Eine Schule als Nobelpreisträger-Schmiede

Ein Streiflicht auf das Nikolaus-Lenau-Lyzeum in Temeswar am Tag, an dem der Nobelpreis verliehen wird

Heute bekommen einige der klügsten Köpfe der Welt den unter Wissenschaftlern wohl begehrtesten Preis: In der Königlich-Schwedischen Akademie der Wissenschaften in Stockholm werden die Nobelpreise feierlich verliehen. Unter den Preisträgern ist in diesem Jahr wieder mal ein Deutscher: Nämlich Stefan Hell, Direktor des Max-Planck-Instituts für biophysikalische Chemie in Göttingen; er erhält den Nobelpreis für Chemie. Allerdings: Die ersten 17 Jahre seines Lebens verbrachte der heute 52-Jährige im Banat, gehörte dort der rumäniendeutschen Minderheit an, ist ein Banater Schwabe, aufgewachsen in Sanktanna/Sântana. In Temeswar/Timişoara besuchte er das Nikolaus-Lenau-Gymnasium, das sich nun so ein bisschen als Nobelpreisträger-Schmiede verstehen kann. Denn auch die Schriftstellerin Herta Müller, die 2009 den Literatur-Nobelpreis verliehen bekam, drückte genau dort die Schulbank – und da stellt sich die Frage: Gab es dort, im damaligen Rumänien, ein innovatives Bildungskonzept, das Nobelpreisträger wie Müller und Hell geprägt hat? Wir sind dieser Frage nachgegangen.

„Wir sind im kleinen Chemielabor, wo wir unsere Chemikalien haben und einen Teil der Geräte“, erklärt Chemielehrerin Daniela Bandur. Abgewetzte, jahrzehntealte Schulbänke, vorne, auf dem Lehrerpult, ein paar Reagenzgläser. Stefan Hell hat tatsächlich in den 70er Jahren in diesen Räumen Chemie, Physik und so manches mehr gebüffelt. „Wir haben zwei ehemalige Schüler, die den Nobelpreis jetzt tragen. Herta Müller und Stefan Hell. Ich weiß nicht, wie viele Schulen in der Welt sich damit brüsten können.“

Chemie-Lehrerin Bandur ringt vor lauter Freude nach den richtigen Worten. Zwei ehemalige Schüler derselben Schule bekommen also im Abstand von gerade mal einem halben Jahrzehnt den Nobelpreis: Dass hier Glück und Zufall mitspielen, liegt auf der Hand. Allerdings dürfte auch das besondere Bildungskonzept während der kommunistischen Ceau{escu-Diktatur die späteren Nobelpreisträger entscheidend geprägt haben. Helene Wolf, Schulleiterin des Lenau-Gymnasiums: „Eines unserer beliebten Lieder unter den Schülern war: ‚Die Gedanken sind frei…‘. Zu der Zeit, zu einer sozialistischen Zeit – das war schon was. Das sagt schon etwas aus über den Geist, der sich an dieser Schule entwickelt hat. Wodurch sich die Lenau-Schule ausgezeichnet hat, war, das in jener Zeit nicht eine sehr intensive politische Erziehung stattgefunden hat.“

Interaktives Wissen statt Propaganda

Das war ein ausgesprochenes Privileg in einer Zeit, in der an den meisten anderen rumänischen Schulen die Parolen des kommunistischen Diktators Ceauşescu gepaukt wurden. Unter Einschränkungen kam ab und an auch mal so etwas wie ein offener Diskurs zustande. Nicht zufällig kamen auch einige der Mitglieder der „Aktionsgruppe Banat“ aus dem Lenau-Lyzeum. Daneben werden an rumäniendeutschen Schulen wie dem Lenau-Gymnasium bis heute die meisten Fächer auf Deutsch unterrichtet; Rumänisch als Alltagssprache beherrschen die Schüler ohnehin und lernen es als Lehrfach. Und dies sei ein unschätzbarer Vorteil, findet Direktorin Helene Wolf: „Eine aktive Mehrsprachigkeit fördert klar die Intelligenz. Und das wurde auch bewiesen: Wer viele Sprachen kann, kann auch leichter Mathe lernen.“

Mathematik-Unterricht in der Klasse 12: An einem der Tische sitzt Bea Popovici. Heute ist für sie, wie für viele ihrer Mitschüler, ein ganz besonderer Tag: „Also, ich fühle mich sehr stolz an so einer Schule. Wir sind, glaube ich, die einzige Mittelschule auf der Welt, die zwei Nobelpreisträger hervorgebracht hat.“ Bea Popovici stammt aus einer rein rumänischen Familie, hat Deutsch bereits als Kind gelernt. Sie hat sich bewusst für das Lenau-Gymnasium entschieden, wegen des für Rumänien innovativen Bildungskonzeptes. „Hier wird Wert gelegt auf den interaktiven Unterricht. Und ich glaube, das bringt die Schüler zum Denken. Und das bringt viel für die Zukunft. Soviel ich weiß, gibt es das nur in wenigen Schulen, weil viele rumänische Lehrer ansonsten nur Wert legen aufs Lernen, Stucken, Pauken, nur Lernen und auswendig Aufsagen…“

Attraktivität der deutschen Sprache

Das ist am Lenau-Gymnasium anders – und das war in Ansätzen bereits anders, als die Nobelpreisträger Herta Müller und Stefan Hell dort zur Schule gingen. Immer mehr rumänische Eltern schicken ihre Kinder auf deutschsprachige Schulen wie dem Lenau-Gymnasium; der Andrang wächst von Jahr zu Jahr. Und die Erklärung dafür ist relativ simpel, so Direktorin Helene Wolf: „Der, der in dieser Gegend Deutsch kann, findet eine Arbeitsstelle, egal, was er studiert hat: Jeder, der Deutsch kann, findet eine Stelle. Oder einen Hochschul-Studienplatz im deutschen Sprachraum.“

Deshalb kann die Lenau-Schule dem Andrang kaum gerecht werden. Auf der anderen Seite fällt es immer schwerer, in Rumänien perfekt Deutsch sprechende Lehrer zu finden: Die Einstiegsgehälter für Lehrer liegen bei ein paar Hundert Euro; Investoren zahlen dagegen häufig bedeutend mehr für Mitarbeiter mit guten Deutschkenntnissen: Auf das deutschsprachige Lenau-Gymnasium kommen insofern schwierige Zeiten zu.