Bleibt es stets ein „Erasmussemester in Corona-Zeiten“?

Pauline Haak aus Deutschland hat im vergangenen Wintersemester in Klausenburg studiert

Pauline Haak am Ufer des Kleinen Somesch
Foto: privat

Pauline Haak aus Dresden studiert Geschichte und Südosteuropastudien in Jena, das vergangene Wintersemester hat sie im Zuge des Erasmus-Programms an der Babe{-Bolyai-Universität Klausenburg verbracht. Im Interview mit ADZ-Redakteurin Veronika Zwing erzählt sie von ihrer Beziehung zu Rumänien, ihren Erfahrungen mit dem Universitätssystem und dem Leben als Erasmus-Studentin während der Pandemie.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ausgerechnet nach Rumänien zu kommen?

Das war eigentlich eine sehr logische Entscheidung – ich habe mein freiwilliges soziales Jahr, eher zufällig, in Temeswar absolviert und bin dann zurück in Deutschland in der Uniwelt in die rumänische Bubble gekommen, in meinem Modulplan sind auch rumänische Kulturstudien. Und ich finde, dass ein Studium stets auch Begegnung und eine Auseinandersetzung vor Ort und in verschiedenen Sphären erfordert.

Deswegen war es für mich eine logische Entscheidung, die meisten anderen Erasmus-Leute in Klausenburg hatten aber keinen Bezug, bis auf ein paar Ausnahmen. Eine Freundin etwa kommt aus der zweiten Generation von rumänischen Emigranten in Italien und hatte eine sehr belastete Beziehung zu ihrer „Muttersprache“. Auch kenne ich einige ungarische Erasmus-Studierende, die einen weniger westeuropäischen Blick auf Rumänien hatten als ich.

Damit haben Sie in bereits zwei rumänischen Städten gelebt – wie unterscheiden sich die beiden Ihrer Meinung nach?

Cluj, Kolozsvár oder Klausenburg ist sehr ungarisch und vor allem sehr international geprägt – irgendwie ein buntes Fleckchen. Ich fand Timi{oara idyllischer, viel flacher und windiger und weniger mit Verkehr verstopft, vielleicht auch architektonisch homogener und wirklich sehr wienerisch, aber auch provinziell, klassisch und weniger progressiv. Die Spuren der Revolution sind in der Stadt deutlich zu sehen und natürlich auch der deutsche Einfluss der Banater Schwaben und vieler anderer Minderheiten aus Bulgarien, Serbien oder der Slowakei und Ungarn, aber in Cluj weht ein viel frischerer Wind.

Neben der UBB wird auch auf Ungarisch an der  Sapientia Hungarian University of Transylvania studiert und die Kunstwelt ist deutlich besser vernetzt und somit auch aktivistischer als in Timișoara, wo es nicht so viele Begegnungspunkte und Fördermöglichkeiten gab, und – das spielt wohl eine entscheidende Rolle – nicht so viel Geld.

Hat sich Ihr Bild von Rumänien durch den zweiten Aufenthalt verändert?

Auf jeden Fall! Das Rumänien in Cluj ist für mich auch zu einem Land geworden, aus dem Leute nicht nur emigrieren wollen, sondern auch bleiben oder hinmöchten. Es war durch das Umfeld, in dem ich mich bewegt habe, ein junges und verblüffend offenes Rumänien. Cluj ist auch eine Stadt, die es mir als Fremden leicht gemacht hat, nicht so erschöpfend und anstrengend wie Bukarest oder so verschlafen oder spießig wie kleinere Städte, sondern progressiv und gemütlich zugleich.  Aber man sieht auch, wie oberflächlich dieser Blick ist, wenn man sich in infrastrukturell prekären Siedlungen wie Flore{ti und Apahida bewegt, oder sich den Slum in Pata Rât vor Augen führt. In der Hinsicht habe ich festgestellt, dass ich einfach keinen Zugang zu diesem Thema habe.

Man muss, denke ich, nur wissen, dass viele Menschen migrieren, weil es immer noch besser ist, in Deutschland ausgebeutet zu werden als in Rumänien. Das ist jetzt salopp gesagt, aber für mich ergibt das ein sehr konsistentes Bild. Und ich habe auch gelernt, dass die Leute diese Ungerechtigkeit auch durchaus politisch reflektieren – auch wenn sie sich dem Teufelskreis nicht entziehen können.

Cluj ist aber auch eine Ausnahmestadt in Rumänien. Wenn ich für einige Tage weggefahren bin, in die Hauptstadt oder das ländliche Rumänien, habe ich erst gespürt, dass der Charme dieser Stadt ein anderer ist, als ich ihn von Timi{oara oder Bukarest kenne, und dass das Einkommensniveau deutlich gehoben ist. Leider ist Cluj keine Stadt für alle: Sondern eben ein wirtschaftlich geprägter Ballungsraum. Ländliche Perspektiven auf Rumänien konnte ich nicht entwickeln, leider.

