Nachts. Eine Frau in ihrem Zimmer. Unruhig geht sie auf und ab. Ihr Nachthemd gibt ihre Schultern frei. Sie geht wieder hin und her, traut sich erstmal nicht, durch das Fenster zu schauen. Unten wartet ein Graf, der in die verheiratete Frau verliebt ist. Er kommt zu ihr, tief gerührt ergreift er ihre Hand. Sie ist ekstatisch und gequält zugleich und traut sich nicht, ihn anzuschauen. Schwarz-weiße Bilder aus der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts strömen vor den Augen Hunderter von Zuschauern vorbei, musikalisch untermalt wird der Stummfilm aus den 20er Jahren vom Sinfonieorchester des Rumänischen Rundfunks unter der Leitung des deutschen Dirigenten Stefan Geiger.
Es ist das Highlight der Saison. Auf der Bühne sitzen ungefähr 100 Musikinstrumentalisten. Fast ein Jahrhundert nach der Premiere kann auch das Bukarester Publikum die spannende und humorvolle Geschichte des legendären Rosenkavaliers im Film entdecken. Die Zuschauer genießen an diesem Abend Mitte November die makellose Interpretation eines sehr komplexen Werkes, die vom Goethe-Institut in Zusammenarbeit mit Radio România in die Wege geleitet wurde: Der Stummfilm „Der Rosenkavalier“ (1925, Regie: Robert Wiene) wurde im Bukarester Radiosaal vorgeführt. Für die Verfilmung der gleichnamigen Oper von Richard Strauss (Musik) und Hugo von Hofmannsthal (Libretto) interessieren sich sowohl Cineasten als auch Opernliebhaber.
Die Komödie in drei Akten feierte als Film Weltpremiere am 10. Januar 1926 in der Dresdner Semperoper. 80 Jahre danach hat ZDF/ARTE eine umfassende Restaurierung in Auftrag gegeben. Immer mehr Aufmerksamkeit wird dem Stummfilm geschenkt, diese Tendenz ist in Deutschland seit ungefähr zwei Jahrzehnten zu beobachten und ARTE hat viel in dieser Hinsicht dazu beigetragen, erklärt der Dirigent in einem Interview der rumänischen Presse. Für solche Veranstaltungen ist Stefan Geiger bekannt. Das von Geiger glanzvoll dirigierte Konzert kommt als dritte Kino- und Konzertvorführung nach Bukarest: Dem rumänischen Publikum hat er in den vorigen Jahren „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“ und „Die Büchse der Pandora“ vorgestellt.
Dirigiert hat Stefan Geiger bisher ungefähr 20 solche Kino-Konzerte. Er ist die Schlüsselfigur bei der Veranstaltung. Die Filmpartitur hat er diesmal mit dem Sinfonieorchester des Rumänischen Rundfunks nur fünf Tage lang einstudiert. Zusammengearbeitet hat er mit berühmten Orchestern wie dem Sinfonieorchester des Norddeutschen Rundfunks Hamburg, mit den Würzburger Philharmonikern, den Nürnberger Symphonikern, dem Paraná State Symphony Orchestra und dem Ensemble Resonanz. Seit 13 Jahren leitet er das Landesjugendorchester Bremen. Stefan Geiger wird sich in der Spielzeit 2016-2017 als Hauptdirigent des Sinfonieorchesters Parana in Brasilien betätigen.
Die Komödie „Der Rosenkavalier“ ist ein Sonderfall, da die Musik vor der Verfilmung komponiert wurde. Die spektakuläre Musik begleitet eine lustige Geschichte: Der Vetter der Marschallin, Baron Ochs, kommt zu Besuch, da er Sophie, die Tochter eines erst kürzlich geadelten Neureichen heiraten möchte. Graf Oktavian, der zunächst in die Marschallin verliebt ist, wird als Ochsens Brautwerber (Rosenkavalier) zu Sophie geschickt und verliebt sich auf der Stelle in die junge Frau. Auch wenn Ochs einen Heiratsvertrag mit Sophies Vater verhandelt hat, will das Mädchen den alten Ochs nicht heiraten, da sie die Gefühle des jungen Grafen erwidert.
Beim Film muss man die Arbeit des Regisseurs bewundern. Robert Wiene war in den 20er Jahren schon ein erfahrener Regisseur, berühmt wurde er besonders durch seinen expressionistischen Stummfilm „Das Cabinet des Dr. Caligari“. Bekannte und erfahrene Kameraleute Hans Theyer, Ludwig Schaschek und Hans Androschin, waren für die Kameraaufnahmen zuständig. Gedreht wurde „Der Rosenkavalier“ unter anderem auch im Wiener Palast Schönbrunn. Die zahlreichen und aufwändigen Rokokokostüme tragen zur Wirkung des Films bei.