Agnetheln - Nicht immer war es sicher, ob die Tradition des Urzellaufs in Agnetheln/Agnita wieder Fuß fasst. In diesem Jahr scheint es aber, als könne man mit einiger Gewissheit die Prognose abgeben: Ja, die Agnethler Rumänen haben die sächsische Tradition angenommen und führen sie mit eigenen Mitteln weiter, so wie am vergangenen Sonntag, als 196 Urzeln durch die Kleinstadt im Harbachtal/Valea Hârtibaciului zogen.
Unter Peitschenknallen und zu den Klängen der Neppendorfer H-Musikanten führte der Umzug von der Imex-Fabrik über die Hauptstraße bis zum Rathaus. Der Brauch, dessen Wurzeln bis in das 17. Jahrhundert zurück reichen, wurde einst von den Agnethler Handwerkszünften getragen. Daran erinnern bis heute die Traditionsfiguren der Agnethler Zünfte, die den Umzug begleiten: Vier Männer tragen die Zunftlade mit sich, der Hauptmann der Schusterzunft wird von zwei Engeln begleitet, die Kürschner führten ihre Kürschnerkrone mit den vier Füchsen mit begleitet von einem Bärentreiber mit Bär, die Schneider tragen ein kleines Holzpferdchen, auf dem allerdings in diesem Jahr das Kind fehlte, und ließen Mummerl und Schneiderrößl tanzen. Die Fassbinder waren durch gleich drei Nachwuchs-Reifenschwinger vertreten, deren erfahrenster sechs gefüllte Weingläser durch die Luft wirbelte.
Die Vorführungen der Zunftfiguren konnten die Zuschauer während des Zuges immer wieder bestaunen, dazu verteilten die Urzeln rund 10.000 Krapfen. Am Endpunkt des Umzuges auf dem Platz vor dem Rathaus, begrüßte „Zunftmeister“ bzw. die Urzel mit der Nummer 1, Bogdan Pătru, die Agnethler und Gäste aus anderen Ortschaften. Nach einem Jahr mit guten und schlechten Dingen, wolle man mit dem Brauch des Urzellaufs die bösen Geister austreiben. Deutschlehrer Pătru, der 2006 den nach der Wende eingegangenen, sächsischen Brauch wieder belebte und die neue Urzelzunft begründete, erinnerte an den geschichtlichen Hintergrund dieser Wintertradition. „Die kleinen, aber starken Handwerkszünfte haben dieser kleinen Marktstadt ihren Stempel aufgedrückt. In jedem Hof entlang der Hauptstraße existierte einmal eine Werkstatt“, sagte Pătru.
Die einst sächsischen Handwerker sind längst fortgezogen, heute wird der Brauch von den rumänischen Agnethlern getragen. „Es freut mich unheimlich, dass ganz viele junge Urzeln teilnehmen, angefangen von drei Jahren. Es sind ganz viele Kinder dieses Jahr, um die 60. Das gibt mir das Gefühl, dass der Urzelbrauch wirklich eine sichere Zukunft hat“, freute sich der mittlerweile in Deutschland lebende Pătru. Unter den Urzeln waren wie in den Vorjahren auch ausgewanderte Agnethler Sachsen sowie ein knappes Dutzend in der Heimat gebliebene. Einer der Letztgenannten ist Helmut Lerner, Kulturreferent des Demokratischen Forums der Deutschen in Hermannstadt/Sibiu. Dieser meinte in seinem Grußwort, dass sich der Urzellauf 2013 als ein kulturelles Erbe präsentiert, das nicht bei den Agnethler Veranstaltungen fehlen darf.
Nach dem die Zunftfiguren ein letztes Mal ihre Aufführungen zeigten, stimmte Pătru das Siebenbürgenlied an. Nahezu alle Urzeln stimmten den deutschen Text an. Dies sei so in der Urzelzunft beschlossen worden. Mit einem lauten Hiräii-Ruf löste sich der Umzug auf und in einzelnen Parten zogen die Teilnehmer weiter zu Freunden und Bekannten. Eine Parte stattete unter anderem dem evangelischen Pfarrer Reinhard Boltres einen Besuch ab. Zu Ende ging ein langer Tag dann am Abend beim traditionellen Urzelnball.