Die neue Kunstsaison des beliebten temporären Museums „Art Safari“ in der Bukarester Altstadt bereitet Kunstliebhabern viele Überraschungen vor. Seine 16. Ausgabe erwartet Kunstbegeisterte mit Rückblicke auf das Werk des rumänischen Altmeisters Ioan Andreescu und des Modernisten Ion Țuculescu, Bildern Dutzender in Vergessenheit geratener rumänischer Malerinnen und Maler und jungen Gegenwartskünstlerinnen und -künstler, einer internationalen ifa-Ausstellung deutscher Fotokünstler und nicht nur.
Der Meister der Waldeinsamkeit
1850 in Bukarest geboren, besuchte Ioan Andreescu die Hochschule für Schöne Künste unter der Betreuung von Constantin I. Stăncescu. Mit der Besichtigung der Ausstellung der Freunde Schöner Künste in Bukarest 1873, an der sich auch der etablierte Meister Nicolae Grigorescu beteiligte, wurde sich Andreescu seiner Berufung als Maler bewusst und begann nebenbei selbst zu malen. Ein Jahr später debütierte er bei der Ausstellung lebender Künstler mit dem Gemälde „Johannisbeeren“.
1879 begann er seinen Studienaufenthalt an der Freien Akademie Julian in Paris zur Entwicklung und Vervollkommnung seiner Technik und im Sommer nahm er die Freilichtmalerei im Dorf Barbizon bei Paris und im benachbarten Wald Fontainebleau, in der Begleitung von Nicolae Grigorescu, auf. Dort entstanden einige der beliebtesten Landschaftsbilder des jungen Künstlers, welche auch die Waldthematik für den bühnenbildnerischen Entwurf der aktuellen Ausstellung und die im Hintergrund ertönenden Waldlaute inspirieren.
Der rumänische Künstler stellte beim Offiziellen Salon in Paris aus und eröffnete im Bukarester Kloster Stavropoleos seine einzige persönliche Ausstellung mit 60 Werken, wovon er die meisten verkaufte.
1882 erlag er der Tuberkulose im Alter von nur 32 Jahren. Posthum wurde Ioan Andreescu zum Ehrenmitglied der Rumänischen Akademie ernannt. Damit seine Erinnerung lebendig bleibt, organisierten seine Freunde, Kollegen und Förderer zahlreiche Ausstellungen mit den 150 bis 250 Bildern, die er hinterlassen hatte.
„Ioan Andreescu zeichnet sich durch seine in der rumänischen Kunst einzigartige Auffassung aus, die im Laufe seiner künstlerischen Laufbahn beständig bleibt. Die Strenge, die Ernsthaftigkeit der Themenbehandlung und die Einfachheit der Komposition erlangen bei Andreescu eine tiefe, aber ausgewogene, reine und aufrichtige Sensibilität“, betont die Ausstellungskuratorin Maria Munteanu. Sein Stil weist die Intuition des Genies auf, die einen großen Künstler erkennen lässt, sowie Einflüsse des Realismus und des Impressionismus.
Bei Art Safari ist eine wunderbare Auswahl an Landschaften, Stillleben, Porträts, Akten und Zeichnungen zu sehen, von denen die herausragendsten wohl die Waldbilder, insbesondere „die Birken“ aus einer Privatsammlung, jene mit Bauernhäusern, „Jahrmarkt in Buzău“ und die Tonkrüge mit Wildblumen sind. In derselben Ausstellung sind auch Gemälde von Nicolae Grigorescu zu sehen und mit der Nebeneinanderstellung der Werke beider Meister soll auf ihre Freundschaft und gegenseitige Bewunderung hingewiesen werden.
