Beiderseits des Atlantiks hat die Auswanderergeschichte um den elfjährigen „Johnny“ aus Siebenbürgen, der in Amerika eine neue Heimat findet, viel Anklang gefunden.
Seit seiner Erstveröffentlichung im Jahr 2000 (im Beltz & Gelberg Verlag, Weinheim und Basel) hat der Jugendroman von Karin Gündisch eine prämierte amerikanische Version von 2001 („How I Became an American“) und eine deutsch-rumänische Fassung („Das Paradies liegt in Amerika / Paradisul este in America“) im Jahr 2015 erfahren. Nach der Auflage von 2014 (siehe ADZ vom 23. Januar 2015: „Alle Aspekte der Immigration angedeutet“) legt der Schiller Verlag Hermannstadt/Bonn nun eine an der amerikanischen Fassung orientierte, d. h. um drei Kapitel erweiterte Neuauflage vor.
Realitätsnah und unsentimental, aber nicht ohne stillen Humor und für die Altersgruppe leicht verständlich, schildert Karin Gündisch Chancen und Schattenseiten der Immigration kurz nach Beginn des 20. Jh. nach Youngstown, Ohio. Im heutigen „Rust Belt“ (Rostgürtel) Amerikas gelegen, verkörpert diese Stadt wie kaum eine zweite den Traum und Albtraum aller Migranten. Bot die Region vom 19. Jahrhundert bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts mit der aufblühenden Schwerindustrie noch den Magneten für Zuwanderung, die durch aggressive Werbung auch in den Dörfern Siebenbürgens betrieben wurde, so steht sie heute für Depression und Niedergang. Das letzte industrielle Aufbäumen geschah durch den Boom in der Fracking Industrie. Diese hinterließ verseuchte Böden und musste auf Grund der zunehmenden Erdbebengefahr kürzlich eingestellt werden.
Wenn auch vieles aus der Perspektive des Jungen erzählt wird, so sind es doch auch immer wieder die Bemerkungen der Mutter, die das postulierte „Paradies“ in Frage stellen. Bereits kurz nach der Ankunft „Im Land des Wohlstandes“ (S. 42), als der Zug an den „verwüsteten Wäldern“ (S. 45) vorbeifährt, bemerkt sie: „Mir will scheinen, dass sich der Mensch hier nimmt, was er braucht, und den Rest lässt er liegen.“ (S. 46) Nicht zuletzt bezahlt sie den höchsten Preis mit dem Verlust von Eliss, dem noch in Siebenbürgen geborenen Kind. Dennoch ergreift sie oftmals die Initiative, um das Einkommen der Familie aufzubessern, denn der Lohn des Vaters aus dem Stahlwerk reicht bei Weitem nicht.
Die Migration endet nicht in Youngstown und beginnt nicht im Haus des Großvaters in Heimburg, wo noch die ungebrochene dörfliche Lebensweise der Siebenbürger Sachsen dominiert. Bereits von dort versuchte die Familie im „Rumänischen“, in Slatina, einen Neuanfang, der jedoch scheitert. Wenn Johnny später schreibt: „In Amerika wurden wir aus sesshaften Wollwebern und Bauern zu Wanderzigeunern. Wir blieben nie lange an einer Stelle, zogen immer wieder in bessere Wohnungen und Häuser“ (S. 61), wird klar, dass das Ankommen schwieriger ist als das Auswandern. Der große Bruder Peter, unzufrieden mit den ungerechten und gefährlichen Arbeitsverhältnissen im Stahlwerk, zieht weiter nach Kalifornien. Kurz nachdem die Familie ihr erstes Weihnachtsfest in der Fremde feiert - noch ganz den Traditionen Siebenbürgens verhaftet - und mit der Ankündigung der Geburt des ersten echten „Amerikaners“ der Familie Bonfert, endete die deutsche Version.
Das genügte vielen Lesern nicht, und nachdem in der amerikanischen Version dieser Neugier nachgegeben wurde, weist die deutsche Fassung nun auch diese zusätzlichen drei Kapitel auf.
In „Wir werden vielleicht reich“, „Gäste“ und „Die ganze Familie schreibt einen Brief“ zieht sich als Leitmotiv die Suche nach dem Paradies - „The Pursuit of Happiness“, diesem uramerikanischen Lebensmotto, das meist als Streben nach individuellem Wohlstand verstanden wird - auch durch die weitere Lebensgeschichte. Dass dies mit mancher Überforderung einhergeht, wird nicht verschwiegen. Wieder ist es die Mutter, die zugibt, „mit meinen Kräften am Ende“ (S. 72) zu sein. Doch ein Umdenken setzt ein, wenn sie feststellt: „..., dass wir zu europäisch denken. Ich will unsere alte Lebensart nach Amerika verpflanzen, aber ich muss einsehen, dass die Zeit hier viel schneller vergeht und wir uns auf neue Verhältnisse umstellen müssen.”(S. 69) Schließlich erhält die Familie Zuwachs, nicht nur durch den neuen Erdenbürger George, sondern durch Neuankömmlinge aus der alten Heimat, die Erinnerungen wachrufen und dennoch zur weiteren Integration beitragen.
Das dies den Kindern leichter fällt, bleibt nicht unerwähnt. Die Faszination für den Fortschritt - für Johnny sind es die Autos, die ihn magisch anziehen - und die beschwingtere Lebensart - Schwester Regina schwingt mit Leidenschaft das Tanzbein - ziehen die jüngeren mehr und mehr in ihren Bann. Wichtiger noch sind die Aufstiegsmöglichkeiten durch Bildung. Anfang des 20. Jahrhunderts lag dies, ungleich heutzutage, durch-aus im Bereich des Möglichen. „Manche Einwanderer bilden sich zu viel auf ihre Schulbildung in Europa ein, aber hier können die Kinder vom ärmsten Arbeiter in die Schule gehen, bis sie 14 Jahre alt sind, und müssen kein Schulgeld bezahlen.“ (S. 78)
In dem Brief, den die Familie an die Zuhausegebliebenen richtet, werden Licht und Schattenseiten der Auswanderung gegeneinander abgewogen. Lapidar bringt es die Mutter wieder auf den Punkt: „Wenn es Euch schlecht geht, wandert aus. Wenn es Euch aber gut geht zu Hause, dann bleibt lieber dort.“ (S. 78)