Ein Zehntel vom Psalter auf Ungarisch und eine volle Synagoge

Sebestyén Márta und die Gryllus-Brüder beehrten Hermannstadt

Ein geeignetes Programm, ausreichend Plakate in der Stadt und ein wenig Werbung in der Lokalpresse, und schon füllen sich die alten Bänke der Hermannstädter Synagoge fast bis auf die letzten Plätze. Fotos: Klaus Philippi

Hermannstadt – Er wurde zunächst auf Hebräisch notiert und erst einige Jahrhunderte danach auch für den christlichen Diskurs wichtig: obwohl es keine Weltsprache gibt, die der Psalter nicht verträgt, stellt er seine Leser, Sprecher und Sänger gerne auf eine Gewissensprobe – Volksmusik-Seniorin Sebestyén Márta und ihre etwa gleich alten Begleiter Gryllus Dániel und Gryllus Vilmos auf Klarinette, vier Blockflöten, Zither und Gitarre hingegen waren den gelegentlich übertrieben zu Gewalt aufrufenden Psalter-Versen Montagabend, am 3. Juni, in der weit über 100 Jahre alten Synagoge von Hermannstadt/Sibiu freundlichst überlegen und sorgten trotz der Annahme, dass bestimmt nicht alle Zuhörerinnen und Zuhörer das Ungarische verstanden haben dürften, für feinste Unterhaltung entlang der Paraphrasen von Dichter Sumonyi Zoltán auf genau 15 Psalmen („Tizenöt Zsoltár“). Als Klarinettist und routinierter Bläser von Blockflöten in den vier Stimmlagen Bass bis Sopran changierte Gryllus Dániel mühelos zwischen Klezmer, magyarisch inspirierten Folklore-Zeilen und mancher Passage des einstündigen Programms hin und her, die unmittelbar aus dem immateriellen Wohlstand des Nahen und Mittleren Ostens selber zu schöpfen schien. Wunderbar auch die Gesangstrio-Einlagen, während derer die seit bald exakt 55 Jahren miteinander im Budapester Ensemble „Kaláka“ auftretenden Gryllus-Brüder sich mit dem Timbre von Sebestyén Márta glänzend zu einer Stimmgruppe mischten, wie sie für den stilistischen Schnitt zentraleuropäischer und jüdischer Volksmusik nicht besser gewählt hätte werden können. Dass der 58. Psalm gut und gerne auch in die Kategorie der „Fluchpsalmen“ gerechnet werden könnte, war somit für die gelöste Abendstimmung in der bestens besuchten Synagoge von Hermannstadt überhaupt nicht tonangebend. Die Papierbögen in A3-Größe mit Melodien und Texten darauf, die Sebestyén Márta vor sich auf einem aufgeklappten Glockenspiel-Kästchen gestapelt liegen hatte, legte sie kurz vor Schluss beiseite, um stattdessen mit dem Schlägel-Paar einige Takte wortlosen Zaubers in den Raum zu senden. Außerdem führte sie ab und an eine Sopranino-Blockflöte an ihren Mund und setzte dem edlen Klangspektrum der „Tizenöt Zsoltár“ von Texter Sumonyi Zoltán und Komponist Gryllus Dániel seine verdiente Spitze auf. Der Tonmeister am Mischpult für seinen Teil verstand es, die nicht unpraktische Verstärkungsanlage dezent statt übersteuernd einzusetzen. Und dass am Ausgang die 1997 auf CD eingespielten „15 Psalmen“ auch Käufer fanden, die Ungarisch nicht verstehen, sprach für die Auszeichnung als „Artist for Peace“ der UNESCO, die Folklore-Sängerin Sebestyén Márta 2010 in Paris feierlich zuteil wurde.