Bärtierchen auf dem Mond

Was den Amerikanern nicht gelang,versuchen jetzt die Chinesen: die Suche nach intelligentem Leben im All. Denn allein aus statistischen Gründen sollte es sie geben, die kleinen grünen Männchen mit den Antennen auf dem Kopf, oder wie immer sie auch aussehen mögen. Unser Planet ist beileibe nicht der einzige mit lebensfreundlichen Bedingungen, und genauso wie man ausrechnen kann, wie lange ein Affe braucht, bis er durch zufallsmäßiges Tippen erste Botschaften geschrieben hat, kann man die Entstehungsdauer menschlichen Lebens aus der Ursuppe mit dem Alter des Universums samt materiellem Inhalt in Beziehung setzen und kommt unweigerlich zu dem Schluss, dass es nur so wimmeln muss von intelligentem Leben in diesem Kosmos.

In TV-Filmen kommen Außerirdische manchmal hässlich zerfurcht wie Klingonen daher, oder mit spitzen Ohren wie der sympathische, leider zu menschlichen Gefühlen unfähige Mister Spock. Immer haben sie zwei Arme, zwei Beine, ein Gesicht. Sie sehen und hören – oh Wunder – im gleichen Frequenzbereich wie wir. Wie phantasielos.

Ganz anders die Natur: Gucken wir uns doch mal um, welche Vielfalt sie uns alleine auf diesem Planeten vorsetzt! Und wie schwierig es wäre, mit diesen „irdischen Aliens“ zu kommunizieren. Nehmen wir als Beispiel das Bärtierchen (Tardigrada). Nur unter dem Mikroskop zu erkennen, sieht es tatsächlich aus wie ein niedliches, wenn auch etwas komisches Bärchen – Schnäuzchen, acht Beinchen mit Krallen dran, ein Leib, so drall wie das Michelin-Männchen.

Der Winzling hat es in sich: Das Bärtierchen, so die Wissenschaft, lebt seit 600 Millionen Jahren auf der Erde – 400 Millionen vor den Dinosauriern. Weltweit gibt es 1300 verschiedene Arten davon. Überleben kann es bei Temperaturen von kochendem Wasser bis zum absoluten Nullpunkt. Wird ihm das Umfeld dennoch zu unwirtlich, rollt es sich zu einer festen Kugel zusammen und kann so 30 Jahre lang ohne Futter und Wasser auskommen. Das Bärtierchen hält den sechsfachen Druck der tiefsten Ozeanspalten aus – und das Vakuum des Weltraums. Ein besonderes Protein schützt seinen Panzer vor radioaktiver Strahlung. Dafür muss es sich häuten, wenn es wachsen will. Bärtierchen gibt es in der Wüste und im Ozean, am liebsten aber haben sie feuchtes Moos, daher auch ihr Spitzname „Moos-Schweinchen“. Bärtierchen können sich asexuell oder sexuell fortpflanzen. Letzteres geschieht in einem mehrere Stunden dauernden Geschlechtsakt. Oder aber das Weibchen häutet sich rasch, legt die Eier in den leeren Panzer, überlässt diesen dem Männchen und macht sich aus dem Staub.

Das unzerstörbarste Lebewesen der Erde hat mittlerweile möglicherweise auch den Weltraum erobert: Laut „National Geographic“ soll das im April 2019 am Mond zerschellte israelische Landegerät „Beresheet“ Tausende Bärtierchen an Bord gehabt haben. Sie könnten dort überlebt haben!

Ein noch wenig erforschtes Habitat von Bärtierchen sind Gletschermäuse – auch so ein Beispiel für irdische „Aliens“, diesmal keine Tiere, sondern Pflanzen. Genaugenommen schwammige Bällchen, die aus verschiedenen Moosen bestehen und sich unter bestimmten Bedingungen in Gruppen über vereiste Gletscher bewegen. Welche Kraft sie zum Rollen bringt, ist der Wissenschaft noch ein Rätsel. Sie tun dies ganz langsam, wenige Zentimeter pro Tag, und keinesfalls nur bergab oder der Sonnenstrahlung folgend. Kürzlich fand man heraus, dass ihre Bewegungen koordiniert sind – ein Feld voller Gletschermäuse verhält sich wie eine Herde. Richtung und Geschwindigkeit stimmen die Moosbällchen irgendwie untereinander ab.

Oder nehmen wir als Beispiel die Staatsqualle (Siphonophora), eigentlich ein Stock aus Nesseltieren, die im Konglomerat hochspezialisierte Aufgaben, ähnlich wie Organe, übernehmen. Die längste Staatsqualle – fast 120 Meter – wurde unlängst in der australischen Tiefsee entdeckt. Sie sorgte nicht nur als längstes Tier der Welt für Schlagzeilen, sondern zeigt auch bisher unbekannte Verhaltensmuster: aktive Jagd. Bisher war nur bekannt, dass Staatsquallen mit ihren Tentakeln rotes Licht aussenden, das offenbar Beutefische anlocken soll.

Wie phantastisch ist doch die Erde! Leider treten wir sie im Wettlauf nach immer mehr Komfort und neuem technischem Spielzeug allzu schnöde mit Füßen. Und glauben, dass uns das Universum in seinem grenzenlosen Humor Außerirdische mit Köpfen, Augen und Ohren, Sprache und säugetierartigen Gefühlen vorsetzt, die nichts Besseres zu tun haben, als in den Weltraum vorzudringen, auf der Suche nach Kommunikation. Im schlimmsten Fall, um zu erobern und zu besiegen. Im besten Fall, um uns liebevoll unter ihre Fittiche zu nehmen und uns über unsere grenzenlose Beschränktheit hinwegzuhelfen. Wenn sie denn können. Vielleicht aber sind wir für sie genauso „alien“ wie für uns Bärtierchen, Gletschermäuse und Staatsquallen.