Der Arzt mit Pinsel
Vom Impressionismus gehen wir zum Modernismus über mit dem in Craiova, Oltenien, gebürtigen Amateurkünstler und Arzt, Ion }uculescu, den die Besichtigung der Ausstellung von Eusta]iu Stoenescu in seinem Heimatort und die Bekanntschaft mit dem Meister als Jugendlicher veranlassten, seine eigene künstlerische Begabung zu erkunden. Als Gymnasiast stellte Țuculescu im Rahmen des Oltenischen Kunstkreises aus und besuchte die Werkstätten etablierter lokaler Künstler.
Auf die Bitte seines Vaters studierte er Naturwissenschaft und Medizin, wobei er seine künftige Frau Maria kennenlernte. Mit ihr unternahm er Reisen nach Griechenland, in die Türkei, Ägypten, die Schweiz, Italien und Frankreich, wo er Mittelmeerlandschaften, Stillleben und Blumen malte.
Der erfolgreiche Amateurkünstler veranstaltete insgesamt acht persönliche Ausstellungen und beteiligte sich an zahlreichen Gruppenausstellungen im In- und Ausland, darunter mehrfach im Bukarester Athenäum und beim Öffentlichen Kunstsalon, mit der von Königin Maria geförderten Künstlerjugend, im Rahmen der 21. Kunstbiennale in Venedig, Bern, Stockholm und Budapest. Gleichzeitig veröffentlichte er als Mikrobiologe wissenschaftliche Arbeiten in Fachzeitschriften und posthum erschien seine Forschung zur Biodynamik des Heilwassers und -schlamms des Techirghiol-Sees am Schwarzen Meer. Der geschätzte Künstler und Arzt starb 1962 mit 52 Jahren.
Obwohl Ion Țuculescu kein ausgebildeter Künstler war, setzte er sich durch seine Begabung und modernistische Originalität in der Nachkriegszeit durch und unter dem kommunistischen Regime erst nach seinem Tod, dank einer günstigen politischen Lage, welche ab 1965 Offenheit zum Westen und die Verwertung des nationalen Kulturerbes voraussetzte.
}uculescu ist ein Modernist par excellence. Er lehnt die figurative, akademistische Malerei und den sozialistischen Realismus ab und widmet sich einer abstrakten Darstellungsweise zunächst mit postimpressionistischen, dann expressionistischen und symbolistischen Einflüssen. In seinen Werken integriert er rumänische pflanzliche und tierische Ursymbole und stark vereinfachte, abstrakte menschliche Figuren, inspiriert von der im kollektiven Bewusstsein verwurzelten Vorstellungswelt der Vorfahren aus der Volkskunst, insbesondere von farbenfrohen oltenischen Teppichen, die er mit Begeisterung sammelte, und vermutlich auch von stilisierten Mikroorganismen – dargestellt als Augen – , die er beruflich unter dem Mikroskop untersuchte.
Die aktuelle Ausstellung präsentiert 100 Bilder mit Landschaften, bunt ausgestatteten Innenansichten aus Bauernhäusern, Stadtbildern, Stillleben bis hin zu seinen kennzeichnenden Totemsäulen und Bildkompositionen, wobei Volksmotive zum Leben erwachen. Ein paar oltenische Volksteppiche und eine kleine Mikroskope-Sammlung runden den Entwurf der Expo ab. Als Ergänzung bietet eine andere Ausstellung „Vom Labor zum Leben“ einen umfassenden Überblick über die Geschichte und Entwicklung der Pharmazie anhand von alten pharmazeutischen Instrumenten, Behältern, Dokumenten und Möbelstücken.
Vergessene Künstler
Weiter rückt eine umfangreiche Ausstellung Kostproben Dutzender in Vergessenheit geratener oder unter dem kommunistischen Regime verbotener rumänischer Künstlerinnen und Künstler wie etwa Ipolit Strâmbu, Nicolae Grant, Elena Popea, Constantin Aricescu, Mihail Simonidy, Nina Arbore, Mina Byck Wepper, Alexandru Țipoia u.a. wieder in die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Bewundert werden können dabei über 100 Beispiele aller Gattungen der Malerei – vorwiegend impressionistisch dargestellt – darunter Landschaften, die Besucher auf einer Reise um die Welt verführen – von hier aus ins frühere, von Tataren bevölkerte Baltschik, dann zu griechischen Tempeln, ägyptischen Pyramiden, über algerische Märkte, Brücken in Venedig, bis hin zu ländlichen Bildern aus Bretagne und Holland.
