstil entdeckt, dem er bis zu seinem Lebensende treu bleiben wird. Folgt man der Musik seiner ersten Lieder, so findet man in jedem Takt den Romantiker, vor allem aber den Träumer, den Poeten, den ewig Suchenden nach menschlicher Nähe und Zuneigung. Seine ersten Lieder hießen Nebel, Herbst, Trauer, Abendglocken, Schilflied, Lied ohne Worte. Man könnte fast behaupten: diese Musik wurde doch bereits hundert Jahre davor schon mal komponiert. Und trotzdem: sie beinhaltet viel Charakteristisches, Eigenartiges, was auch durch das Umfeld zu erklären ist, in dessen Kontext diese Kompositionen entstehen konnten.
Peter Kleckner versuchte durch seine Musik den Menschen in seinem engeren Umfeld eine Freude zu bereiten. Er konnte in seinen Kompositionen auch einen Teil seines Zeitgeistes für die Nachwelt konservieren. Er war einer der ersten Komponisten, die Texte von George Bacovia vertonten. Die düstere Stimmung dieser Lieder konnte er vorteilhaft in Töne und Klangbilder formen. Immer wieder treffen wir dies ähnliche Stimmungsbild an, wie im Herbstlied nach Dingelstedt, komponiert 1944: „Rasch ein letztes Lied gesungen, eh das Leben ganz entwich, / Eh in grauen Dämmerungen, Winter alles kalt umschlungen, / Lieder, Blumen, Herbst und mich...“
Zu Ostern des Jahres 1944 vertonte Peter Kleckner in Lugosch einen Text von Bodo Kaltenbaeck (gest.1939): Schwarze Madonna. Im Refrain kommt das Schicksal tausender unsinnig geopferter Menschen zum Ausdruck:
„Gefallen im Osten, gar bald ist es aus,
Es führen die Kreuze mich nimmer nach Haus...“
Noch wehmütiger und düsterer wird es in seinem nächsten Werk, ein Klavierstück mit dem Titel 1945. Wer die Geschichte des Banats besser kennt, der weiß, was die vollgriffigen verminderten und oft dissonanten Akkorde ausdrücken sollen: es ist vermutlich das einzige Klavierstück der Musikliteratur, das die Zeit der Russlanddeportation in Tönen festhielt. Kleckner wird nach vielen Jahre 1993 sich nochmals dieser Zeit erinnern, als er während eines Deutschlandaufenthaltes das Gedicht Gruß an Rumänien vertonte. Der Text stammt vom württembergischen Dichter Albrecht Goes (geb. 1908 in Württemberg), der in den vierziger Jahren als Feldgeistlicher Rumänien kennengelernt hat. Es handelt sich also nicht um einen falschen patriotischen Hymnus aus der Zeit des Totalitarismus, sondern um einen poetischen Gruß an ein Land, das der deutsche Poet liebgewonnen hat. So finden wir in dem dreistimmigen Chor-satz auch die Beziehungen zum Banat: „Nun, da es hoher Sommer wird, denk ich Rumänien dein, / Wie glühend mag, du Sommerland, dein hoher Sommer sein (...) / Nun treiben sie nach Temeschburg, das schwarzgefleckte Vieh, / Viel buntgesticktes Reisekleid, Weißlinnen tragen sie (...)“
Zu den wichtigsten Werken Kleckners zählt auch das Gebet (Rugaciune) nach Mihai Eminescu, ein vierstimmiges Werk für gemischten Chor, in welchem meisterhaft das kompositionstechnische Können dieses Meisters zum Vorschein kommt. Er vertonte auch Texte von Hermann Hesse, Sándor Petöfi, Christian Morgenstern, Josef von Eichendorff, Theodor Storm, Hans Liebhardt, Georg Trakl, Marie Madelaine, u.v.a. Die Liste seiner fast 200 Kompositionen enthält Titel in deutscher, ungarischer und rumänischer Sprache.
