Dankbar, Rumänien als engen Freund und Partner zur Seite zu haben

Interview mit dem deutschen Botschafter Dr. Peer Gebauer zum Tag der Deutschen Einheit

Der Tag der Deutschen Einheit sei für ihn immer ein Anlass für Dankbarkeit, so der deutsche Botschafter in Bukarest, Dr. Peer Gebauer. Dankbarkeit dafür, dass es 1989 gelungen ist, den Eisernen Vorhang zu Fall zu bringen und die Berliner Mauer einzureißen. Dass sich Menschen aus kommunistischen Diktaturen befreien konnten - so auch in Rumänien. Ein wenig wehmütig denkt er an die Zeit zurück, als man dachte, es sei nicht mehr notwendig, Demokratie zu verteidigen oder sich gar mit militärischen Mitteln wehren zu müssen. Die russische Aggression hat uns das Gegenteil gelehrt. „Doch dafür sind wir heute geeint in Europa – und damit auch stärker, diese Herausforderungen gemeinsam zu bewältigen“, erklärt er im Gespräch mit ADZ-Chefredakteurin Nina May zum bereits traditionellen Interview zum 3. Oktober.

Mit dem 3. Oktober wird auch der Sieg der Demokratie gefeiert, doch sehe ich mit Besorgnis das Erstarken antidemokratischer Kräfte in europäischen Ländern. Auch in Deutschland hat die AfD stark an Zulauf gewonnen, 76 Prozent der Deutschen sehen darin eine Bedrohung der Demokratie. Wie schätzen Sie diese Gefahr für Europa ein?

In der Tat, das Erstarken rechtspopulistischer Parteien in Deutschland, Rumänien und anderen Ländern muss uns zu denken geben. Zugleich ist es wichtig, zu betonen, dass weiterhin der ganz große Teil der Wählerschaft für demokratische Parteien verschiedener Färbung stimmt.

In Deutschland ist gerade Migration ein großes Thema, alle Parteien der demokratischen Mitte treten nun für Anpassungen ein. Es ist aber, so meine ich, ein Zeichen von Stärke in einer Demokratie, wenn Parteien in der Lage sind, sich zu verändern und veränderten Bedingungen Rechnung tragen. Deswegen sehe ich mit Blick auf die Wahrhaftigkeit unserer Demokratien nicht schwarz, sondern glaube fest an ihre Stärke.  

Deutschland hat vor dem Hintergrund der jüngsten Terroranschläge und Bedrohungen durch islamistische Migranten kürzlich wieder Grenzkontrollen eingeführt. Rechtsextremisten machen Druck. Könnten andere EU-Länder nachziehen?

Erstmal ist es eine ganz große Errungenschaft, dass es uns gelungen ist, die Reform des gemeinsamen europäischen Asylsystems (GEAS) zu realisieren. Das ist ein großes Gesetzespaket aus verschiedenen Einzelvorschriften. Ziel ist es, diese Herausforderung der irregulären Migration in Gesamteuropa gemeinsam zu adressieren. Ich glaube, das, was da beschlossen wurde, war notwendig und wird auch einen Unterschied machen.

Zusätzlich erleben wir in Deutschland eine Debatte über ergänzende weiterführende Maßnahmen, um irreguläre Migration zu begrenzen, auch mit Blick auf die Sicherheitslage. Ich halte es für eine Stärke unserer Demokratie, wenn Parteien über politische Lager hinweg zusammenkommen und über Lösungen sprechen, die man dann gemeinsam beschließt.

Das Thema wird auch in anderen Ländern sehr intensiv diskutiert und hat auch dort zur Anpassung der Migrationspolitik geführt.

Könnte dies Auswirkungen haben auf Rumäniens angestrebten Voll-Schengenbeitritt?

Deutschland unterstützt nach wie vor vorbehaltlos die Vollmitgliedschaft Rumäniens und Bulgariens im Schengen-Raum und den zeitnahen Wegfall auch der Landgrenzkontrollen, weil wir überzeugt sind, dass das auch im Interesse von Deutschland und Europa ist. Die Debatte, die derzeit in Deutschland läuft, bezieht sich gar nicht auf Rumänien. Es geht da-rum, die Landesgrenzen Deutschlands stärker zu überwachen, um insbesondere auch gegen Schleuserkriminalität besser vorgehen zu können. Davon ist das Schengen-Thema zwar berührt, aber mit Blick auf die Schengen-Mitgliedschaft Rumäniens und den Wegfall auch der Kontrollen an den Landgrenzen sehe ich keine Änderung.

Im letzten Jahr haben Sie eine Intensivierung der bilateralen Kooperation festgestellt. Wie hat sich die Fortsetzung in diesem Jahr gestaltet, was konnte konkretisiert werden?
Es ist erfreulich, dass auch in diesem Jahr die Besuchsdichte nicht nachgelassen hat. Im März hatte die Europäische Volkspartei ihren großen Parteikongress in Bukarest, mit Ursula von der Leyen und Friedrich Merz, im April waren Bundeskanzler Olaf Scholz und Innenministerin Nancy Faeser hier. Das zeigt, dass Deutschland weiterhin großes Interesse hat, sich eng mit Rumänien abzustimmen und dass es für deutsche Politiker - vielleicht anders als vor zehn Jahren - eine Selbstverständlichkeit geworden ist, nach Rumänien zu kommen und als EU- und NATO-Partner aufs Engste zu kooperieren.

