Fresko der Wiener Society zur Jahrhundertwende

Ausstellung „Bewegte Ruhe vor dem Sturm“ in der Westuni

Temeswar – Eine andere Art Ausstellung, eine unkonventionelle, anlässlich des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs 1914 eröffneten das österreichische Honorarkonsulat in Temeswar, das österreichische Kulturforum, die Zentrale Universitätsbibliothek „Eugen Todoran“ sowie die Österreich-Bibliothek Temeswar in der Aula der Bibliothek. Der Titel „Bewegte Ruhe vor dem Sturm“ (Die Zeit vor 1914) dieser interessanten Wanderausstellung kündigt es an: Auf einem Dutzend Großtafeln wird ein breitgefächertes Fresko der österreichischen Gesellschaft, speziell der Wiener Society vom Ausklang des 19. Jahrhunderts bis zum Stichjahr 1914 veranschaulicht. Mit einem Schuss Nostalgie wird durch diese Belle Epoque geführt, die mit ihrem allgemeinen Optimismus und dem Glauben an eine bessere Zukunft weder etwas von Krieg und Zerstörung ahnte, noch davon wissen wollte. Es war die hoffnungsvolle, nach den großen Entdeckungen der Menschheit angebrochene Zeit, wie auch Vasile Docea, Direktor der Universitätsbibliothek , einführend betonte, die der schnellen Industrialisierung und Modernisierung, einer allgemeinen Öffnung der Gesellschaft, des Aufblühens von Kunst, Wissenschaften, Architektur und Musik. Diese Epoche barg aber auch mit den ersten großen sozialen Bewegungen, dem aufkommenden Antisemitismus und Nationalismus die gefährlichen Keime der folgenden Katastrophe. Reihum wird auf kennzeichnende Aspekte dieser Epoche eingegangen: „Nervöse Nerven“ veranschaulicht Medizin und Psychologie und die Krankheit der Zeit mit ihren großen Namen wie Sigmund Freud oder Alfred Adler. Die Literatur in einer Zeit „ohne Eigenschaften“ wird unter dem Titel „Eine Zeit wie ein Reitkamel“ beschrieben.

Es war die Zeit von Stefan Zweig, Franz Kafka, Robert Musil oder Arthur Schnitzler. Das Kapitel „Der Zeit ihre Kunst, der Kunst die Freiheit“ behandelt die Bestrebungen der Kunst im Kampf gegen den erwachenden Nationalismus, u. a. mit Gustav Klimt, Oskar Kokoschka oder Egon Schiele. Auch die Musik jener Epoche (Disonanzen mit Revolver?) hatte in Arnold Schönberg und Gustav Mahler wichtige Vorreiter. Die malerische Welt der Wiener Kaffeehäuser (Cafe Central oder Cafe Griensteidl) und literarischen Salons als kulturelles Netzwerk umschreibt eine nächste Tafel in Wort und Bild. Zur Moderne in der Architektur leisteten in dieser Zeit die Wiener Architekten  Otto Wagner und Adolf Loos einen bleibenden Beitrag. Das Ende der bisherigen Gesellschaftsordnung, so auch des Vielvölkerstaates, eine Zeit der Konfrontation zeigen der Feminismus und die Frauenbewegungen, der stärker werdende Nationalismus und Antisemitismus aber auch der ersten Friedensbewegungen wird auf weiteren Tafeln behandelt. Das Resümee aus heutiger Sicht „1914-2014: Ein Vergleich“ oder „Wie das beginnende 20. Jahrhundert bis heute unsere Zeit bestimmt“ macht den „vorläufigen“ Schlusspunkt dieser Schau aus.

Denn die Geschichte scheint sich zu wiederholen, uns einzuholen: Was Anfang des 20. Jahrhunderts die Vielvölkerstaaten waren, sind heute die Vielvölker-Metropolen, vom Telefon sind wir nun nach 100 Jahren  zwischen TV, Internet, Handy total vernetzt. Wenn Kaiser Franz Josef, ein notorischer Feind dieses Apparats, noch das Telefon in die Toilette verbannte, Franz Kafka in einem Brief an Milena das Telefon wegen „der Zerrüttung der Seele“ anklagte, so haben die Menschen unserer Zeit auch mit ihren eigenen großen Ängsten fertig zu werden: Die Angst vor der totalen Überwachung, der quälende Gedanke, nicht mit der Zeit mithalten zu können und die alte Angst vor dem allzu trügerischen Frieden. Die Ausstellung in der Aula der Universitätszentralbibliothek Temeswar ist noch bis zum 30. Oktober zu besichtigen.