Peter Kleckner war aber vorwiegend Pädagoge, nicht nur für Jugendliche sondern auch für Erwachsene. In den 60er und 70er Jahren brachte er regelmäßig das Orchester der Arader Philharmonie nach Lippa, in die Stadt an der Marosch. Selbst heute noch sprechen die Einwohner von dieser kulturträchtigen Zeit. Durch die Veranstaltungen wurde der sozialistische graue Alltag etwas bunter. Wer heute den Saal des Lippaer Kulturhauses betritt, kann sich nur schwer vorstellen, dass hier einmal Valentin Gheorghiu, Martha Kessler, Emilia Petrescu, Dan Iordachescu und Stefan Ruha als Solisten auftraten.
In den 60er Jahren leitete Kleckner in Lippa einen Arbeiterchor und später gründete er einen Madrigalchor. Für einen deutschen Intellektuellen des damaligen Rumäniens wurden die Zeiten nach 1980 noch härter: durch die Politik und die Sparmaßnahmen der damaligen sozialistischen Ära, wurde der deutschen Kultur des Banats einer der letzten Todesstöße erteilt. Und gerade in jener Zeit hat Peter Kleckner regelmäßig Musikabende im Hause Bocu (Casa Bocu), dem heutigen Sitz des städtischen Museums der Stadt Lipova, veranstaltet. Gemeinsam mit einem Kreis von unermüdlichen Musikliebhabern wurden Opern-, Operetten- und Liedabende veranstaltet. Die Musikstücke wurden mit Poesie und Lesungen miteinander zu einer künstlerischen Einheit verbunden. Unzählige dieser handgefertigten Plakate der Jahre 1980-1985 sind heute noch im Lippaer Museum vorzufinden. Solche Abende wurden oft einzelnen Musikern gewidmet wie Brahms, Bach, Händel, Chopin oder Verdi.
So bunt wie die Namensreihe der Ausführenden Künstler wie Marconi, Vigi, Loose, Hopp, Kurko, Kandler, Henz oder Mînzatu, so auch die Programmgestaltung. Frau Herta Marconi hat diese Zeit in einem kleinen Büchlein mit dem Titel „Auf Flügeln des Gesangs“ dokumentiert und festgehalten. Mit dieser kleinen Musikantenschar trat man auch in Arad und Temeswar auf, die Zeitung und der Rundfunk berichteten über diese Veranstaltungen. Erst als man nicht mehr in deutscher Sprache singen durfte, als man abends um 18 Uhr den elektrischen Strom abgeschaltet hat und als man nur noch Lobgesänge an die Adresse des „beliebtesten Sohnes unseres heißgeliebten Vaterlandes, dem vielgeliebten Führer Nicolae Ceausescu“ singen durfte, wurden diese Musikabende eingestellt. Was Peter Kleckner in jener schweren Zeit auf kulturellem Gebiet in Lippa geleistet hat, konnte man in dieser Art in keinem zweiten Ort des Banats vorfinden.
Nach der Wende von 1989 wirkte Peter Kleckner eine Zeit lang auch als Lehrer der Kantorenschulung der Temeswarer Diözese und unterrichtete mehrere Schüler in Harmonielehre, Harmonium- und Orgelspiel. Vielen Kirchenmusikern half er in musikalischen Fragen, speziell wenn es sich um harmonische oder chorische Aufgaben handelte.
Kleckner starb am 9. Dezember 1998. Ein ehemaliger Lehrerkollege sagte in seiner Trauerrede in der katholischen Pfarrkirche von Lippa am 11. Dezember im Hinblick auf die Verdienste des Toten: „Einen Menschen solle man nicht danach beurteilen wie er war, sondern was er geleistet hat“.
Ich selbst hätte nie gedacht, dass ich mich irgendwann mit den Kompositionen Peter Kleckners befassen werde. Zwar hat er mir oft einige seiner Werke vorgespielt, doch meine Aufforderungen nach der Niederschrift dieser Werke blieben unbeantwortet. Allzu menschlich waren die letzten Lebensjahre dieses Lippaer Musikers: bettelarm, missachtet, verlassen, verwahrlost, krank und orientierungslos. Erst als sein menschenunwürdiges Dasein der letzten Jahre dem Ende zuging, nahm er seitens der Kirche und von einigen Freunden Unterstützung und Hilfe an.
