Symphonischer Doppelpack vom Besten für Hermannstadt

Esa-Pekka Salonen und György Ligeti punkteten synästhetisch

Im Bundesjugendorchester weiß man, wie schwierig es ist, in Deutschland auch nur einen Studienplatz an einer der vielen Hochschulen für Musik zu erlangen, geschweige denn einen Arbeitsplatz in einem der über 100 Berufsorchester. Dennoch versprüht es Spielfreude und ungebremsten Qualitätsdrang. Foto: Klaus Philippi

Hermannstadt – Den Thalia-Saal erneut gemieden zu haben, ist für Dirigent Gabriel Bebe{elea und die kürzlich fünfte Auflage des von ihm gestalteten Musica Ricercata Festivals kein Manko. Denn für die acht Kontrabässe, fünf Pulte Celli, sechs Pulte Viola, sieben Pulte zweite und acht Pulte erste Violine starke Streicherbesetzung des Bundesjugendorchesters aus Deutschland wäre die Spielstätte und Bühne der Staatsphilharmonie Hermannstadt/Sibiu deutlich zu klein gewesen. Ausgewichen wurde nicht aus der Not heraus, sondern planmäßig in den Großen Saal des Radu-Stanca-Theaters, wo auch das einzige Berufsorchester der Stadt vor etwa 20 Jahren zeitweise Konzertquartier genommen hatte. Doch weder mit der spätromantisch tauglichen Mitgliederanzahl noch der Spielkultur des Paten-Ensembles der Berliner Philharmoniker für Begabte der Altersklasse von 14 bis 19 Jahren kann sich das durchschnittliche Orchester der Staatsphilharmonie Hermannstadt auf Augen- und Ohrenhöhe vergleichen lassen.Unter dem freundlich bestimmenden Dirigat von Clemens Schuldt strichen, bliesen und schlugen die Nachwuchs-Spitzenmusiker aus bundesdeutscher Orchesterlandschaft am Dienstagabend, dem 25. Juli und Vorschlusstag des Musica Ricercata Festivals, im Akkord um ihr Wunschberufsleben. Routiniert, doch nicht steif, und sehr flexibel, ohne den leitenden Händen ihres Tournee-Kapellmeisters durch Deutschland, das italienische Toblach, Rumänien und seine Nachbar-Republik Moldau zu entgleiten. Die für das Symphonische ungeeignet trockene Akustik des Radu-Stanca-Theaters konnte den finnischen Klangvorlieben von Jean Sibelius (1865-1957) und seiner 7. Sinfonie, der im März 2024 hundert Jahre seit ihrer Uraufführung bevorstehen, nichts anhaben. Wunderbar satt dunkel grundiert der kompakte Streicher-Klang, und Weltklasse-verdächtig die Leistung des jugendlichen Solo-Posaunisten, der sich einschließlich edel statt allein mit roher Gewalt gegen das Forte seiner Mitspielerinnen und Mitspieler zu behaupten vermochte, sobald es der Komponist, das Werk und der Maestro des Abends vom Chefpult aus einforderten. Und obwohl es nicht eigens für das Musica Ricercata Festival 2023 rund um die Biografie von Komponist sowie Synästhetiker György Ligeti (1923-2006) und seiner Zeit in das Programm aufgenommen worden war, passte das nicht nur dem Namen nach geheimnisvolle Auftragsstück „Ghost Machine“ für Akkordeon und Orchester von Schwede Daniel Nelson (Jahrgang 1965), ebenso Synästhetiker, wie gerufen unter die Vorgabe „Ligestezia“ von Musikforscher Gabriel Bebeșelea für die einwöchige Kulturveranstaltung an sieben Orten im zentralen Hermannstadt. Für die „magische Trickkiste“,  als die er sein Instrument gerne vorführt, sprach vom allerersten stufenlos beginnenden Ton an das solistische Zaubern von Martynas Levickis aus Litauen. Mit dem rapide zehn Minuten eilenden Renner „Helix“ (2005) von Esa-Pekka Salonen, einem unbändigen Beschleunigungs-Klangbild nach dem Muster von Kassenschlagern wie etwa der Dichtung „La Valse“ von Maurice Ravel, bewiesen Clemens Schuldt und die von ihm durch ihren Abend geführten Orchestermitglieder vorbildlich, dass perfekt sitzende Technik erst bei Mitnahme von Hintergrund-Wissen wirklichen Interpretationserfolg ermöglicht. Den einzigen Wackler hinnehmen musste das Bundesjugendorchester bloß auf halber Strecke des kapriziösen „Don Juan“ von Richard Strauss – der lang zu haltende und noch dazu im Notenmaterial mit „molto diminuendo“ versehene Pianissimo-Holzbläser-Akkord, der vom Schluss des Oboen-Solos in das kultige Helden-Thema der Horn-Gruppe überleitet, verweigerte sich im berüchtigt trockenen Radu-Stanca-Theater erheblich dem Zauberhaften der Handschrift von Sanguiniker Richard Strauss. Dass es dagegen im Mutterland des Bayreuther Grünen Hügels sowie des alpenländischen Nobelorts Garmisch beheimatet ist und daraus gleichermaßen sein Timbre schöpft, war dem Bundesjugendorchester in der Gangart durch Vollkraft-Passagen ungetrübt stolz anzumerken. Das perkussive Finale der symphonischen Rhapsodie von Mieczyslaw Weinberg (1919-1996) auf moldawische Themen, dem Publikum locker als  Zugabe und Hörprobe vom Können eines Komponisten jüdischer Herkunft geboten, fungierte als Visitenkarte für den verlockenden Mehrwert preußischer Arbeitshaltung. Schade, dass Hermannstadt den freien Eintritt zum Konzert nicht im Geringsten als Einladung auffasste, einem der besten Jugendorchester weltweit die Hütte im sonst oft ausgebuchten Radu-Stanca-Theater einzurennen. Es hätte volles Haus verdient gehabt.

Eine andere Art des Widerstands, diesmal wetterbedingt, hatte am finalen Mittwochabend, dem 26. Juli, auf dem Großen Ring/Pia]a Mare das von Gabriel Bebeșelea dirigierte Symphonieorchester der Staatsphilharmonie „Transilvania“ Klausenburg/Cluj-Napoca zu überwinden. Dank Bühnen-Zeltdach und Regenschirmen all seiner Zuhörer jedoch war es dem prestigeträchtigsten Ensemble gesamt Siebenbürgens ein Leichtes, mit der Ouvertüre in D-Dur von Carl Filtsch, der Ouvertüre zur Oper „Wieland der Schmied“ von Jan Levoslav Bella, der Achten Sinfonie Ludwig van Beethovens und dem „Concert românesc“ von György Ligeti zu überzeugen. Die Bedingungen des Gastspiels unter bedecktem Himmel waren nicht eben optimal, das Auftreten der Gäste aus Klausenburg hingegen ein waschechtes Qualitätszeugnis. Bestätigend und pünktlich zu György Ligeti überspannte ein Regenbogen den Platz: das Motto „Privește sunetul, ascultă culoarea!“ (Schaue den Klang, höre die Farbe!) brauchte nicht als eine Zufallsentscheidung verteidigt zu werden.