Als die Innenministerin da war, gab es zum Beispiel Absprachen zur Zusammenarbeit bei der Katastrophenvorsorge, aber auch zu Migration. Bundeskanzler Scholz und Premierminister Ciolacu haben sich intensiv über die Vertiefung der wirtschaftlichen Kooperation, vor allem zu Energie und Rüstung, ausgetauscht. Für uns ist es im Moment wichtig, dass wir diese Beziehungen auch strukturell verfestigen, so dass es gar nicht mehr darauf ankommt, wer wann kommt, dass wir also Gesprächsformate auch unabhängig von Personen und Regierungen etablieren.

Sie meinen feste Arbeitsgruppen?

Genau. Wir arbeiten derzeit an einem gemeinsamen Plan, der die verschiedenen Formate und Themenfelder definiert, um eine Verstetigung unserer Kooperation zu erreichen. Wir haben alle erkannt, wie wichtig es ist, regelmäßig im Gespräch zu bleiben - dies auf allen Ebenen: der Präsidenten und Regierungschefs genauso wie auf Expertenniveau. Regelmäßige Konsultationen sind nötig etwa zu Sicherheitsfragen, zur Unterstützung der Länder des westlichen Balkans sowie der Ukraine und Moldau auf ihrem Weg in die EU. Auch im Bereich Energie gibt es Bestrebungen, stärker zu kooperieren. Das Potenzial für eine Vertiefung ist in diesem Bereich riesig: es betrifft die Energieproduktion gleichermaßen wie die Bereitstellung von Technik und Expertise beim Ausbau von Netzen und Pipeline-Infrastruktur.

Sie haben in diesem Juni die Kooperation für bessere Arbeitsbedingungen und besseren sozialen Schutz rumänischer Beschäftigter auf Ministeriumsniveau in der Residenz vorgestellt. Ist das ein Beispiel?

Das ist ein gutes Beispiel, aber diese Zusammenarbeit gibt es schon länger: Nach den unschönen Aufdeckungen von Ausbeutung und dem Vorenthalten von Rechten für rumänische Arbeitskräfte in Deutschland, insbeson-dere in der Fleischwirtschaft, haben beide Staaten sehr schnell reagiert und beschlossen, eine intensivierte Zusammenarbeit einzugehen, wobei systematisch Defizite adressiert werden. Das war 2021. Seither treffen sich die Ministerien beider Länder - meist virtuell - im Rhythmus von zwei-drei Monaten. Bei diesem Austausch geht es z.B. darum, wie man Beschäftigte aus Rumänien besser über ihre Rechte unterrichtet, idealerweise, bevor sie nach Deutschland kommen. Es geht darüber hinaus um soziale Absicherung: Wir haben festgestellt, dass es Lücken beim Rentenanspruch oder beim Gesundheitsschutz gibt, wenn Arbeitskräfte nur temporär in Deutschland tätig sind. Insoweit wurde schon eine ganze Menge erreicht, aber der Prozess läuft weiter.

Wie sieht es mit der wirtschaftlichen Kooperation im Bereich Rüstung aus?

Vor dem Hintergrund der russischen Aggression ist es eine absolute Notwendigkeit, dass wir innerhalb der EU die Rüstungskapazität stärken. In den letzten Jahren haben wir vielleicht zu sehr auf die sog. „Friedensdividende“ nach Ende des Kalten Krieges gesetzt und gehofft, größere Verteidigungs- und Rüstungsausgaben seien nicht mehr nötig. Putin hat uns eines anderen belehrt. Ist die EU schwach, wird Russland das ausnutzen. Wir müssen die Rüstungskapazität gemeinsam ausbauen. Rumänien und Deutschland sind hierzu mit Blick auf eine Reihe von Themenfeldern im Gespräch. Über die gerade laufenden Bereiche kann ich im Detail nicht viel sagen, aber sie sind auf gutem Wege. Sie werden ein starkes Element der Verteidigung Europas sein, wenn wir hier hoffentlich bald Ergebnisse sehen.

Was kann Rumänien hierzu Deutschland bieten - und umgekehrt?

Rumänien hatte früher eine starke Rüstungsindustrie, hat teilweise noch Fabrikanlagen, wo produziert werden kann, Fachkräfte und Rohstoffkapazitäten.  Deutsche Unternehmen haben ein gutes Know-how, Erfahrung und sind in der Lage, durch gemeinsame Projekte für einen Technologietransfer zu sorgen, so dass Rumänien seine Kompetenzen in diesen Feldern stärkt. Hinzu kommt, dass wir politisch „von einem Blatt singen“, dass wir uns einig sind. Das ist in Rüstungsfragen genauso wichtig wie die technischen Voraussetzungen.

