Nachdem bereits 2017 im Rahmen der Ausstellung „Banater Orgeln und Orgelbauer. Bilder einer europäischen Orgellandschaft“ zum ersten Mal auch die Wegenstein-Orgeln der Slowakei dargestellt wurden, rückten diese nun wieder ins Rampenlicht einer wissenschaftlichen Untersuchung.
Andrej Štafura veröffentlichte 2021 sein zweisprachiges Buch (slowakisch, englisch) „Die historischen Pfeifenorgeln Carl Leopold Wegensteins in der Slowakei“ („The Historical Pipe Organs of Carl Leopold Wegenstein in Slovakia“, ISBN 978 80 972541 2 4). Es erschien im Rahmen eines größeren Projektes über historische Orgeln dieses Landes („Wooden Pipe Configuration of Historic Positive Organs in Slovakia“).
Der Autor studierte an der Fakultät für Musik und Tanz der Akademie der Schönen Künste in Pressburg/Bratislava, danach am Institut für Musikwissenschaft der Slowakischen Akademie der Wissenschaften. Da es sich in diesem Buch um eine physikalische Analyse der Orgeln Wegensteins handelt, wirkten auch andere Wissenschaftler mit, wie Martin Culik, Stefan Nagy, Peter Barta, Andrej Cepec.
Carl Leopold Wegenstein (1858-1937) war einer der bedeutendsten Orgelbauer Südosteuropas. Er ist in Niederösterreich geboren und verbrachte seine Lehrjahre bei bedeutenden Orgelbauern Europas: bei Walcker in Ludwigsburg, Jehmlich in Dresden, Weigle in Stuttgart, Gebrüder Dinse in Berlin, Hickmann in Erfurt, Goll in Luzern, Giesecke in Göttingen, Laukhuff in Weikersheim. Um 1880 ließ er sich in Temeswar nieder, wo er seine Orgelbauwerkstätte gründete.
Im ersten Kapitel seines Buches bringt der Autor einige Daten zum Leben und Wirken Carl Leopold Wegensteins und weist auch auf dessen Bedeutung im Kontext der europäischen Orgel des 19. Jahrhunderts hin. Es war der Übergang von der barocken und klassizistischen Orgel zu jener der Romantik, vom Werkprinzip zu einem dynamischen Aufbau der Orgel. Natürlich spielten dabei auch die Neuerungen und Bewegungen in der Kirchenmusik eine wichtige Rolle, so z.B. der Cäcilianismus im Bereich der katholischen Kirche. Gleichzeitig feierte die Orgel in Frankreich und Deutschland ihren Einzug in Konzertsäle, was zu einer Erweiterung des Orgelrepertoires führte. Letztendlich weist der Autor auch hin auf die Bedeutung der Orgelbauwerkstätte Wegensteins im historischen Ungarn, wodurch erst sein Tätigkeitsfeld ausgeweitet wurde. Heute befinden sich Wegenstein-Orgeln in mehreren Ländern: in Rumänien, Ungarn, in der Ukraine, in Bulgarien, Serbien, Bosnien-Herzegowina und in der Slowakei. Die meisten aber finden wir heute noch im Banat und in Siebenbürgen, sowohl in katholischen wie auch in evangelischen und reformierten Kirchen oder in Synagogen.
Im 2. Kapitel seines Buches bekommen die physikalischen Analysen der Wegenstein-Orgeln eine primäre Rolle: chronometrische Daten, die Dendrochronologie, Radiokarbonanalysen und nicht zuletzt archivalische Forschungen. Im Zentrum dieser Forschungen standen die zum Orgel- und Pfeifenbau verwendeten Holzarten und Metalllegierungen. Auch die verschiedenen Spiel- und Registertrakturen der Wegenstein-Orgeln werden genauestens beschrieben und analysiert.
Es handelt sich dabei um 10 Orgeln, die Carl Leopold Wegenstein zwischen 1896 und 1914 auf dem Gebiet der heutigen Slowakei erbaut hat. Der Erste Weltkrieg brachte das Ende dieser Etappe. Diese zehn Wegenstein-Orgeln befinden sich heute in folgenden katholischen und evangelischen Kirchen der Slowakei: Murán, Revúca, Lubietová, Motyky, Mikusove, Bušince, Slovenská Lupa, Velká Calomija, Žiar nad Hronom, Tajov. Im 3. Kapitel werden all diese Instrumente genauestens beschrieben (Traktur, Werkaufbau, Disposition usw.).
Das 4. Kapitel widmet sich der physikalischen und chemischen Analyse der beim Orgelbau verwendeten Materialien. Zahlreiche Tabellen und Diagramme bringen Licht in dieses bisher unerforschte Gebiet des europäischen und Banater Orgelbaus. Die Raumakkustik wird im 5. Kapitel dieses Buches behandelt, wieder verbunden mit zahlreichen Messungen und Analysen. Das letzte, 6. Kapitel des Buches ist eine Fallstudie über die Wegenstein-Orgel der katholischen Heiligkreuzkirche in der Stadt Žiar nad Hronom (ung. Garam-szentkereszt, deutsch Heiligenkreuz an der Gran).
Alle die in diesem Buch besprochenen Orgeln befinden sich heute in einem relativ guten und spielbaren Zustand, einige wurden vor wenigen Jahren erst renoviert. Fazit dieser Neuveröffentlichung: diese Publikation könnte für die Wegenstein-Forschung ein weiterer Ansporn sein, sich mehr mit diesen Instrumenten und deren Bauweise auseinanderzusetzen. Obzwar Wegenstein die meisten seiner Orgeln mit einer pneumatischen Traktur erbaut hat, werden seine Instrumente auch noch mehr als 100 Jahre nach der Erbauung gespielt und viele davon sind bisher keiner größeren Reparatur unterzogen worden. Besonders jene Instrumente, deren Bau Carl Leopold Wegenstein noch persönlich betreut hat, weisen einen hohen Standard an Bauqualität auf, im Vergleich zu jenen, die von seinen Söhnen ab den dreißiger Jahren errichtet wurden. Zu den ersteren zählen auch jene zehn Orgeln der Slowakei, denen Andrej Štafura durch dieses Buch ein bleibendes Denkmal gesetzt hat.