Wenn man von einem erfolgreichen Dichter spricht, liegt es auf der Hand, Verse zu zitieren, auch solche oder gerade solche, die der Dichter Hans Wolfram Hockl als lyrische Zierde für seine ewige Bleibe in Form eines Epitaphs bereits 1992 in seinem Gedichtband „Sonne im Alter“ festgehalten hat: „Über meinem Grab/ schläft ein Sperling./ Ich rufe ihn leise./ Da singt eine Nachtigall./“
Hans Wolfram Hockl war beides: ein geschwätzig - quirliger Sperling im geistigen und die singende Nachtigall im lyrischen Sinn.
Und weil es im Leben nur den aus der Situation heraus meisterhaft zu handhabenden Zufall gibt, hat sich bei Hans Wolfram Hockl dieser Zufall bereits bei seiner Geburt eingestellt, als er am 10. Februar 1912 vis-a-vis vom Geburtshaus Nikolaus Lenaus in der Banater Großgemeinde Lenauheim das Licht der Welt erblickte.
Allgegenwärtig war der Geist des großen Dichters Lenau, und Hans Wolfram Hockl wuchs in diesem Milieu auf, erlebt als Kind - unbewusst wohl - den Zusammenbruch der Donaumonarchie, studierte an den Universitäten Bukarest und Klausenburg, wo er erstmals der Intelligenz des rumänischen Volkes begegnete.
Zunächst Gymnasialprofessor in Schäßburg und am Temeswarer deutsch-katholischen Knabengymnasium, wird Hans Wolfram Hockl von den Ereignissen der Zwischenkriegszeit aufgesogen und erlebte die Schrecken des Zweiten Weltkriegs, als er zwischen 1942 und 1944 als Offizier der rumänischen Armee an der Ostfront zum Einsatz gelangte.
Im Sommer 1945 wegen Fluchthilfe verdächtig, wird Hans Wolfram Hockl in Abwesenheit zu zwanzig Jahren Kerker verurteilt.
In amerikanischer Gefangenschaft an spinaler Kinderlähmung erkrankt, befällt den Dichter unsägliches Leid - sowohl familiär als auch persönlich - so dass er die letzten 50 Jahre seines Lebens aufgrund der schweren unheilbaren Krankheit unter prekären, unvorstellbaren Gegebenheiten sein Dasein zu fristen gezwungen war: Eine andere Art von Heinrich Heines „Matratzengruft“, könnte man sagen, während der Hans Wolfram Hockl zu dem wurde, wie ihn die Nachwelt in steter Erinnerung behalten wird, zu einem erfolgreichen und zu einem sehr produktiven Dichter, dessen ungebrochener Wille und die ihm bis in seine letzten Tage innewohnend erhaltengebliebene, ja heraufbeschworene Kraft, schöpferisch tätig zu sein, für uns als unerklärlich bleibendes Vorbild gelten sollte.
Aus dem Schatten Lenaus getreten
Hans Wolfram Hockls transzendentaler Werdegang „erfolgte auf einem mit geistigen und physischen Hürden verlegten Leidensweg und prägte sein themenreiches aussagekräftiges Oeuvre“ schrieb ich einmal, und diese Transzendenz, die Veränderung in den Anschauungen und Einstellungen Hockls wurden von einigen Weggefährten nicht verstanden, in einigen Fällen gar abgelehnt. Doch Läuterungen begleiten unseren Lebensweg, prägten auch den von Hockl.
Mit Hans Wolfram Hockl verlor das Banat einen seiner produktivsten Dichter, der mit 53 Titeln ein breites schriftstellerisches Betätigungsfeld überspannte. Seine „Studie über NS-Engagement und Widerstand rumäniendeutscher Volkspolitiker bzw. zur NS-Geschichte der Deutschen im Südosten“, besser bekannt unter den Titeln „Deutscher als die Deutschen“ bzw. „Offenheit hat überzeugt“ oder „Offene Karten“, aber auch sein Roman „Sarah“ haben wiederholt heftige Reaktionen hervorgerufen, die aller-dings und wie auch immer den Anlauf zur Bereitschaft für die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit kundgetan haben.
Sein erstes Gedicht sprach Hans Wolfram Hockl in seinem Geburtsort Lenauheim am 23.6.1935, an einem Sonntag, zur Sonnwendfeier der Jugend im baumgrünen, stillen Hof des Rentamtes und verband es mit einem Gedanken an den großen Sohn der Gemeinde, Nikolaus Lenau, dem die Sonne dort in seinen ersten Tagen geleuchtet hatte.
