Erst musste ich pausenlos Tränen lachen - und am Ende habe ich geweint. Über dieses tolle, phantastische Ende, das jetzt natürlich nicht verraten wird! Es hilft nichts, es vorweg zu lesen. Man versteht gar nichts - Gott sei Dank. Denn eines kann er, dieser Maik Klingenberg - oder besser gesagt, sein Erfinder, der Autor Wolfgang Herrndorf: eine Geschichte mitreißend aufbauen.
Im Hintergrund dieses amüsanten Abenteuers zwei-er Achtklässler brodeln ernste Themen: Der eine - aus reichem Hause, bis über beide Ohren verliebt; nur hält er sich für den größten Langweiler der Welt; familiäre Probleme, doch auch darum geht es nicht wirklich. Maik findet, eine Alkoholikerin als Mutter sei nicht das Allerschlimmste...
Der andere - was weiß man über ihn? Erstmal nichts, nur das Offensichtliche: Er trägt tagtäglich die gleiche Billigjeans, dasselbe Schmuddelhemd , dieselben klobigen Schuhe, die aussehen wie tote Ratten, wie Maik ein wenig boshaft bemerkt. Eigentlich kennt ihn niemand, den Neuen in der Klasse, den Russen in der hintersten Bank. Na, und selbst ist er auch nicht gerade ein Musterbeispiel an Anpassung. „Russenmafia“ munkeln einige halb abfällig, halb ehrfürchtig. Weil niemand seinen Namen aussprechen kann, nennen sie ihn Tschik.
Was haben die beiden gemeinsam? Einen geklauten Lada Niva. Ein Geheimnis in Sachen Liebe. Doch ihr Abenteuer beginnt damit, dass sie nicht auf Tatjanas Geburtstagsfeier eingeladen sind, auf die sich die ganze Klasse wochenlang freute. Dann ein zufälliges Treffen am Ferienbeginn - und eine verrückte Idee. Zuerst fahren Tschik und Maik einfach nur ein bisschen herum. Das Auto? Bloß geliehen, versichert Tschik. Es steht immer an derselben Stelle, ist nicht mal abgeschlossen, damit fährt sicher keiner mehr.
Noch etwas haben Maik und Tschik gemeinsam: Die Idee, mal Urlaub zu machen „wie ganz normale Leute“. Niemand wird sie vermissen. Maiks Eltern sind aus dem Haus und auf zwei Wochen Pool, Playstation und Tiefkühlpizza hat er nicht wirklich Lust. Ferien hätte für beide nur „Rumhängen“ bedeutet. Jeder auf seine Weise.
Doch zum Urlaub machen braucht man ein Ziel: Tschik erinnert sich dunkel an einen Besuch beim Großvater in der Walachei. Seine Familie sei eine Mischung aus Wolgadeutschen, Banater Schwaben und jüdischen Zigeunern. Maik wundert sich: Walachei, gibt‘s das wirklich, oder ist das nur ein Wort? Sie liegt in Rumänien, irgendwo im Süden, mehr muss man eigentlich nicht wissen. Mit der Sonne fahren sie einfach gen Süden.
Auf ihrer abenteuerlichen Reise geraten sie schnell in eine verschobene Parallelwelt, in der andere Dinge als die gewohnten zählen. Was ist cool? Zum Beispiel die seltsame Öko-Familie, die sie spontan zum Essen einlädt und wo betont wird, dass man nicht im Supermarkt einkauft. Die merkwürdige Art, wie sich die Kinder dort den Nachtisch verdienen. Zum Abschied bekommen sie einen Kürbis geschenkt. „Tolle, spinnerte Leute“, sagt Tschik.
Und wie tankt man, wenn man als Vierzehnjähriger nicht einfach an der Zapfsäule auftauchen kann? Wie findet man sich wieder, wenn der eine plötzlich mit dem Auto vor einem Polizisten flüchtet - und der andere sich geistesgegenwärtig auf dessen Fahrrad schwingt und die andere Richtung einschlägt? Die Handys sind zuhause geblieben, um nicht ortbar zu sein.
Nur vordergründig geht es in dem Buch um die herrlichen Abenteuer, die Maik und Tschik erleben. Dass man mit einem Auto seinen Namen in ein Weizenfeld schreiben kann; dass man lügen muss und stehlen, um das einzigartige Erlebnis, das sie bald fest zusammenschweißt, nicht vorzeitig abbrechen zu müssen...
Es geht um Freundschaft und Verlässlichkeit. Um Momente der Nähe und Tiefe. Um das Leben und den Tod: Ein eingeritzter Name auf einer Berghütte, dazu das Jahr 1910. Maik sagt, dass er sich nicht vorstellen kann, selbst mal Rentner zu werden, wie die, die auf dem Bergplateau aus den Reisebussen steigen. Dass ihre Frauen einmal jung und hübsch waren wie Tatjana und die ganze Klasse in sie verliebt. Dass auch die, die nie hübsch waren, einmal Hoffnungen, Träume und Pläne hatten...
Es geht um Begegnungen mit Menschen: seltsamen, netten, skurrilen und mutigen. Und um die Erkenntnis, dass es nicht stimmt, dass der Mensch zu 99 Prozent schlecht sei. Merkwürdig, Tschik und ich sind ausgerechnet dem einen Prozent der Guten begegnet, staunt Maik.
Ein Unfall reißt die beiden beinahe aus ihrem Traum - doch um keinen Preis darf dieses Abenteuer jetzt schon enden! Maik muss auf einmal die Initiative ergreifen. Eine unerwartete Mutprobe. Vorher gesteht er Tschik ein großes Geheimnis... „Und dann unterhielten wir uns über die tollste und aufregendste Woche unseres Lebens und es war wirklich kaum auszuhalten, dass es jetzt vorbei sein sollte.“
Warum geht es wirklich in dem Buch? Vielleicht um die wichtigste Frage des Lebens: Was ist Glück? Immer wieder schleicht sich Tiefsinn zwischen die Zeilen, ernsthafte Probleme deprimieren für Sekunden, dann liest man weiter mit Dauergrinsen und gutem Bauchgefühl, die Dialoge in flapsiger, bildhafter Jugendsprache verleiten unaufhörlich zum Lachen. Zwar ist alles, was die beiden tun, um ihre Fahrt fortsetzen zu können, entweder illegal oder verboten – huch, wo bleibt der erzieherische Effekt? Und doch versichert Gustav Seibt („Süddeutsche Zeitung“) den jetzt vielleicht besorgten Eltern schon im Klappentext: „Tschik“ ist ein Buch, das man den Altersgenossen seiner Helden jederzeit schenken kann!