Wie hat sich die Pandemie bemerkbar gemacht – Wohnheim, Unterricht, Sozialleben…?

Ende September war die Straße mit feiernden Studis und lauter Musik gefüllt. Aber tatsächlich war das relativ bald vorbei und man konnte es der Stadt ansehen, dass viele wieder nach Hause gegangen sind. Im Wohnheim waren Besucher und Besucherinnen komplett verboten, manchmal hat früh morgens um sieben  die Polizei an die Tür gehämmert und die Zimmer kontrolliert. Ich konnte auch  immer in das Jungswohnheim reinschauen: Da lagen fünf Typen in einem Raum, die Betten wie Zeltlager nebeneinander, und starrten auf die Telefone. Aber vor den Häusern war dafür immer was los – in Slippern und knielanger Jogginghose ging es vor die Tür auf eine Zigarette.

Ich hatte ein einziges Geschichts-Seminar in Präsenz und habe dieses auch sehr genossen. Aber auf der anderen Seite waren viele der Online-Veranstaltungen sehr müßig: Weil Dozierende zu Monologen neigen und es sowieso wenig Interaktivität und Debatte gibt. Besonders bei Kommilitonen und Kommilitoninnen der Kunstwissenschaften hatte ich das Gefühl, dass das Bild des allwissenden Professors sehr tief verwurzelt ist.

Klausenburg ist ja bekannt für sein reiches Kulturangebot – haben Sie zumindest ein bisschen davon nutzen können?

Auf jeden Fall! Ich war selten so oft im Kino wie hier im Cinema-Arta oder dem Victoria-Kino – auch Filmfestivals gab es viele. Das Planetarium, mein liebster ungarischer Pub, das mysteriöse gemütliche Kaffeehaus Doamna T und das Café Koffer waren die Orte, wo ich mich sehr wohlgefühlt habe. Auch das rumänische Theater und die ungarische Oper waren offen, und als ich angekommen bin, auch noch das Tranzit House und der Reaktor. Gerade was Sprechtheater angeht und die jungen Künste wie Film ist Cluj super progressiv und es gibt viel Nischen- und Subkultur – dort habe ich viel entdeckt, unter anderem die ungarische Künstlerin Veronika Harcsa, die Gedichte von Lajos Kassák mit Jazz-Musik vertont.

Wie fanden Sie die rumänischen Corona-Schutzmaßnahme im Vergleich mit Deutschland?

Ich bin damals nach Cluj gekommen, weil die Universität ein Präsenzsemester angekündigt hat – was aus heutiger Perspektive sehr kurz gedacht war. Ich glaube, alle meine studierenden Mitmenschen hatten das Gefühl, dass sich Corona wie so ein „roter Faden“ durch Erasmus zieht, es bleibt stets ein „Erasmussemester in Corona-Zeiten“.

Trotz zeitweiliger Ausgangssperren im Herbst erfolgten eigentlich keine rigorosen Maßnahmen – auch als die Intensivstationen voll waren und man jeden Tag mehr Covid-Tote zählte in den Nachrichten. Das war furchtbar surreal und unverständlich und zeigt, wie handlungsunfähig die Politik war. Ich weiß auch, dass sich viele Menschen sehr unsicher gefühlt haben und auch Mitstudierende in den ersten Wochen sofort nach Deutschland oder andere EU-Staaten zurückgereist sind, weil keine Maßnahmen ergriffen wurden.

Wie war das Leben im Studiheim – man hört ja immer wieder schlimme Geschichten über die Zustände dort?

Ich mochte das Konzept Studiheim: Dass man nie allein war – und ich denke, in größeren Gruppen, auch rücksichtsvoller gewesen wäre. Unselbstständigkeit und Bemutterung werden gefördert: Man bekommt die Wäsche für sieben Lei sogar gewaschen, getrocknet und nach zu viel Weichspüler riechend zusammengefaltet. Ich kenne aber wenige Menschen die so ungesund leben wie rumänische Studierende: Da wird viel geraucht, im oder vor dem Wohnheim, und eigentlich auch nicht viel mehr gekocht, als dass man sich Cantina-Essen oder Cartofi praji]i warm macht – manchmal krabbelt dann eine friedfertige Kakerlake an einem vorbei. Und man ist tatsächlich nie allein. Nicht nur aufgrund von Corona-Regeln sitzt hier in jedem Wohnheim-Eingang ein Herr, der Administrator, Aufpasser, Caretaker,…. was auch immer: Er sitzt die ganze Zeit dort in 18-Stunden-Schichten, isst Suppe, und lästert mit den Putzfrauen über die Studierenden.
Auf jeden Fall sträuben sich einem die Haare, wenn man an Nachhaltigkeit denkt, denn in den meisten Wohnheimen gibt es nur die „Centrală“ und man heizt bei offenem Fenster: Ich hatte also stets warme Füße, aber frische Luft im Gesicht. Eine Bekannte hat im mittlerweile berühmt-berüchtigten Caminul 3 gewohnt: dort gab es einen schlimmen Übergriff, als Studenten die Gardinen in den gemeinsamen Duschkabinen weggezogen und die duschenden Studentinnen gefilmt hatten.  

