Samuel von Brukenthal (1721-1803) hat als Staatsmann unter Maria Theresia und Joseph II. gewirkt und wurde in wichtige Ämter der Habsburgermonarchie berufen: zum Leiter der Siebenbürgischen Hofkanzlei in Wien (1765-1774), zum Präses des Siebenbürgischen Guberniums (1774-1777) und zum Gubernator (Gouverneur) des Großfürstentums Siebenbürgen (1777-1787). Er war ein herausragender Vertreter der Aufklärung in Siebenbürgen und förderte die Entwicklung von Kunst und Kultur sowie der Geschichtswissenschaft unter den Siebenbürger Sachsen.
Im Jahr 2021 wurde auf vielfältige Weise des 300. Geburtstags dieser bedeutenden Persönlichkeit der Siebenbürger Sachsen gedacht. In diesem Kontext wurde auch eine Edition von Quellen zur Geschichte Samuels von Brukenthal vorbereitet, die sein Wirken dokumentieren und für künftige Forschungen eine solide Grundlage bilden soll. Auch Brukenthal hat sich in seinen historischen Ausführungen vornehmlich auf Dokumente gestützt, hat quellenbasierte Geschichtsschreibung in Siebenbürgen hoffähig gemacht und als Grundlage wissenschaftlicher Forschung und Darstellung etabliert. Sozusagen als Motto für seine „Denkwürdigkeiten zur Geschichte der Siebenbürger Sachsen“ betitelte er den 1. Teil: „Urkunden sind Quellen und zwar Hauptquellen, woraus diese Abhandlung hergeleitet werden soll.“
Wie kam es zur Erarbeitung dieser Quellenedition?
Am 11. März 1904 wurde der Historiker und Pfarrer von Großalisch/Seleu{ Dr. Georg Adolf Schuller (1862-1939) vom Presbyterium der Evangelischen Kirchengemeinde A. B. in Hermannstadt/Sibiu und von dessen Vorsitzendem, Stadtpfarrer D. Friedrich Teutsch, gebeten, er möge „die Abfassung einer Biographie des Gubernators Samuel Brukenthal übernehmen, mit ihr im Zusammenhang, sei es vorher oder nachher, einen Band von dessen Staatsschriften herausgeben“. Diesem Auftrag, diesem Projekt widmete G. A. Schuller fortan und bis zu seinem Lebensende seine ganze Kraft, konnte jedoch dessen Vollendung durch eine Drucklegung seiner umfassenden Monographie nicht mehr erleben.
Er hinterließ ein umfangreiches Manuskript mit einer Darstellung des Lebens und Wirkens der vielseitigen Persönlichkeit Samuels von Brukenthal. Dieses konnte erst in den Jahren 1967-1968 in zwei Bänden im Münchener Verlag Oldenbourg in der „Buchreihe der Südostdeutschen Historischen Kommission“ abgedruckt werden. In der „Vorbemerkung zum 2. Band“ schrieb „die Redaktion“, höchst-wahrscheinlich Prof. Dr. Karl Kurt Klein: „Schuller hatte für die Brukenthal-Biographie einen umfangreichen Anhang vorgesehen, der einen großen Teil der Quellen im Wortlaut enthalten sollte. Dieser Anhang stand jedoch bei der Drucklegung des Werkes nicht zur Verfügung.“
Lange Zeit galt dieses Manuskript eines dritten Bandes als verschollen. Um so mehr war die Fachwelt freudig überrascht, als Dr. Frank-Thomas Ziegler 2013 in der ADZ vermelden konnte: „Ein Hauptwerk zu Samuel von Brukenthal aufgetaucht – Ein Dachbodenfund: Handschriften und Typo-skripte zu Georg Adolf Schullers Brukenthal-Biografie“. Am 15. März 2021 wurde der Verfasser dieser Zeilen, Historiker und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Nationalmuseums Brukenthal, von der Evangelischen Kirchengemeinde A.B. Hermannstadt gebeten, den Inhalt dieser Koffer zu sichten und zu erschließen. Er erstellte eine ausführliche, fotodokumentierte Übersicht und empfahl abschließend: „Eine Transkription der von Schuller abgeschriebenen Quellen würde sich für die Forschung sehr lohnen und könnte vorerst als Online-Publikation des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde in diesem Brukenthal-Jahr (300. Geburtstag) angedacht werden.“ Diese Empfehlung wurde vom Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturrat in Gundelsheim aufgegriffen, der bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien einen Antrag auf Projektförderung stellte, dem dankenswerterweise stattgegeben wurde.
