„Traumata entstehen in unserer Gegenwart tagtäglich neu“

Konsulin der Bundesrepublik Deutschland in Hermannstadt Kerstin Ursula Jahn bei ihrer Rede auf dem Soldatenfriedhof. Foto: Aurelia Brecht

Hermannstadt – Auch in diesem Jahr organisierte das Konsulat der Bundesrepublik Deutschland in Hermannstadt ein Gedenken und eine Kranzniederlegung gemeinsam mit der Nicolae-Bălcescu-Bodentruppenakademie Hermannstadt auf dem deutsch-rumänischen Soldatenfriedhof. Anwesend waren zu diesem Anlass Vertreter der rumänisch-orthodoxen Kirche, der katholischen Kirche, der reformierten Kirche sowie der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien.

Das Gedenken fand auf dem Hermannstädter Heldenfriedhof/Cimitirul Eroilor și Veteranilor de Război statt. Am Volkstrauertrag wird in der Bundesrepublik Deutschland traditionell der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft gedacht.
In ihrer Rede wies Konsulin Kerstin Ursula Jahn eingangs auf die Gedenkstunde hin, die kürzlich im deutschen Bundestag in Anwesenheit des rumänischen Staatspräsidenten Klaus Johannis stattgefunden hatte. Sie stand unter dem Motto „Die Erinnerung an die nächste Generation weitergeben“. Im weiteren Verlauf umriss Konsulin Jahn persönliche Erinnerungen aus ihrer eigenen Familiengeschichte, die exemplarisch für erlittenes Leid in Kriegszeiten stehen:

„Am 4. Dezember 1943 um vier Uhr morgens endete die Kindheit meiner damals zehnjährigen Mutter, als in der vierten Etage eines großbürgerlichen Hauses in Leipzig eine Phosphorbombe im Schlafzimmer ihrer Eltern explodierte. Zwar überlebten die Familienmitglieder diesen Angriff, das Zuhause war jedoch verloren, die Familie für immer auseinandergerissen, dem kleinen Mädchen widerfuhr Unaussprechliches. Die Eltern erlebten das Kriegsende beide nicht: die Mutter starb wenige Monate nach dem Bombenangriff, der Vater überlebte die von den Nazis befohlene Räumung des KZs Neuengamme bei Hamburg nicht, in das er gesteckt worden war, weil er versucht hatte, die Rechte und Würde einstiger Geschäftsfreunde jüdischen Glaubens zu verteidigen. Die zerfetzte Kindheit meiner Mutter bestimmte ihr Leben und das ihrer Kinder und Enkel. Auch ich bin auf immer davon geprägt.“

Nach Kriegsende habe sich der Blick am Volkstrauertag oft ausschließlich in diese schreckliche Vergangenheit gerichtet: Zeitzeugen hätten sich immer wieder aufs Neue dazu überwunden ihre Erinnerungen zu teilen, im Sinne eines scheinbar „von allen Seiten gewollten ‘Nie wieder’“. In Europa habe man lange geglaubt, dass der Frieden nicht mehr in Frage gestellt werden würde. Leider gelte das heute nicht mehr.

„Deutsche und rumänische junge Menschen berichteten während der offiziellen Feierstunde im Bundestag am vergangenen Sonntag von Freizeiten des Volksbundes der deutschen Kriegsgräberfürsorge, die sie mit Jugendlichen aus der Ukraine verbrachten“, so Jahn weiter. So gebe es bei den Jugendlichen der Ukraine heute wieder aktuelle Kriegserfahrungen: „Traumata, wie die meiner Mutter, die das Leben mehrerer Generationen bestimmen, entstehen in unserer Gegenwart tagtäglich neu.“
Am Ende ihrer Rede ging Konsulin Jahn auf die Rede des rumänischen Staatspräsidenten im deutschen Bundestag ein, in der er daran erinnerte, dass die EU das Ergebnis der Versöhnung der europäischen Nationen nach Jahrhunderten von Kriegen sei und ihre Kritiker die Feinde von Demokratie und Freiheit seien. Weiter sagte Johannis, diktatorische Regime stützten sich auf das Prinzip, dass eine Lüge, die oft genug erzählt werde, zur Wahrheit werde.

„Es gilt, nicht müde zu werden, sich diesen Lügen entgegenzustellen, ob sie nun außerhalb oder innerhalb unserer Demokratien erzählt werden. Aus Respekt gegenüber den Opfern der Kriege der Vergangenheit“, schloss Konsulin Jahn.