Blumen in der Kunst
Eine kleinere thematische Ausstellung vereint Blumendarstellungen im Rahmen eines Mini-Streifzugs durch die rumänische Kunst vom Altmeister [tefan Luchian zum Gegenwartskünstler Ștefan Câlția. Diese rückt ein sensibles und raffiniertes visuelles Universum in den Vordergrund, in dem die Werke wichtiger rumänischer Künstler wie etwa Ștefan Câlția, Alexandru Ciucurencu, Ion Alin Gheorghiu, Vasile Grigore, Carol Hübner, Corneliu Ionescu, Ștefan Luchian, Ion Pacea, Constantin Piliuță, Constantin Isachie Popescu, Ștefan Popescu, Alma Redlinger, Eustațiu Stoenescu, Sándor (Alexandru) Ziffer bis hin zu Königin Elisabeth von Rumänien unter dem Künstlernamen Carmen Sylva – und als Bonus der Amerikaner Andy Warhol – Blumen in Emotionen, Erinnerungen, Poesie und Träger kultureller, sozialer und persönlicher Bedeutungen verwandeln. Diese verweilt nur bis zum 25. Mai bei Art Safari.
Die junge Kunstszene
„Young Blood 4“ bringt rumänische Vertreter der jüngeren Künstlergenerationen, Studenten, Absolventen und aufstrebende Künstler im Prozess der (Selbst-)Entdeckung, des Experimentierens und des Ausdrückens ihrer eigenen Auffassung von der zeitgenössischen Kunst zusammen. Diese zeigen, dass die Umsetzung des ästhetischen Pluralismus über Themen wie innerer Raum, Liebe und Anderssein hinaus von zeitgenössischen Sensibilitäten, persönlichen Geschichten und einer klaren Beziehung zur visuellen Kultur und der sozialen Dimension der Kunst geleitet wird. „Alles Betrachtete ist hypersubjektiv“, warnt Kuratorin Călina Coman.
Eingriffe in Medienfotografie
Die internationalen Gastkünstler dieser Ausgabe sind die deutschen Fotokünstler Michael Schäfer (geb. 1964) und Viktoria Binschtok (geb. 1972) mit der von Christin Müller kuratierten ifa-Ausstellung „With/Against the Flow“, die zeitgenössische Eingriffe in Medienfotografie zeigt. Die Fotokünstler nutzen Medienbilder und erkunden unterschiedliche Arten ihrer Funktionsweise. Sie thematisieren zudem die zunehmende Autonomie von Bildern in einer vernetzten Welt, die künftig von digitalen Algorithmen dominiert sein wird.
Als Grundlage der „Vorbilder“-Serie von Michael Schäfer dienen Fotos von Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft, überwiegend im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ erschienen, denen der Fotograf von ihm aufgenommene Köpfe und Körper von Statisten montiert, um das Zusammenspiel von inszenierter Politikerpose, dem verdichteten Moment der Aufnahme und der begleitenden Bildbeschriftung auf Magazinseiten offenzulegen.
In ihrer Serie „World of Details“ überlagert Viktoria Binschtok New Yorker Straßenbilder aus Google Street View und ihre eigenen fotografischen Detailaufnahmen, um das automatisierte Google-Straßenbild mit ihrer subjektiven Wahrnehmung von eben jener urbanen Realität abzugleichen.
„Art Safari“ kann donnerstags bis sonntags, zwischen 12 und 21 Uhr, bis zum 27. Juli im Dacia-România Palais (Lipscani-Str. Nr. 18-20) besucht werden. Eintrittskarten sind unter www.artsafari.ro oder beim Eingang verfügbar.