Die Transkription (Abschrift) der keineswegs leicht lesbaren Kurrent- und Sütterlin-Handschriften G. A. Schullers und anderer von ihm beauftragter Gewährsleute wurde dem Frühneuzeit-Historiker Jonas Schwiertz M.A. anvertraut, der bereits zahlreiche Quellen aus dem 18. Jahrhundert eingesehen und transkribiert hat. Konrad Gündisch übernahm ehrenamtlich die Koordination des Projektes, einschließlich der Kollationierung (Gegenlesung) und editorischen Bearbeitung der Quellen. Dr. Ralf Thomas Göllner zeichnete für die Publikation der Quellen auf der Homepage des Siebenbürgen-Instituts verantwortlich. Sie können nun unter folgendem Link eingesehen werden: siebenbuergen-institut.de/quellen-zur-geschichte-samuels-von-brukenthal/
Was bietet die Edition den Lesenden und den Forschenden?
Die Online-Edition verspricht nicht die Wiedergabe der Originale! Vielmehr eine Edition der Abschriften von Originalen, die G. A. Schuller und seine Gewährsleute eingesehen, transkribiert und zum Teil kollationiert haben. Die Originale befinden bzw. befanden sich in unterschiedlichen Archiven, vor allem in: dem Hausarchiv Bruken-thals, dessen größter Teil 1948, nach der Enteignung des Brukenthalmuseums, in willkürlicher, unverantwortlicher Weise in das Staatsarchiv Hermannstadt überführt wurde, wobei Schullers jahrzehntelang erarbeitete Ordnung durcheinandergewirbelt wurde; dem Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien, das am Ende des Zweiten Weltkriegs den Verlust der ausgelagerten Akten des Österreichischen Staatsrates aus den Jahren 1760-1833 zu beklagen hatte; im Ungarischen Landesarchiv Budapest, das ebenfalls unwiederbringliche Verluste während des Zweiten Weltkriegs und während der Bombardierung der Stadt durch sowjetische Truppen anlässlich der Niederschlagung der 1956er-Revolution erlitten hat.
Wichtige – von G. A. Schuller glücklicherweise abgeschriebenen – Quellen über Brukenthal sind also nicht mehr als Originale verfügbar; die hier vorgelegten Abschriften des äußerst peniblen Historikers, der die kopierten Akten größten-teils mit den Originalen kollationiert hat, kann man mit Fug und Recht als gerettete und einzigartige Quellen ansehen, die ansonsten der Forschung nicht mehr zur Verfügung stehen würden.
Soweit Originale erhalten sind, können Schullers Abschriften später überprüft und gegebenenfalls in der Online-Publikation korrigiert werden. Auch die Edition anderer wichtiger Quellen zu Brukenthal ist in den nächsten Jahren möglich. Für die Forschung wird auf diese Weise ein wichtiges Grundlagenwerk zur Verfügung gestellt, das laufend ergänzt werden kann.
Besonders wertvolle Dokumente
Auf einige besonders wertvolle Quellen der Edition sei kurz hingewiesen. Ausführlich hat sich Samuel von Brukenthal dem siebenbürgischen Steuersystem gewidmet. Dabei ging es ihm vorrangig um aus seiner Sicht ungerechtfertigte Forderungen des Fiskus, denen er mit detailliert ausgearbeiteten Argumenten entgegengetreten ist. Ein Leitgedanke, der viele der entsprechenden Quellen durchzieht, ist die Verteidigung der siebenbürgisch-sächsischen Privilegien: Brukenthal erläutert sie Maria Theresia und den Wiener Hofstellen und greift auf eine Fülle von Dokumenten und Informationen zurück. Dabei entwirft er ein auf Tradition und Gewohnheit aufbauendes Narrativ, das die „Sächsische Nation“ als Opfer der beiden anderen siebenbürgischen Stände, des ungarischen Adels und der Szekler, stilisiert.
Diese Quellen sind auch im Hinblick auf die Entstehung von Brukenthals „Denkwürdigkeiten zur Geschichte der Sachsen in Siebenbürgen“ interessant. Diese Schrift stellt sich im Licht der edierten Quellen weniger als eine intendierte Geschichtsschreibung, vielmehr als Argumentationsschrift für eine Reform des Besteuerungs- und Privilegiensystems der Sachsen heraus und scheint als Basis für seine Denkschriften und Eingaben, insbesondere an Maria Theresia, gedient zu haben. Trotzdem hat dieses Werk, das in zahlreichen Abschriften Verbreitung gefunden hat, auf die Entwicklung der siebenbürgisch-sächsischen Geschichtsschreibung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einen großen Einfluss ausgeübt.
