Reise ins liturgische Bukarest

Ausstellung im Bukarester Stadtmuseum

James William Ozanne, der im Jahre 1870 als britischer Konsul nach Bukarest kam und über seine dreijährige diplomatische Dienstzeit in der rumänischen Hauptstadt auch ein (bei Humanitas 2015 in rumänischer Übersetzung erschienenes) Buch verfasst hat, beschreibt an einer Stelle dieses seines memoirenhaft-tagebuchartigen Werkes, wie man seinerzeit an langen Sommerabenden, auf den südlichen Hügeln der Stadt stehend, das Gefunkel von 200 Kirchen als herrlichen Lichteffekt genießen konnte. Angesichts der gewaltigen Zunahme der Einwohnerzahl Bukarests sind die 270 orthodoxen Kirchen, die heute, rund 150 Jahre später, die rumänische Kapitale schmücken, auf den ersten Blick und zumindest prozentual gesehen eher als Rückgang ihrer religiösen Durchwirktheit zu werten.


Die Lebendigkeit des orthodoxen christlichen Glaubens in Rumänien und in seiner Hauptstadt hat das Bukarester Stadtmuseum, das im geschichtsträchtigen Șuțu-Palast am Bukarester Universitätsplatz untergebracht ist, zum Anlass genommen, zu einer musealen Reise ins liturgische Bukarest einzuladen, an der man als Museumsbesucher noch bis Ende Juni dieses Jahres teilnehmen kann. Wenn man den einzigen Ausstellungsraum im Erdgeschoss des in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erbauten Stadtpalasts betritt, fällt der Blick des Besuchers zunächst einmal auf die zahlreichen an den Wänden hängenden Reproduktionen von Fotografien, Postkarten, Radierungen und Aquarellen, die allesamt ein einziges Thema haben: Bukarester Kirchen.


Die Überschriften dieser Wandtafeln mit Bukarester Gotteshäusern machen sogleich deutlich, dass es sich dabei um drei Gruppen von Kirchengebäuden handelt: um verschwundene, um durch Versetzung gerettete und um am ursprünglichen Standort erhalten gebliebene Kirchen. Zu den infolge von Demolierung und Abriss verschwundenen Kirchen zählt etwa die Kirche der Heiligen Dreifaltigkeit des Klosters Văcărești, die, wie das gesamte Kloster, in den Jahren 1986 und 1987 dem Erdboden gleichgemacht wurde. Heute steht dort das großflächige Einkaufszentrum Sun Plaza. Die Kirche Sfânta Vineri musste 1987 einem Wohnblock weichen, die Kirche des Hl. Spiridon fiel 1984 dem Bau der Casa Poporului, des heutigen Parlamentsgebäudes, zum Opfer, so wie auch viele andere Kirchen jenes Stadtviertels in den urbanistischen Planungen Ceaușescus gleichfalls keinen Platz mehr hatten.

Andere Kirchen konnten in den achtziger Jahren durch aufwändige technische Verfahren gerettet werden, indem man sie, was einem kaum vorstellbar erscheint, Zentimeter um Zentimeter an einen anderen Standort versetzte. So legte die Verkündigungskirche des Schitul Maicilor im Jahre 1982 sage und schreibe 245 Meter zurück, eine Distanz die von der Kirche des Hl. Nikolaus des Klosters Mihai Vodă in den Jahren 1984 und 1985 noch um 55 Meter überboten wurde.


Und natürlich kann man sich in dieser Ausstellung auch an Fotografien von Bukarester Kirchen erfreuen, die heute noch stehen und dem Lobe Gottes dienen, wie z. B. die Kathedrale der Patriarchie, die Kirche der Heiligen drei Hierarchen auf dem Gelände des Colțea-Spitals, die russische Kirche des Hl. Nikolaus (heute Universitätskirche), die Verkündigungskirche an der Piața Amzei, die weiße Kirche des Hl. Nikolaus an der Calea Victoriei, die Stavropoleos-Kirche in der Bukarester Altstadt und viele andere Gotteshäuser mehr.


