„Man muss schon blind oder sehr verhärtet sein, um beim Anblick eines Schmetterlings nicht eine Freude, einen Rest von Kinderentzücken, einen Hauch des Goethe‘schen Erstaunens zu empfinden“, schrieb Hermann Hesse 1933. Und beschreibt den Schmetterling als „letzten, höchsten, festlichsten“ Zustand eines Tieres. Doch von Jahr zu Jahr werden die Schmetterlinge weniger. Klimawandel, Insektizide, Luftverschmutzung und eine viel zu intensive Landwirtschaft setzen ihnen zu. Doch wo Schmetterlinge fliegen, ist die Umwelt noch in Ordnung.
Das Hesse-Zitat stammt aus dem Bildband „Schmetterlinge - reisende Seelen/Fluturii – Suflete Călătoare“ von László Rákosy, Klaus Fabritius und Eduard Duldner, herausgegeben 2022 im Honterus Verlag. Blätternd enfalten sich darin hauchzarte Naturschönheiten, zweisprachig (Deutsch/Rumänisch) bestimmt und beschrieben: der spektakuläre Kaisermantel mit braunen Tupfen auf sonnengelbem Grund; der winzige Himmelblaue Bläuling, der beeindruckende nachtaktive Gletscherbär mit plüschigem Teddy-Kopf oder Hübner‘s Federgeistchen, eigentlich eine Motte...
Doch nicht nur im „höchsten, festlichsten Zustand“ präsentieren sich die „reisenden Seelen“. Vertreten sind auch andere Stadien ihres Entwicklungskreislaufs: Wie schlampig gestapelte Tönnchen hängen die Eier des Landkärtchens an der Blattunterseite. Die giftgrüne Puppe des Orangegrünen Gelblings erinnert an eine exotische Frucht. Während man die Langhaar-Raupe des Braunen Bären am liebsten streicheln möchte, reizt die des pittoresk-bunten Wolfsmilchsschwärmers zum Zücken von Pinsel und Leinwand. Wenig attraktiv wirkt im Vergleich die nackte, blassgelbe Raupe des Enzian-Ameisenbläulings - doch nicht minder faszinierend: Sie wird von Ameisen nach Hause getragen und wie ein Nutztier gefüttert und gepflegt, heißt es im Begleittext zum Foto. Dafür revanchiert sie sich mit einem süßen Sekret. Und man staune gleich noch mehr: „Die Biologie dieser Ameisen-Bläuling Arten ist komplex. Jede Art lebt nur auf einer bestimmten Futterpflanze und wird von einer spezifischen Ameise in den Bau transportiert.“
Schon beim Durchblättern bleibt man an Kuriositäten hängen: dem Birkenspinner, ein Nachtfalter mit bizarren Federantennen, dem Lindenschwärmer, der einem Militärflugzeug mit Camouflage-Anstrich ähnelt, dem mit einem „C“ deutlich „beschrifteten“ C-Falter oder der bizarr gehörnten Scharfgarben-Silbereule...
Man lernt: Es gibt auch Schmetterlinge ohne Flügel! Etwa das Weibchen des Schnee- und des Lapplandspanners: Wie eine pelzige Wurst sitzt es auf Bäumen und sendet Lockstoffe aus. Es genügt ja, wenn das Männchen anfliegt. Die gesparte Energie kann das Weibchen in die Produktion von viel mehr Eiern investieren.
Als Gerücht wird entlarvt, dass Schmetterlinge ohne ihre bunten Flügelschuppen angeblich nicht fliegen können. Trotzdem tun Eltern gut daran, ihren Sprößlingen nahezulegen, sie lieber nicht anzufassen.
Gartenbesitzer fragen sich oft, ob es denn in unseren Breiten Kolibris gibt. Vor allem, wenn dicke Brummer in der Dämmerung duftende Blühpflanzen heimsuchen und sich in der Luft reglos davorstehend mit ihrem langen Rüssel mit Nektar betrinken. In der Tat verhalten sich Schwärmer ganz ähnlich – auch die Größe stimmt in etwa, verrät das Buch – doch sie sind Schmetterlinge.
Schmökern, Lesen, Staunen und eine Wunderwelt entdecken, die man fortan zart behüten möchte - dies scheint das Ziel dieses Bildbands zu sein. Besonders ans Herz gelegt werden kann er zweisprachigen Familien. Denn wer kennt das nicht? Man entdeckt im Garten ein seltenes Tier, stürmt begeistert ins Haus, um es den Lieben mitzuteilen - und dann fehlen die Worte in der richtigen Sprache. „Schmetterlinge – reisende Seelen“ muss schon deswegen immer griffbereit sein.