Hochinteressant sind Brukenthals „Vorläuffige allerunterhänigste Gedancken über die Errichtung einer Universität in dem Fürstenthum Siebenbürgen“ von 1764. Es sollte eine protestantische Universität mit Sitz in Hermannstadt werden. Auszüge aus dem Plan sind zwar veröffentlicht worden, die geradezu bis ins letzte Detail gehende Ausarbeitung auf zwanzig Papierbögen jedoch ist unbekannt; sie ist nur in dieser Abschrift erhalten, da das Original gegen Ende des Zweiten Weltkriegs verbrannt ist. Die Herausgeber bereiten eine Untersuchung vor, in der dieser Hochschulplan ausführlich dargestellt und auch Zusammenhängen mit Statuten anderer protestantischer Universitäten, vor allem mit jenen aus Halle und Jena, nachgegangen werden wird.
Georg Adolf Schuller hat auch die Korrespondenz Samuels von Brukenthal mit Angehörigen der angesehenen Mediascher Patrizierfamilie Conrad von Heydendorff eingesehen, mit welcher Brukenthal über seine Mutter Susanna Conrad von Heydendorff verwandt war. Einige Briefe sind besonders aussagekräftig, etwa jene, in denen Michael Conrad von Heydendorff unmittelbar und ungefiltert schildert, wie er persönlich den Besuch Kaiser Josephs II. in Mediasch erlebt hat, oder die Korrespondenz über archäologische Funde in der Nähe von Mediasch, unter denen der spektakulärste ein altchristlicher Anhänger aus dem 4. Jahrhundert n. Chr. ist, der sich seither im Brukenthalischen Museum befindet und als ein Argument für die römisch-christliche Kontinuität in Siebenbürgen nach der Aufgabe der Provinz Dacia angeführt wird.
In der Edition werden auch mehrere neue und unbekannte Quellen zum Aufruhr des griechisch-orthodoxen Priesters Sofronie in den Jahren 1759-1761 ediert, die zum Teil von dem ansonsten als Militärkartograph bekannten Siebenbürger Sachsen Stephan Lutsch von Luchsenstein (1707-1792) stammen, der hier als habsburgischer Oberkapitän des Kommandierenden Generals Adolf von Buccow (1760-1764) aufgetreten ist und eine Vermittlung in diesem Konflikt angestrebt hat.
Spannend ist auch ein Bericht Brukenthals über die Bekämpfung der Heuschreckenplage von 1781 in Siebenbürgen. Aus diesem wurden wesentliche Teile von der „Wiener Zeitung“ übernommen, der ältesten, heute noch erscheinenden Tageszeitung der Welt. Am 26. September 1781 berichtete das Blatt mit Bewunderung für die Tatkraft des Siegers über die Heuschreckenplage unter anderem: „Der Königliche Gubernator, Freiherr von Bruckenthal, ging endlich selbst an die Örter, wo die Gefahr am größten war (...) Er entdeckte daselbst zuerst, daß selbst die im Herbste am tiefsten in die Erde vergrabenen und fest zugeschlagenen Eier nicht verdorben waren, sondern ausgingen, und daß die jungen Heuschrecken sich durch die festeste Erde herauszuarbeiten wußten. Er ließ mithin alle mit Eiern verscharrten Gruben öffnen, sie mit ungelöschtem Kalk bestreuen, und alsdann mit Wasser begießen, wodurch die Eier und Bruten vertilgt wurden. Er leitete Aufseher und Arbeiter selbst dazu an, munterte sie durch seine Gegenwart auf und verpflichtete endlich die Kreisbeamten, unter den schärfsten Verwarnungen zur strengsten Befolgung der ihnen vorgeschriebenen Verfahrungsart. (...) Diese Veranstaltungen hatten endlich den glücklichen Erfolg, daß wenige Zeit hernach von allen Seiten die frohen Berichte einliefen, daß die Heuschrecken überall gänzlich aufgerieben und vertilgt worden seien, nachdem besonders in dem Dobokaer Comitate, wo die größte Heuschreckenmenge gewesen, nach genauem Verzeichnisse über 158tausend Arbeiter gebraucht und angewandt worden waren. (...) Nun ist das Land von dieser Seite, Gottlob! vor aller Gefahr gesichert.“
Am Ende der Abschrift von Brukenthals Heuschrecken-Bericht kommentierte sein Biograph Georg Adolf Schuller überschwänglich: „Wir können daraus ermessen, wie groß und schwer die Heimsuchung war und welch eiserne Willenskraft dazu gehörte, die gegenwärtige Not und die künftige Bedrohung zugleich zu überwinden. Heute wissen wir zum Glück aus eigner bittrer Erfahrung nichts mehr von diesen Nöten; nur alte Zeitungen und Chroniken, Sage und Lied „Woräm klappert em mät Schellen“ geben uns Kunde davon. Wenn wir uns dieser Tatsache freuen, wollen wir nicht vergessen, daß unsere Heimat die Befreiung von diesem argen Feinde in erster Reihe dem weitschauenden, kraftvollen Wirken ihres grossen Sohnes Samuel v. Brukenthal zu danken hat.