Hermannstadt – In meinem Rucksack landen eine lange Hose und zwei Jacken, eine davon gegen Regen. Es ist etwas zu kalt für August. Doch wie heißt es noch so schön: Es gibt kein schlechtes Wetter, es gibt nur falsche Kleidung. Es ist „Holzstock“-Wochenende und der letzte Bus des Tages soll mich und Florian nach Holzmengen/Hosman bringen. Das kleine Festival auf der hiesigen Kirchenburg findet in diesem Jahr bereits zum dritten Mal statt. Von der Hauptstraße müssen wir noch eineinhalb Kilometer zu Fuß bis zur Kirchenburg zurücklegen. Andreea, die mit uns im Bus saß, erzählt, dass sie am kommenden Tag die Schnitzeljagd organisieren wird. Das Holzstock-Festival ist schließlich nicht nur auf Musik begrenzt, es gibt verschiedene Workshops, eine Ausstellung und auch sportlich kann man sich beim Tischtennis betätigen. Als wir das Tor zum Hof des ehemaligen Pfarrhauses durchschreiten, legt bereits Kevin Wagner, ein junger DJ aus Schäßburg/Sighişoara, auf.
Eine der Campingflächen liegt am Hügel der Kirchenburg. Der Abhang ist steil. Morgen werden wir neben den improvisierten Stufen auch eine Wasserrutsche finden. Bevor die Konzerte beginnen, nutzen wir die letzten Sonnenstrahlen des Tages und bauen unser Zelt auf. Die erste Band des Abends sind „Die Klebrigen“, besser bekannt als „Lipicioşii“, eine Truppe, die sich aus Hermannstädter Theaterschauspielern zusammensetzt. Es folgen die Indie-Folk-Band „Moonfellas“ und die Lokalmatadoren „DOMINO“. Bei Ersteren überzeugt Csaba Szász an der Ukulele, bei Letzteren fehlt mir der letzte Funke Energie, der mich über das Wippen mit dem Fuß hinausbringt. Als Sergiu Boltoş auf die Bühne tritt, lassen wir den Abend schon am Lagerfeuer ausklingen. „Holzstock“ ist auch gemütliches Beisammensitzen.
Am nächsten Morgen hält es mich lange im Zelt. Erst um 11.30 Uhr wache ich auf, trotz Sonnenschein. Die ersten Workshops haben da schon angefangen und das kostenlose Frühstück ist bereits abgeräumt. Zu zweit schlendern wir über das Gelände, umrunden die Kirchenburg, schießen Fotos, schauen bei den verschiedenen Workshops vorbei und besichtigen die Ausstellung. Eine Gruppe Hermannstädter Künstler hat sich unter dem Titel „1990“ der Auswanderung der Sachsen angenommen, die, wie sie sagen, Dörfer ohne Identität hinterlassen haben. Einen ständigen Ausstellungsraum hat die Gruppe nicht. Häufig stellen sie in Bukarest aus, aber auch auf Kunstmessen oder in Privatwohnungen. Hier auf der Kirchenburg belegen sie ein Klassenzimmer und einen der Türme. In einem der anderen Räume hat sich Anamaria Sut ein kleines Atelier eingerichtet. Die freiberufliche Modedesignerin zeigt, wie sich alte Kleidungsstücke im Handumdrehen in individuelle Accessoires verwandeln lassen. Und passend zur Kleidung gibt Mădălina Panduru vom Verein Eticheta Handmade im Hof vor dem Pfarrhaus einen Kurs im Haareflechten. Viele Mädchen sind dort, als Träger einer Glatze fühle ich mich ein wenig fehl am Platz.
Beim Mittagessen treffen wir auf Andreea. Ihre Schnitzeljagd haben wir verschlafen, das sei allerdings halb so schlimm, denn die Aufgaben können wir jederzeit in Angriff nehmen. Mit der Aufgabenliste in der Hand ziehen wir also los. Den ältesten Bewohner des Dorfes müssen wir finden, ein Foto mit einem Pferdefuhrwerk machen und etwas über das pinke Haus in Erfahrung bringen. Bei vielen Fragen hilft uns Marius, der Lenker eines Pferdefuhrwerks. Dass sein Pferd Mischa heißt, lassen wir uns per Unterschrift bestätigen. Wäre Marius ein Gheorghe hätten wir einen Extrapunkt bekommen. Beim Sammeln von Blättern und Blumen helfen uns die Kinder, die wir durch unsere Kamera angelockt haben. Nach fast zwei Stunden und einem ausgedehnten Spaziergang durch Holzmengen kehren wir zurück. Nicht alle Aufgaben haben wir erfüllt. Einer Fremden ein Liebesgedicht vorzutragen, war uns beiden dann doch zu peinlich, trotz vorherigen Bierkonsums in der Dorfkneipe.
Auf dem Weg zum Zelt entdecken wir die Wasserrutsche. Mit einem mit Folie umwickelten Schaumstoffkissen stürzen wir uns den Hang hinunter. Ein Heidenspaß, der mit der Zeit immer mehr Leute anlockt. Nur wenige Meter daneben probt die österreichische Band Schmafu ein letztes Mal. Ihr Konzert beginnt mit der Abenddämmerung. Für dieses haben sie über 800 Kilometer Anfahrt in Kauf genommen. Vor beeindruckender Kulisse, die Bühne stand in diesem Jahr auf dem Hügel und nicht in der Scheune, im Hintergrund die Kirchenburg und zur rechten Seite das Fogarascher Gebirge, heizen die fünf Jungs dem Publikum mit Funk und Rap ein.
Einen noch weiteren Weg haben die Jungs und Mädchen von artischoque auf sich genommen „Über 3000 km, fünf Autos, zwölf Freunde, ein halb kaputter Bassist, drei Liter }uica, neun Instrumente, drei Sprachen, sechs Tage, unzählige neue Freunde, vier Länder und das alles für einen Gig am Holzstock-Festival“, so das Statement der Band. Die Einschätzung „Die Musik von artischoque ist nicht nur tanzbar. Sie ist unmöglich untanzbar!“ teilten auch die über 200 Festivalbesucher. Als dann zum Abschluss des Konzerts auch noch die Jungs von Schmafu auf die Bühne kommen, bebt die Kirchenburg. Ein würdiges Ende des Holzstock-Festivals 2016, dass eine Regenjacke nicht notwendig hatte und mit viel Sonne belohnt wurde.