Hermannstadt – Ist der Siebenbürgische Kultursommer erst einmal beendet, hat die sächsische Szene des deutschsprachigen Transsylvaniens noch längst nicht all ihre Trümpfe verspielt. Mit seinem Willkommensgruß an das Publikum im brechend vollen Erasmus-Büchercafé zur „ersten Lesung nach der Pandemie und seit Kriegsbeginn“ lag Schiller-Verlagsinhaber Jens Kielhorn am Donnerstag, dem 1. September, fast auf den Punkt genau richtig – den Podiumsgästen des Nachmittags Horst Samson und Iris Wolff beinahe drei Monate früher zuvorgekommen war nur Peter Biro am 7. Juni (die ADZ berichtete). Seine Zuhörerschaft dagegen hätte es mit dem Interesse der bürgerlich-regional gesetzten Leserschaft am ganz klar neugierig erwarteten Heimspiel Wolffs und Samsons im Parterre des Kultur- und Begegnungszentrums „Friedrich Teutsch“ der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien (EKR) nicht aufnehmen können.
Malerin Elisabeth Ochsenfeld, Kuratorin der Künstlerresidenz rund um die Kirchenburg Kleinschenk/Cincșor, begleitete Horst Samson und Iris Wolff selbstverständlich auf der Fahrt nach Hermannstadt, überließ ihnen aber ganz alleine das Wort zur Stunde ihrer Doppel-Autorenlesung. Einzig Ex-Bankkauffrau und Tourismus-Gestalterin Carmen Schuster bestand fest darauf, als Moderatorin „steil“ in die Biografien beider Literaten einzusteigen. Ohne den Fingerzeig der Kleinschenker Unternehmerin, wie schön es doch immer sei, wenn ihr Dorf nach Hermannstadt kommt, hätte der Veranstaltung „Von Angesicht zu Angesicht“ wohl ein Stückchen des eitlen Rahmens gefehlt. Aber auch umgekehrt würde Hermannstadt sich „viel zu selten nach Kleinschenk“ bequemen. Iris Wolff und Horst Samson schließlich schienen sich abgesprochen zu haben und vermieden es, Stadt und Dorf zu vergleichen. Statt um ortsgebundene sollte es um freie Themen gehen.
„Die Liebe und der Tod, das sind die einzigen Themen, die wirklich groß sind. Der Rest ist Mumpitz.“ – besonders dieses eine unter den kernigen wie gefürchteten Zitaten von Marcel Reich-Raniciki hat es Horst Samson angetan. Weil er, wie Iris Wolff an ihm hoch schätzt, „eine ganz bestimmte Art der Weltwahrnehmung“ übt und folglich „keine Angst vor großen Themen“ habe. Sein neuester Gedichtband „Der Tod ist noch am Leben“ (Traian Pop Verlag) übrigens, mit 23 Zeichnungen von Gert Fabritius illustriert, versichert Horst Samson selbst, ist trotz Veröffentlichung im März 2022 „kein kommerzieller Coup von mir“. Beim Vorlesen daraus war es ihm ein Leichtes, die Zuhörenden davon zu überzeugen. „Machtlos“ ist der Tod gegen „die Kraft der Poesie.“
Iris Wolff, genauso wie auch er Mitglied des internationalen PEN-Autorenverbands, bescheinigt Horst Samson einen „eigenen Sound in der Literatur“. Mit ihrem bislang letzten Roman „Die Unschärfe der Welt“ (2021, Klett-Cotta Verlag) wäre ihr ohne Wenn und Aber der „Durchbruch“ gelungen, raunt er als 1954 geborener Journalist und Lyriker betreffend das Können von Iris Wolff (Jahrgang 1977), die, grob über den Daumen gebrochen, am ersten Septembertag als leider jüngste Schriftstellerin und Leserin im Erasmus-Büchercafé Platz nahm. „Normalerweise löst man sich von Buch zu Buch von der eigenen Biografie. Mir ist das nicht gelungen.“, gibt Iris Wolff offen zu. Dass sie den Parcours für „Die Unschärfe der Welt“ im Pfarrhof verortet, „wo ich groß geworden bin“, stuft sie hingegen nicht als Last ein. „Alle meine Figuren wollen den Neuanfang, das Loslassen.“
„Es ist einfach Literatur!“, entgegnete Iris Wolff auf die Frage eines Zuhörers nach der Bestimmung ihres Schaffens im deutschen oder rumäniendeutschen Spektrum. Horst Samson pflichtete ihr ehrlich mit einem Schuss „Arroganz“ bei und sieht sich gerne „als Teil der Weltliteratur“, ohne jedoch das stereotype Vorgestellt-Werden als „rumäniendeutscher Autor“ geärgert aufzufassen. Und Iris Wolff legte Wert darauf, im Publikum „auch die rumänischen Nachbarn meiner Großeltern“ zu begrüßen. „Von Angesicht zu Angesicht“ über Literatur zu sprechen, kann richtig einfach sein. Vor allem an einem Ort, wo sich Büchertitel wie „Und wenn du willst, vergiss“, „In der Sprache brennt noch Licht“ sowie „Kein Schweigen bleibt ungehört“ von Horst Samson und „Der Widerstand im Wort“ vom Mitglied des Rumänischen Schriftstellerverbands Carol Neustädter das Regal teilen.