Wie fanden Sie die Uni und den Unterricht hier, im Vergleich mit der Uni in Jena?

Die Babeș-Bolyai-Universität bietet all ihren Erasmusstudierenden einen Rumänisch-Kurs an, entsprechend dem eigenen Sprachniveau, den man unbedingt machen sollte – übrigens hat die Ubb auch im ganzen Land die einzige Fakultät, die einen eigenen Lehrstuhl und ganzen Master für die Lehre von Rumänisch als Fremdsprache innehat.

Das sollte man unbedingt nutzen – allgemein hatte ich das Gefühl, dass die Lehre der Linguistik auf einem sehr hohen und anspruchsvollen Niveau stattfindet und dort hohe Standards gefordert werden – das kenne ich aus Deutschland zum Teil anders. In den Geisteswissenschaften, in meinem Fall Literatur- und Geschichtswissenschaft, bietet das verschulte System dabei zwar die Möglichkeit, viel Wissen zu vermitteln, allerdings bekommt man kaum Zugang zu vertiefender Literatur und vor allem die Vermittlung und praktische Ausübung wissenschaftlicher Methoden habe ich kaum erlebt – und das lernen viele Studierende auch nicht bis zum Ende des Studiums.

Für mich, die doch „undercover“ meine Umgebung und eben auch die akademische Landschaft etwas näher betrachten wollte, war das alles aber trotzdem spannend und natürlich hat dieses System auch seine Wurzeln und sicher auch Vorteile. Für die Studierenden bringt es aber größtenteils viel Stress, eine enge und volle Prüfungszeit und viel Unzufriedenheit.

Was hat Ihnen besonders gefallen in Cluj, und was fanden Sie besonders schlimm?

Was mich wirklich stört, ist die Exklusivität von Cluj und die Tatsache, dass internationale Studierende, auch deutsche Medizinstudierende, ihr Schnäppchenstudium für 6000 Euro im Jahr machen und am Ende die Wohnungen für andere unbezahlbar werden. Dass dieser Reichtum sich am Ende gar nicht auf die Lebensbedingungen der Menschen auswirkt – zumindest nicht auf die der Masse.

Besonders „niedlich“ fand ich in meiner Rumänienzeit die kleinen Rituale und Verhaltensweisen oder Absonderlichkeiten – aus meiner Perspektive: dass wirklich in jedem Museum eine Puppe mit rumänischer Bauerntracht steht, ein Orangensaft als „Fresh“ bezeichnet wird und diese kleinen Allianzen des Widerstands, die aus der Zeit gefallen wirken: Unser Hausmeister im Studienwohnheim, der mit dem Pinsel einen dünnen kniehohen Zaun streicht, der Grasfläche und Parkplatz trennt. Drei Tage lang bewegt er den Malerpinsel auf und ab bei beißender Kälte und mustert die vorbeilaufenden Studierenden argwöhnisch.

Am wichtigsten sind aber immer die Leute, die man trifft – und es kommt mir so vor, als würde ich viele schon sehr lange kennen. Das ist etwas Besonderes und ich glaube, man muss sehr dankbar sein, dass man trotz allem so zueinander gefunden hat.

Ich wollte wirklich unbedingt einen Einblick in das Leben der rumänischen Studierenden bekommen und bin dann aus Versehen durch einen ungarischen Kontakt in die ungarische Community reingerutscht, und das war sehr spannend. Die junge ungarische Gemeinde in Kolozsvár ist klein und bunt und hat tatsächlich auch einige Studierende aus Ungarn selbst und aus dem serbischen Teil der Vojvodina. Gerade wenn dieser Punkt politisch und akademisch zusammen mit der ungarischen nationalistischen Kulturpolitik zusammenfällt, habe ich im Alltag viel Offenheit und künstlerische Zusammenarbeit erlebt.

Die Leute in Cluj identifizieren sich meiner Erfahrung nach viel stärker lokalpatriotisch als Transilvanier und Transilvanerinnen: Rumänien und Ungarn sind dabei eher sprachliche Identitätsmerkmale – zumindest aus meiner Perspektive. Und das ist sehr cool!