Hermannstadt - Die Geschichte eines jungen Mannes, dessen Gehirn anders tickt als jenes der „normalen“ Menschen und der den Kampf gegen die Bürokratie des Staates verliert, erhielt den großen Preis des diesjährigen Astra-Dokumentarfilmfestivals. In „Matthijs Regeln“ stellt Marc Schmidt (Niederlande) mit viel Empathie das Leben eines Autisten dar. Der Streifen hatte in der Sparte „internationale Filme“ konkurriert, in der Biene Pilavci (Deutschland) für ihre Lebensgeschichte prämiert wurde: „Alleine tanzen“ ist die Story einer jungen Frau, die im Alter von 12 Jahren aus der Familie voller Gewalt und Hass flieht und zwanzig Jahre später ihre Geschwister und Eltern aufsucht, um mit ihnen in schmerzhafter Offenheit über die Agressivitäten und den sexuellen Missbrauch in der Familie zu sprechen. Prämiert worden sind insgesamt zehn Lebensgeschichten im Rahmen einer Feier, die am Samstagabend im Thalia-Saal stattfand. Das diesjährige Filmfest endete am Sonntag mit dem erneuten Zeigen der ausgezeichneten Streifen sowie anderer Dokufilme.
Für die Hermannstädter besonders interessant war der Streifen „Anatomie des Weggehens“ auf Grund der Problematik und der Protagonisten: Şerban Oliver Tătaru, in Hermannstadt/Sibiu geboren und Absolvent der Filmhochschule München, befragte seine Eltern Adriana und Marius Tătaru – der Kunsthistoriker war zuletzt Kustos im Museum in Gundelsheim – zu deren Entschluss, Rumänien Ende der 1980er Jahre zu verlassen. Für seine Familiengeschichte erhielt er den vom Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland dotierten und von Generalkonsul Thomas Gerlach überreichten Preis in der Sektion „Mittel- und Osteuropa“.
Das kriminelle kommunistische Regime von Ceauşescu wurde deutlicher noch anhand der filmischen Verarbeitung der „Affäre Tănase “ dargestellt: der Vereitelung des Mordauftrages an den beiden Dissidenten Virgil Tănase und Paul Goma 1982 (weil der Spion Haiducu überlief). Für seinen Film erhielt Regisseur Ionuţ Teianu den Sonderpreis für einen rumänischen Dokumentarstreifen.
Die aus Cristi Puiu und Cristian Niţulescu (Rumänien), Gaby Babic und Grit Lemke (Deutschland), Lesedi Oluko Moche (Südafrika), Pawel Kloc (Polen), Hussain Currimbhoy und Michael Stewart (Großbritannien), Elena Danilko (Russland) sowie Petr Lom (Kanada) bestehende Jury vergab den Debütpreis an die 16-Jährige Elena Borcea aus Bârlad, die ihre Familie vorstellte bzw. das Leben ohne Mutter, die in Italien arbeitet, weil es im Ort keine Arbeitsplätze gibt. Ihre Mutter, die im Rathaus in Piatra Neamţ arbeitende Sozialreferentin, porträtierte die in Frankreich lebende Dokumentarfilmerin Anca Hirţe und erhielt den Preis für den besten Film in der Sparte „Rumänien“.
Im Wettbewerb der Filme von Studierenden wurde Elke Lehrenkrauss für den Streifen „Sachliche Romanze“ ausgezeichnet, für das beste Bild der Streifen über die Deportation der Roma nach Transnistrien („Valea Plângerii“) von Mihai Andrei Leaha, Iulia Hossu und Andrei Crişan. Die Geschichte eines griechischen IT-Fachmannes, der sich aus dem von der Wirtschaftskrise geschüttelten Athen auf die Insel Ikaria in der Ägäis zurückzieht in ein Leben der Genügsamkeit und Gemeinsamkeit, verhalf Nikos Dayanos zum Preis in der Kategorie Öko-Film.
Zu Ende gegangen ist eine Woche voller Filme, Begegnungen mit deren Autoren, aber auch Protagonisten, mit Konzerten und Begegnungen. Erstaunlich war auch diesmal wieder die angenehme Festivalatmosphäre, in dem ansonsten kalten, staubigen, verrotteten und unwirtlichen Gewerkschaftskulturhaus.