Seine erste Lesung erfolgte am 18.2.1940 im Festsaal der Temeswarer Banatia zusammen mit Heinrich Erk, Josef Gabriel d.J. und Jakob Hirsch in einer von Dr. Rudolf Hollinger veranstalteten Feier, bei der sechs Hockl-Gedichte vorgetragen wurden, die Rudolf Hollinger in seinem Bändchen „Junge Banater Dichtung“ mit Strophen von Peter Barth, Hans Diplich und den oben Genannten veröffentlichte. Über Hockls Gedichte äußerte sich Rudolf Hollinger wie folgt: „Hockl hat mit Lenau nicht allein den Geburtstort gemein, wenn auch seine Begabung einen anderen Ton setzt…sein seelisches Erbe ist noch unverbraucht… Er steht allein da mit seinen Gedichten, wenn sie ländliches Schaffen und Wirken besingen. Sie sind schön und trotz ihrer jugendfrohen Herbheit einschmiegsam“.
Einer der produktivsten Banater Dichter
Seit jener vielversprechenden Anerkennung sind über fünf Jahrzehnte vergangen, und Hans Wolfram Hockl hat viel veröffentlicht: Lyrik, Prosa, politische Dokumentationen. Zahlreiche Lesungen (etwa 90 an der Zahl) im Banat, in Siebenbürgen, in Österreich, Deutschland, in den USA, Kanada und Brasilien sowie seine Veröffentlichungen in den verschiedensten Zeitungen und Zeitschriften quer durch Europa haben Hockl zu einem beachtlichen Bekanntheitsgrad verholfen.
Die eingehenden Beschäftigungen mit der Problematik des Banater Heidedorfes in Hockls Lyrik und Prosa („Regina Lefort“/Roman, „Schwabenstreiche“/Erzählungen, „Regina, unsere Mutter“/Roman-Trilogie, „Lieder einer Landschaft“/Lyrik, „Unser liewes Banat“/Mundart-Gedichte, „Oweds am Brunne“/Mundart-Gedichte u.a.) zeichnen ein unverwechselbares Bild einer Landschaft und seiner Menschen mit sozialkritischen Betrachtungen und lässt diese Darstellung zu einem komplexen Gebilde reifen, das in dieser Hinsicht das Zustandekommen einer Achse H.W. Hockl - Herta Müller zu vermuten Anlass gibt.
Hans Wolfram Hockl hat sich minutiös mit dem Banater Dorfleben, mit den Sitten und Bräuchen, mit den Freuden und Leiden der Banater Schwaben auseinandergesetzt.
Hockl kommt somit eine Brückenfunktion zu, indem er selber wie seine und die Folgegeneration der Banater Schwaben die Fußfassung in Deutschland und Österreich, aber auch in Übersee literarisch behandelt und gestaltet.
Aus Hockls Werken spricht das Dorfleben, die bereits im Dahinscheiden begriffene Mundart und mit diesen die Treue zu einer Landschaft, die schicksalhaft und schwermütig (wie bei Lenau) die Geschichte des sich in Auflösung befindenden Völkchens unaufhörlich spiegelt.
Der „Maler“ Hockl hat vollkommene Arbeit geleistet, denn seine literarischen Bilder, Schriftbilder eines Untergangs, werden für alle Zeiten das einst gewesene Banater Dorf und sein intensiv geführtes Leben und Streben veranschaulichen.
Es sind keine singulären Darstellungen, keine Einzelromane, sondern es ist ein Kranz von Werken, der die strenge, altüberkommene Lebensordnung des Dorfes untersucht und empfehlend weiterreicht.
Multikulturelle Prägung, ehrliche Menschlichkeit
Hans Wolfram Hockls Wurzeln liegen in einem Raum multikultureller Prägung, und so kann dem aufmerksamen Dichter das Zusammenleben verschiedener Völkerschaften, deren Eigenheiten und Berührungspunkte mit den Banater Schwaben nicht entgehen.
Die Erzählung „Tudor und Maria“, der Roman „Feuerliebe“ (Geschehen in der Völkerfamilie und Glaubensgemeinschaft Siebenbürgens der Ungarn und Szekler, der Rumänen, Sachsen und Kumanen), „Völker-Freundschaft“, eine Sammlung von Erlebnisschilderungen aus Hockls früher Jugend mit Ungarn, Rumänen, Juden, Zigeunern und Serben, „Liebtreu in Sarajewo“ (Frauenwürde unter Barbarei), sind nur einige Werke, die sich mit anderen Völkerschaften beschäftigen. Dazu der rumänische Schriftsteller Andrei B˛leanu: „Rumänen und Ungarn, Sachsen, Szekler und Kumanen werden mit dem gleichen warmen Verstehen, mit ehrlicher Menschlichkeit gezeichnet.“
Am 23. Sept. 1957 schrieb Hermann Hesse aus Montagnola zu Hockls Gedichtband „Disteln rollen in das Meer“: „Ich begrüße alles, was gegen den Krieg und gegen die furchtbare Vergesslichkeit der Völker kämpft“.