Sein Leben bestand nur aus Musik. Allein diese hat ihn erhalten und seinem Leben einen Sinn gegeben. War er der Typus des unverstandenen Künstlers? Des anachronistischen Künstlers am falschen Ort zur falschen Zeit? Von seinen Kompositionen sind uns nur wenige erhalten geblieben. Es gefiel ihm lieber auf seinem uralten und verstimmten Wiener Klavier dem interessierten Zuhörer seine neuen Kompositionen im heruntergekommenen Haus gegenüber der Radnaer Kirche auswendig vorzuspielen. Trotz der Aufforderung seiner Freunde, die Lieder, Klavier- und Orchesterwerke auch mal aufzuschreiben und zu ordnen, kam er diesem Wunsch nie nach. Auch noch kurze Zeit vor seinem Tode wusste niemand so recht, was er eigentlich an Kompositionen der Nachwelt überlassen wird.
Und siehe da, es musste das Schicksal eingreifen, um in letzter Stunde noch zu retten, was zu retten wäre. Anfang der neunziger Jahre kam die Kinderbuchautorin Else Schwenk-Anger aus dem Schwarzwald nach Lippa, wo ihr Verein sich um die zahlreichen rumänischen Kinderheime bemüht. Durch das uneigennützige Entgegenkommen dieser Frau konnte Peter Kleckner überzeugt werden, seine Kompositionen zu ordnen. So kamen über 80 Kompositionen ans Tageslicht, meist Klavierlieder, entstanden zwischen 1935 und 1994. Der musikalische Nachlass dieses Banater Komponisten wurde somit von einer Schwarzwälderin für die Nachwelt gerettet. Es ist ein Teil unserer Banater Musiktradition der Gegenwart, der ohne dieses Engagement von Frau Schwenk-Anger für immer verlorengegangen wäre. Man könnte sich fast Vorwürfe machen, dass es den Freunden von Peter Kleckner wie auch den landsmannschaftlichen Institutionen in Deutschland und dem Deutschen Forum in Rumänien nicht gelungen ist, etwas für die Rettung des musikalischen Nachlasses von Peter Kleckner zu unternehmen. Nur kurze Zeit nach seinem Tode hat die Kinderbuchautorin Else Schwenk-Anger gemeinsam mit dem Verfasser dieser Zeilen die Werke Kleckners unter dem Titel Kompositionen eines Spätromantikers aus dem Banat in Alpirsbach herausgegeben.
Im Dezember 2015 wurde das Leben Peter Kleckners zum Thema des Musicals Apovilya, das ebenfalls von Else Schwenk-Anger konzipiert wurde. Der Schwarzwälder Bote berichtete darüber ausführlich: „Das Stück beginnt im heimischen Wohnzimmer der bekannten Kinderbuchautorin in Alpirsbach, einer heilen Welt, in die jedoch die schrecklichen Nachrichten vom Elend rumänischer Waisenkinder dringen. Die Kinder im Waisenhaus, die einsamen Straßenkinder, die Begegnung mit dem armen Komponisten und Pianisten Professor Kleckner, der Aufbau der Kinderhäuser, Bruder Franziskus predigt von der Menschlichkeit und den Tieren… Kinder und Erwachsene spielten und sangen in wundersamer Harmonie und Gemeinsamkeit…“ Selbst der Musiker Michael Grüber trat auf und spielte den Professor Peter Kleckner. In diesem Jahr (2016) soll Else Schwenk-Anger das Bundesverdienstkreuz – besonders für ihr Engagement für die Waisenkinder in Lippa – überreicht bekommen und vielleicht wird dieses Musical bei dieser Gelegenheit wieder aufgeführt. Und mitten drin die Gestalt des Banater Komponisten, Kirchenmusikers und Pädagogen Peter Kleckner…