Auf der kürzlich veranstalteten Konferenz der Europäischen Akademie Berlin wurde sehr deutlich gesagt, dass die Ukraine den Krieg nicht verlieren darf, zu weitreichend wären die Konsequenzen für Europa. Deshalb fordern manche Experten - auch deutsche -, dass sich die NATO-Länder schnellstmög-lich einigen, für die Ukraine auch weitreichende Waffen freizugeben. Deutschland sendet derzeit aber ganz andere Signale: Kanzler Scholz sperrt sich nach wie vor dagegen, den Marschflugkörper Taurus an die Ukraine zu liefern. Deutschland hat die Ukraine-Hilfe von acht auf vier Milliarden Euro reduziert. Könnte dies andere Länder zu ähnlichen Entscheidungen bewegen? Wie lässt sich diese Haltung motivieren?

Sie haben völlig recht, die             Ukraine darf diesen Krieg nicht verlieren. Sie muss in der Lage sein, sich erfolgreich gegen die russische Aggression zu verteidigen. Es darf im 21. Jahrhundert nicht möglich sein, dass ein Land unter Berufung auf ein vermeintliches Recht des Stärkeren andere Länder überfällt. Deswegen gibt es keinen Zweifel, dass Deutschland die Ukraine unterstützen wird, solange es notwendig ist. In Deutschland können wir durchaus stolz darauf sein, dass wir nach den USA mit Abstand der stärkste Unterstützer der Ukraine sind, sowohl mit militärischen als auch sonstigen Hilfsleistungen. Das zeigt, dass Deutschland ein zentraler Partner ist, das wird von den ukrainischen Freunden auch stets hervorgehoben.
Zu den von Ihnen angesprochenen Kürzungen - ob da jetzt vier oder acht Milliarden Euro in der Haushaltsplanung von 2025 eingestellt sind, wird am Ende vom Ergebnis her aus meiner Sicht wenig Unterschied machen, weil es andere zusätzliche Finanzierungsideen gibt. So gibt es etwa den Plan, dass man die Windfall-Profits von eingefrorenen russischen Vermögen in westlichen Staaten nutzt, um Kredit aufzunehmen - das hat man im G7-Rahmen besprochen - und auf diese Weise 50 Milliarden Euro generieren kann.

Deutschland wird weiterhin der EU-Staat sein, der am meisten für die Ukraine tut. Es gibt also keinen Anlass für andere Staaten zu sagen, dann kürzen wir auch.

Es ist auch absolut notwendig, die Ukraine weiterhin gemeinsam zu unterstützen, weil Russland von seinen aggressiven Plänen nicht ablassen wird - und die beschränken sich nicht auf den Osten der Ukraine. Russland ist in seinem Expansionsdrang nicht gesättigt. Putin verfolgt erklärtermaßen die Vision, die Einflusszone der früheren Sowjetunion wieder herzustellen. Das ist nichts, was wir akzeptieren können und entsprechend ernst ist die Lage.

Was die weitreichenden Waffen betrifft: Deutschland hat von Anfang an den Ansatz vertreten, dass wir Entscheidungen im Konzert mit den anderen großen Akteuren treffen. Als es um die Kampfpanzer ging - auch deutsche Kampfpanzer wurden in großer Zahl an die Ukraine geliefert -, war es für die Bundesregierung wichtig, dies in Übereinstimmung mit den USA, Großbritannien und Frankreich zu tun. Im Moment läuft die Frage, inwiefern man die Waffensysteme, die weit in russisches Kernland hineinreichen könnten, zum Gebrauch freigeben soll. Auch hierzu stimmt sich Deutschland mit seinen Alliierten eng ab.

Die andere Frage ist, welche Waffensysteme geliefert werden sollen. Auch da gibt es in der Praxis eine Reihe komplexer Fragen, die zu bedenken sind. Das hat viel damit zu tun, in welchem Maße eigene Soldaten beteiligt sein müssen, welche Kapazitäten für die Absicherung des NATO-Territoriums eine Rolle spielen und welche Wirkungen eine Maßnahme hätte. Ich habe aber volles Vertrauen in die politisch Verantwortlichen, dass alle Entscheidungen nach bestem Wissen und Gewissen und im Einvernehmen mit den Alliierten getroffen werden.

Zum Schluss noch ein erfreulicheres Thema: die Einführung des deutsch-rumänischen Freundschaftstages in diesem Jahr, der fortan am 21. April begangen wird. Was bedeutet das aus Ihrer Sicht?

Der deutsch-rumänische Freundschaftstag ist ein ganz wunderbarer Beleg dafür, wie eng und vertrauensvoll unsere Beziehungen sind. An dieser Stelle ein ganz großes Dankeschön an das rumänische Parlament für diese Entscheidung und insbesondere an die beiden Abgeordneten, die diese Idee hatten und im Parlament realisiert haben: Ovidiu Gan] und Silviu Vexler. Der 21. April wird für uns immer ein Anlass sein, dankbar zu sein, dass wir Rumänien als engen Partner und Freund an unserer Seite haben. In Zeiten der Krisen und Herausforderungen wie jetzt ist dies umso wichtiger!

Vielen Dank für das interessante Gespräch. Ihnen und allen Deutschen herzlichen Glückwunsch zum Tag der Deutschen Einheit!