ADZ-Reihe Wertvolle Jugendbücher: Das Rauschen des Meeres

„Ins Paradies?“ Iris Lemanczyk Horlemann-Verlag, ausgeliehen in der Bibliothek des Goethe-Instituts Bukarest, Calea Dorobanți 32/Pavilion, www.goethe.de/bukarest

Noch nie hatte Adnan solche Angst gehabt: Allein, ohne seine Familie, in einem übervollen Flüchtlingsboot auf hoher See, und dann fällt auch noch der Motor aus. Bestimmt haben sie das gewusst, diese Halsabschneider von Schlepper! Und statt der versprochenen vier sind nur zwei Ruder an Bord. Lampedusa – in welcher Richtung liegt das? Immer noch kein Land in Sicht. Der Wellengang wird wieder stärker und die Flüchtlinge müssen mit den Händen Wasser aus dem Boot schaufeln, nur noch eine Handbreit trennt den Rand von der Meeresoberfläche...
Adnan wäre – wie viele andere - schon am Hafen am liebsten umgekehrt! So ein Haufen Menschen für so eine Nussschale! Doch wovon hätte er die schon bezahlten 1000 Euro zurückzahlen sollen, die Onkel Sami für seine Flucht geliehen hatte? Und wie soll es mit seiner Familie weitergehen, wenn nicht wenigstens einer Geld verdient? Adnan hatte es versucht: als Mechanikergehilfe, als Marktverkäufer, sogar Schuhputzer wäre er geworden… niemand hatte Arbeit für ihn. Nicht für ihn und auch nicht für seine Mutter, seit nicht mehr so viele Touristen auf die tunesische Insel Djerba kamen. Davor hatte sie in einem Viersternehotel als Zimmermädchen gearbeitet. Und der Vater als Töpfer, doch seit seinem Unfall – auf einer Demonstration erhielt er einen Schlag auf den Kopf – sitzt er nur noch lächelnd da wie ein großes Kind. Adnan vermisst seinen Vater, der immer wusste was zu tun war. Eines Tages sagte Onkel Sami dann zu Adnans Mutter: Er soll arbeiten, mit fast 14 ist er doch schon ein Mann! Nach Frankreich solle er sich durchschlagen und  der Familie Geld schicken. Nicht nur, dass Adnan keine Ahnung hat, wie er das schaffen soll – und schon jetzt plagt ihn das Heimweh!

Manche Europäer meinen, für Flüchtlinge, die aus solch schwierigen Verhältnisse kommen, müsste Europa doch das Paradies sein. Für Adnan aber liegt das Paradies in einer Bucht am Meer von Midoun, bei seinen Freunden Rahid und Nour, oder bei seiner kleinen Schwester Maya, der er vorlügt, er mache jetzt einen langen, langen Ausflug…

 Der „Ausflug“ führt ihn von Tunesien auf  Lampedusa, über Italien nach Deutschland, beschert ihm Dhura, seine kleine äthiopische Reisegefährtin, viele Gefahren und winzige Glücksmomente, Helfer, Halsabschneider und Betrüger. Am schlimmstens aber findet er die vielen Abschiede...

Am Ende wartet dann zwar nicht das Paradies, nicht einmal das kleine Glück, aber Dhura, die es auch geschafft hat, kann er wiederfinden und ein Spaziergang mit Rafik aus der Inobhutnahme beschert ihm zumindest einen kleinen Lichtblick auf die Zukunft.

Das mitreißende Buch von Iris Lemanczyk räumt gründlich auf mit dem Aburteilen von Wirtschafts- vor Kriegsflüchtlingen: Wo man nicht überleben kann, kann man nicht bleiben, so sehr man es sich auch wünscht.


Im Garten des Inobhutnahme-Heims für minderjährige Flüchtlinge: „...fiel Adnan der große Sandkasten auf, er sprang auf, zog seine Schuhe aus und ging kreuz und quer durch den Sand. Automatisch suchte er mit seinen nackten Füßen nach einem flachen Kiesel, den er ins Meer hätte ditschen können. Es war zwar weit und breit kein Meer, doch Adnan schloss die Augen, fühlte den Sand unter seinen Füßen und hörte das Rauschen. Es war nur das Rauschen des Verkehrs, doch er stellte sich vor, das Rauschen des Meeres zu hören.“


Die monatliche ADZ-Reihe „Wertvolle Jugendbücher“ möchte Kinder und Jugendliche zum Lesen in deutscher Sprache anregen. Die Bücher sind in den deutschsprachigen Bibliotheken des Goethe-Instituts auszuleihen.