Über die Hauptstadt beklagen sich viele aus den unterschiedlichsten Gründen. Die eine Stärke aber, die keiner leugnen kann, ist die Vielfalt des kulturellen Angebots, mit dem man kaum Schritt halten kann. Das Bukarester Wochenende im Sommer beginnt bereits jeden Freitag am frühen Nachmittag. So auch am vergangenen Freitag, nach einem wohltuenden Sommerregen: Gleichzeitig fanden das städtische Straßenfest Street Delivery und die Nacht der Kulturinstitute statt. Die Stände in der Arthur-Verona-Straße über Stadtplanung und Architektur, Ökologie und Musik, waren noch nicht völlig besetzt, verwunderte Besucher konnten noch die letzten Schritte der Aufbauarbeiten mitbekommen.
Das bunte Treiben auf der Straße ist ein rechter Augenschmaus: Auf der linken Seite ein Hof voller Seifenlaugen, auf der rechten ein kleiner Baum mit hängenden Zettelchen in verschiedenen Farben, der die Passanten für eine saubere, grünere Welt gewinnen will. Folgt man den Geräuschen, landet man in einer völlig anderen Zeitperiode, in der ein Schmied eifrig in seiner Werkstatt das heiße Eisen bearbeitet. Ein paar Schritte weiter musizieren zwei junge Leute. Überquert man die Straße, dann begegnet man einem Künstler, der bereit ist, für ein bisschen Geld seinen Talenten freien Lauf zu lassen und ein Gedicht zu rezitieren. Auf derselben Seite der Straße wird gerade eine Jurte errichtet: Unbeholfene Jungen schauen sich an, sie suchen nach etwas, vielleicht eine Gebrauchsanleitung, die es anscheinend aber nicht gibt. In einer Ecke wartet ein Stand, an dem Limonade verkauft wird, auf Kundschaft. In einer anderen Ecke präsentiert eine französische Restaurationsfirma ihr neuestes Projekt – ein Schloss aus dem benachbarten Kreis Prahova wird saniert.
Jeder Stand hat eine eigene Geschichte zu erzählen, wenn man nur die Zeit hätte, sie sich anzuhören. Die Stadt aber zwingt den Kulturfreund, sich gegen die Magie, die gegenwärtig auf der Arthur-Verona-Straße liegt, zu wehren: Der Abend ist noch jung und die Bukarester Nacht der Kulturinstitute hat gerade angefangen. Sich ausruhen kann man also noch nicht. Zwei Parks weiter (man überquert den Park Grădina Icoanei und Ion Voicu) landet man an einem Ort, der magnetische Kräfte zu haben scheint: Das imposante Französische Institut hat viele Besucher angezogen, die schon ewig hier zu verweilen scheinen.
Denn es ist spannend, sich im Atrium aufzuhalten: Hier führen die Studenten der Polytechnischen Universität vom Klub Robotique ASAFF ferngesteuerte Roboter vor, die sie selbst entworfen und zusammengeschraubt haben. In der einen Ecke präsentiert ein eher schweigsamer Junge, der noch in die Schule geht, seinen selbst gebauten Roboterarm, für den er internationale Anerkennung gewonnen hat. Eine andere Ecke des Saals birgt Frösche, Drachen und allerlei Geschöpfe aus der nordischen Mythologie, die mit Hilfe eines 3D-Druckers im Rahmen einer Präsentation von Fablab (Fabrication Laboratory) hergestellt wurden. Das ständige Drängen und der kaum kontrollierbare Enthusiasmus für das bezaubernde Gebäude führen zu einer weiteren Entdeckung: In einem Raum der Bibliothek wurde ein Zelt aufgebaut, wo eine Dame auf Französisch Geschichten erzählt, umringt von Kindern, die aufmerksam lauschend auf kuscheligen Kissen sitzen. Auf der Terrasse des Instituts kann jeder Gedichte lesen, hier wurde das „poetische Sofa“ aufgestellt. Bei einem Glas Wein können Literaturfreunde die Anwesenheit des Dichters Marius Chivu genießen, der speziell zu diesem Anlass vor dem Publikum seine neuesten Gedichte liest, die noch nicht veröffentlicht wurden.
Egal wie entzückend die Atmosphäre hier ist, die Reise soll noch nicht beendet werden: Auch andere Institute warten mit offenen Türen auf ihre Gäste. Also muss man sich auf den Weg begeben. Kaum wiederzuerkennen sind jetzt die Arthur-Verona-Straße und der angeschlossene Park – wenn man vorher zwischen den einzelnen Ständen unterscheiden konnte, dann ist jetzt alles ein dunkles schwärmendes Durcheinander von Passanten.
Das Spanische Cervantes-Institut wartet jedoch geduldig auf seine nächtlichen Besucher. Empfangen werden sie von Elisabeth Marinkovic, Leiterin des Österreichischen Kulturforums in Bukarest, die über die Filmvorführung begeistert Auskunft gibt. Gerade beginnt die Vorstellung des Films „Spanien“, dessen Regie Anja Salomonowitz (Österreich) zeichnet. Das Drama erzählt die (Liebes?) Geschichte eines aus der Republik Moldau stammenden Mannes, der auf dem Weg nach Spanien ist und dessen Schlepper bei einem Unfall in Österreich stirbt.
Als der Film zu Ende gegangen ist, kommt auch die kulturelle Jagd durch die Stadt von einer Veranstaltung zur nächsten kurz vor Mitternacht zu einem Abschluss. Jeder weiß, dass Zauber nur bis zur Stunde Null des nächsten Tages andauern kann. Und das war nur eine einzige Nacht des Bukarester Wochenendes; was danach passiert, ist eine andere Geschichte...