Gerade in seinen politischen Schriften erwies sich Hockl als unbequemer Autor, doch er wollte etwas bewegen und hat sich oft selbst mit in Bewegung setzen müssen.
„Die Werke von Hans Wolfram Hockl sind generell geprägt von seinen Lebenserfahrungen und von seinen Erlebnissen“ schrieb die „Oberösterreichische Rundschau“ (28.3.1996).
Zu „Regina, unsere Mutter“ lediglich einige Meinungen, die meine o.a. Äußerung untermauern helfen: „Man wird sich fragen, ob es in der literarischen Gestaltung der Zeit 1900-1980 überhaupt ein vergleichbares Werk gibt“ (Fritz Zimmermann, Wien); auf die Trilogie trifft zu, was Karl Kurt Klein (Innsbruck) bereits vom ersten Teil (gemeint ist „Maria Lefort“, Anmerkungen H. Dama) geschrieben hat: „Ein geistiges Denkmal der Donauschwabern“ (Josef Haltmayer, Stuttgart). Die Meinungen ließen sich fortsetzen.
Auch aus seinem und über seinen engsten Familienkreis schreibt Hockl und führt uns aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg über die Stationen der Heimatsuche, Krankheit und Einsamkeit in die Bescheidung eines naturverbundenen Heute: „Memoiren zufriedener Menschen“, „Miteinander“, „Schloß Cumberland“, „Ungewisse Wanderung“ u. a.
Auch diesbezüglich trifft Ferdinand Ernst Grubers (Wien) Feststellung zu: „Hockls meisterhafte Kunst der Menschendarstellung erinnert an die großen Vorbilder der deutschen Literatur.“
Vom Bauernschwank zur Alltagspoesie
Hockl hat sich auch als Bühnenautor versucht: „Lagermenschen. Schauspiel in 3 Aufzügen“ und „De dickscht Schwartlmaa. Schwäbischer Bauernschwank in 1 Aufzug“ treten jedoch hinter seine Lyrik und Prosa zurück.
Man darf als Leser, abgesehen von der eigenen Meinung, die Leistungen eines Mannes, der so viel wertvolles Literarisches geschrieben hat, nicht schmälern, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass die Zeit des Umbruchs kurz nach dem Zweiten Weltkrieg solcher Schriftsteller bedurfte, die den bereits oben apostrophierten Brückenschlag zwischen zwei grundverschiedenen historischen Perioden des verflossenen Jahrhunderts literarisch erfolgreich zu gestalten wussten.
Zahlreiche Lexika und Fachbücher weisen Hans Wolfram Hockl als einen erfolgreichen Schriftsteller auf. Die schöpferische Unermüdlichkeit Hockls trug auch späte Früchte: „Die Mundart von Lenauheim“, für die Hockl zusammen mit seinem Sohn Helmfried Hockl zeichnet, mit Illustrationen von Karin Graf, ist 1997 erschienen: 1500 Mundartausdrücke, Sprichwörter, Redensarten, Mundartgedichte von H. W. Hockl. Ebenfalls 1997 erschien „Gelobt sei die Mutter. Poesie für den Alltag“, Ein neues Buch war in Arbeit, sollte 1998 erscheinen…
Die vom Ehepaar Hockl 1990 gegründete Kulturstiftung „Gemeinschaft aller Donauschwaben“, 1995 in Nikolaus-Lenau-Stiftung umbenannt, die die Förderung von Autoren und vor allem derer, die sich mit der Thematik des Donau-Pannonien-Karpaten-Raumes auseinandersetzten, gilt als Beweis für soziales Engagement zu werten,das nicht verschwiegen werden kann und darf.
Die Nachwelt wird Hans Wolfram Hockls schöpferische Tätigkeit zu danken wissen, wenn es auch zuweilen Zweiflern nicht schwer fällt, verkennende Worte zu verlieren.
Wer Hockls umfangreiches Werk kennt, es gut kennt, in dieses eintaucht, vermag unvorstellbare Schätze zu horten; sie zu heben, zu ernten und zu verwerten obliegt den Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen.
Der Dichter verstarb am 12. September 1998 in Linz.