Die deutschsprachige Literaturlandschaft Rumäniens und anderer Regionen Zentral- und Südosteuropas hält faszinierende Texte, spannende Autorinnen und Autoren sowie literarische Strömungen bereit, deren Entdeckung sich in vielfacher Hinsicht lohnt. Carmen-Francesca Banciu, Oskar Pastior, Eginald Schlattner, Werner Söllner, Richard Wagner, Iris Wolff, natürlich die Nobelpreisträgerin Herta Müller, aber auch viele andere sind mittlerweile fest im bundesdeutschen und internationalen Buchmarkt verankert, ihre Texte werden an Universitäten behandelt und auch außerhalb ihrer Herkunftsregion gelesen.
Jüngstes Beispiel hierfür ist die Nominierung von Iris Wolffs neuestem Roman „Die Unschärfe der Welt“ für gleich vier wichtige Literaturpreise. Gerade in den vergangenen Jahren hat sich zudem auf diesem Gebiet der deutschen Literatur auch ein größeres Interesse seitens der Forschung und wissenschaftlichen Auswertung entwickelt. So werden in Deutschland, Österreich, Rumänien, Ungarn und in anderen östlichen Ländern Europas, aber auch in den USA und Kanada Forschungsprojekte durchgeführt, Tagungen veranstaltet und es erscheinen regelmäßig Publikationen, in deren Zentrum Autoren und literarische Phänomene mit regionalem Bezug stehen.
Doch bei tieferem Eindringen in die Materie stoßen Forschende sowie interessierte Lesende vielfach recht schnell an Grenzen. Gesicherte Informationen über die ‘kleine Literatur‘, die mehr und mehr in die ‘große Welt‘ getragen wird, sind oft nur unter Mühen zu bekommen. Literaturlexika und einschlägige Hilfsmittel halten vielfach nur wenige Auskünfte bereit, bei unbekannteren Autoren findet man oft gar nichts.
Wird man auf Internetplattformen wie Wikipedia oder Blogs fündig, halten die entsprechenden Einträge einer Prüfung häufig nicht stand. Gerade bei seltenen Themen und/oder weniger gelesenen Autoren ist der Kreis an Expertinnen und Experten zu gering, als dass die „Crowd Intelligence“, die Schwarmintelligenz, funktionieren kann, sodass Einträge mit fehlerhaften oder unpräzisen Angaben zu finden sind. Eine Übersicht über veröffentlichte Texte von und zu der jeweiligen Person zu erhalten, ist zudem mühselig, manchmal aussichtslos.
Dies trifft insbesondere auf Autoren zu, die, wie beispielsweise Anemone Latzina oder Ana Novac, im binnendeutschen Raum kaum gelesen wurden und so bislang dort auch wenig bekannt sind.
An dieser Stelle setzt das momentan im Entstehen befindliche Lexikon zur deutschsprachigen Literatur aus Zentral- und Südosteu-ropa an. Als Kooperation zwischen dem Institut für deutsche Kultur und Geschichte in Südosteuropa an der LMU München (IKGS) und dem Institut für deutsche Literatur an der Humboldt-Universität zu Berlin wird seit 2017 eine Plattform konzipiert und mit Inhalten versehen, die noch in diesem Jahr frei im Internet zugänglich sein wird. Ermöglicht wurde das Projekt, das nach Ablauf der Bearbeitungszeit durch das IKGS übernommen wird, durch eine Bundeszuwendung zur Erforschung und Präsentation deutscher Kultur und Geschichte im östlichen Europa, gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.
Das Lexikon ist als reiner Onlineauftritt geplant, was gegenüber gedruckten Ausgaben große Vorteile verspricht. So kann es regelmäßig und unproblematisch um neue Erkenntnisse und (auch) Veröffentlichungen erweitert werden. Auch wird hierdurch das Problem umgangen, dass ein Ergebnis in Form eines Buches vielfach erst nach jahrelanger, manchmal auch jahrzehntelanger Arbeit erscheinen kann.
Für die Verfasser der bereits geschriebenen Beiträge konnten Experten auf dem jeweiligen Gebiet gewonnen werden, die sich durch entsprechende Forschungen und eine umfangreiche Kenntnis der Materie ausgezeichnet haben. Alle Beiträge, die den Kategorien „AutorInnen“, „Verlage & Institutionen“ sowie „Presse & Periodika“ zugeordnet sind, wurden redaktionell betreut und in enger Rücksprache mit den jeweiligen Verfassern bearbeitet.
Ein wichtiges Ziel des Lexikons ist es, das große Netz an Literatur und Literaturschaffenden des Donau-Karpatenraumes sichtbar zu machen, wobei ein Schwerpunkt auf der rumäniendeutschen Literatur und ihren Autoren liegt.
Die einzelnen Beiträge enthalten Informationen zu Leben und Werk der Autoren bzw. zur Geschichte und Ausrichtung von Verlagen, Institutionen und Presseerzeugnissen. Ausführungen zur Textrezeption und – soweit bekannt – zur jeweiligen Archivsituation werden gegeben.
Ein umfangreiches Verzeichnis von Primär- und Sekundärliteratur regt zum Weiterforschen an und erleichtert die Suche in Biblio-theken. Zusätzlich stehen ausgewählte, mitunter schwer zu beschaffende Publikationen in Auszügen bereit, hier wird auch – sofern dies möglich ist – Einblick in Archivmaterialien gegeben. Sämtliche Beiträge sind zitierfähig und können als PDF-Datei heruntergeladen werden.
Als Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Literaturbetrieb sowie einem breiten Interessentenkreis werden in dem Lexikon fundierte Informationen zusammengetragen, miteinander in Verbindung gesetzt und Forschungslücken markiert. Zugleich wird es aber auch die Möglichkeit geben, Forschungsprojekte vorzustellen und Diskussionen anzuregen, um so den Austausch zu fördern.
Abrufbar ist das Lexikon ab Ende 2020 über die Internetseite des IKGS (www.ikgs.de).