Der im vergangenen Jahr verstorbene rumänische Historiker, Diplomat, Journalist und Schriftsteller Neagu Djuvara hat in seinem 1995 erstmals erschienenen Buch „Zwischen Orient und Okzident“ die Frömmigkeit des rumänisch-orthodoxen Christen auf folgende beeindruckende Weise beschrieben: „Angesichts von so viel Unsicherheit und Ungerechtigkeit, denen er überall und zu jeder Zeit ausgesetzt ist, hat der Rumäne einen einzigen Ausweg: die Kirche; auf den Knien im dunklen Kirchlein vor der Ikonostase, dort wo die Flammen von Hunderten von Kerzen unter den erstarrten Gesichtern der Heiligen ihren Rauch von sich geben, fühlt er sich – allein dort – zu Hause; geschützt, geheilt, vielleicht auch geliebt. Die Hauptzüge seiner Religion sind Demut und heitere Akzeptanz des göttlichen Willens. Das Buch Hiob, das Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner sind zweifelsohne in der Heiligen Schrift diejenigen Abschnitte, die seinem Herzen am nächsten sind. Verneigungen zum Boden, Kniefälle, endlose Bekreuzigungen, leidenschaftliches Küssen der an die blutüberströmten Füße Christi gelehnten Ikonen, all diese Gesten haben nichts Ostentatives; weder Pflicht noch Pharisäertum, sondern Demut und aufrichtige Reue, Bitten um die endlose Gnade Gottes.“


Um die Atmosphäre dieser orthodoxen Liturgien wiederzugeben, versammelt die Ausstellung im Bukarester Suțu-Palast auch eine Reihe von Kultgegenständen, zu denen nicht nur Ikonen (oft auch mit Metalleinfassungen) zählen, sondern außerdem Altar- und Prozessionskreuze, Triptychen, kultische Becher und Löffel zur Austeilung des Abendmahls, Altardecken, Kelche und Kelchvela, Kerzenständer und -halter, eine Lichtschere zum Schneuzen der Dochte, liturgische Gewänder aller Art, Weihrauchschwenker, ein Seelenmessenregister (rum. pomelnic) aus der Kirche Domnița Bălașa aus dem Jahre 1799, ein Siegel, ein Buchzeichen, ein liturgisches Medaillon von der Größe einer Armbanduhr und viele andere kultische Gegenstände mehr.


Besonders beeindruckend ist ein mannshohes, mit einem Kreuz bekröntes Pult mit vier schrägen Auflageflächen für vier Gesangbücher (rum. tetrapod). Unter den in diese Holzskulptur inkorporierten Notenständern befinden sich vier runde Medaillons mit den Symbolen der vier Evangelisten, gesäumt von Schriftbändern in rumänischer Sprache „Singet dem Herrn unserem Gott“. Im Sockelbereich finden sich dann die Porträts der vier Evangelisten selbst, und zwar als Gemälde in romanischen Fensternischen.


Natürlich darf in diesem liturgischen Ambiente das Buch der Bücher, die Bibel, nicht fehlen. So kann man aus der Druckerei der Metropolie ein Evangelienbuch aus dem Jahr 1693 und ein Psalterium aus dem Jahre 1754 bewundern, außerdem Bücher für die Liturgie allgemein (rum. liturghier) aus dem Jahre 1741 sowie speziell für die liturgische Gestaltung der Gottesdienste zwischen Ostern und Pfingsten (rum. penticostar) aus dem Jahre 1743. Historische Originaldokumente wie z. B. ein Dekret des rumänischen Woiwoden namens Michael der Tapfere (rum. Mihai Viteazul) aus dem Jahr 1596 runden das weite Spektrum dieser kleinen, aber reichhaltigen Ausstellung ab, bei der sich die Farben- und Formenfülle der zahlreichen dort präsentierten Ikonen dem Gedächtnis des Besuchers vielleicht am nachhaltigsten einprägt.