Er hatte einen Traum: die Kirchenburg, in der er Sonntag für Sonntag und an den Feiertagen mit seiner Gemeinde Gottesdienst feierte, renoviert und strahlend zu sehen. Der Traum ging in Erfüllung, der Träumer, Pfarrer Reinhardt Boltres, konnte ihn nicht mehr erleben. Ein Verkehrsunfall riss ihn 2020 aus dem Leben. In der am Sonntag, dem 14. August, wieder eingeweihten Kirche in Agnetheln/Agnita erinnert eine Gedenktafel an ihn, an einen „wunderbaren Menschen“.
Von der renovierten Kirchenburg in Agnetheln haben auch viele andere Leute geträumt. Nach der Unterzeichnung des Finanzierungsvertrags im Sommer 2017, aufgrund dessen EU-Mittel aus dem Operationellen Regionalen Programm in Höhe von rund 1,36 Millionen Euro für die Sanierung und Restaurierung zur Verfügung gestellt worden sind, begannen die Bemühungen, die restlichen rund 60.000 Euro Eigenbeitrag zusammenzubringen. Die EU-Mittel, so Friedrich Gunesch, Hauptanwalt der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien, machten rund 85 Prozent der benötigten Kosten aus, 13 Prozent steuerte der rumänische Staat bei, die restlichen 2 Prozent wurden von der HOG Agnetheln und der Kirchengemeinde aufgebracht. Er dankte allen Akteuren, darunter auch den zahlreichen Fachleuten und Unternehmen, die „unterschiedlicher nicht hätten sein können“, für die erfolgreiche Zusammenarbeit.
Das Gelingen des umfassenden Sanierungsvorhabens ist der Gemeinschaft zu verdanken. Das unterstrich Kuratorin Andrea Schiau-Gull in ihrer Begrüßung, das betonte die HOG-Vorsitzende Doris Hutter in ihrer Ansprache. Hutter wies darauf hin, dass es das Kulturerbe ist, das die Gemeinschaft zusammengebracht hat. So wie bei der Wiederbelebung des Urzellaufs im Jahr 2007, Tradition, die seither von den Agnethlern aller Muttersprachen, Konfessionen und Hauptwohnsitze gemeinsam fortgeführt wird, so seien nun auch alle Agnethler in die Kirchenburg eingeladen, nicht nur die Sachsen. Die guten Beziehungen zwischen den Sachsen und Rumänen in Agnetheln sprach der orthodoxe Dekan Andrei Iancu an, auf die Bedeutung dieser Kirche für die Agnethler Sachsen ging der reformierte Pfarrer Endre Kozma ein. Bürgermeister Alin Schiau-Gull sprach von der Agnethler Kirche als Symbol der Vergangenheit aber auch von ihrer Bedeutung für die Gegenwart und Zukunft. Pfarrer Hans Georg Junesch bezeichnete es als Wunder, dass der Renovierungswunsch dank des Einbringens der gesamten Gemeinschaft im Namen Gottes verwirklicht worden ist.
Die Wiedereinweihung der blendend weiß erstrahlenden Kirche fand im Rahmen eines Abendmahlsgottesdienstes statt, der musikalisch an der Orgel von Erich Türk (Klausenburg/Cluj-Napoca) sowie der Siebenbürgischen Blaskapelle aus Stuttgart umrahmt wurde. Die Weihehandlung nahm Bischof Reinhart Guib, assistiert von Pfarrer Hans Georg Junesch und Diakon Heinrich Rosinger, der die Agnethler evangelische Gemeinde betreut, vor. In seiner Predigt erwähnte der Bischof, dass die Kirchenburg, so wie sie heute dasteht, vom 13. bis 16. Jahrhundert erbaut worden ist, später wiederholt ausgebessert wurde, dass diesmal jedoch eine umfassende Sanierung stattgefunden hat, so dass sie nun „schöner ist als je zuvor“. Das „Fest der Freude und Dankbarkeit“ trotz Pandemie-nachwirkungen und Krieg unweit der Landesgrenzen, sei die „Verwirklichung des Traums von Pfarrer Reinhardt Boltres, der die Kirchenburg wieder blühen sehen wollte“.
Die baulichen Eingriffe an der Kirche und den Türmen umfassten Trockenlegung, Befestigung und Konservierung bestimmter Teile der Anlage, die Erneuerung von Installationen und den Einbau einer Fußbodenheizung in der Kirche sowie selbstverständlich das Tünchen. Besichtigt werden konnten auch die Türme – die noch leer stehen. Das Ziel des Restaurationsvorhabens ist die Sichtbarmachung als touristisches Ziel und Einbeziehen in den Kirchenburgen-Tourismus. In der Kirche befindet sich ein aus dem Jahr 1650 stammender gotischer Flügelaltar, es können Orgel- und andere Konzerte veranstaltet werden. Bekannt ist das Städtchen im Harbachtal für seinen Urzelnlauf, es herrschen Bemühungen die „Wusch“, die Schmalspurbahn, die einmal Hermannstadt/Sibiu mit Schäßburg/Sighi{oara verband, streckenweise wiederzubeleben, die „Mocănița“ verkehrt in den Sommermonaten auf kurzen Strecken im Harbachtal und rundherum werden Events organisiert.
Die Wiedereinweihungsfeier der Agnethler Kirche erfolgte im Rahmen der Kulturtage der Stadt Agnetheln und gehörte zu den herausragenden Veranstaltungen des zu Ende gegangenen Siebenbürgischen Kultursommers. Bereits am Samstag fand die Vorstellung eines weiteren Agnetheln-Buches von Ruth und Horst Fabritius statt, im Hof der evangelischen Kirche spielte die Siebenbürger Blaskapelle aus Landshut auf, es gab Führungen durch die Türme und die Agnethler Kirchenburg, Auftritte mehrerer rumänischer Folkloreensemble und Kulturgruppen sowie der Singgruppe „Kampestweinkel“. Die Schauspielgruppe der HOG-Regionalgruppe Hermannstadt-Harbachtal führte das Stück „Se kit, se kit … De Wusch uch Nået äm Hårbåchtool” (Sie kommt, sie kommt ... Die Wusch und Neues im Harbachtal“) von Doris Hutter in der Regie der Autorin auf, das zuvor auch in anderen Ortschaften des Harbachtals gezeigt worden war.
„Von den Vorfahren ist uns viel gegeben und noch mehr anvertraut worden“, hatte Hauptanwalt Gunesch gesagt. Das Erbe zu erhalten, sei nur dank Zusammenrücken und Miteinander möglich. „Wir stehen in der Tradition unserer Vorfahren, die Kirche für die Zukunft zu rüsten und laden alle Agnethler in diese Kirche ein“, erklärte die HOG-Vorsitzende Hutter. Im Anschluss an den Festgottesdienst wurde im Kirchhof zum Zeichen des Zusammenwachsens und des Miteinander eine „Hora der Freundschaft“ getanzt.