Der Fall des Weltklasse-Handballers Hansi Schmidt (II)

Dr. Heinz Günther Hüsch über Härtefälle beim Freikauf und Bleibehilfen für Rumäniendeutsche

Dr. Heinz-Günther Hüsch, Jahrgang 1929, ist Rechtsanwalt und war zwischen 1968 und 1989 der bundesdeutsche Verhandlungsführer im Freikauf der Rumäniendeutschen. Seine Verhandlungspartner auf rumänischer Seite waren hohe Offiziere der Securitate. In den mehr als zwanzig Jahren seiner Tätigkeit hat Dr. Hüsch sechs Ausreisevereinbarungen mit Rumänien getroffen. Wichtigste Bestandteile aller Vereinbarungen waren, dass sich Rumänien verpflichtete, in einem bestimmten Zeitraum – in der Regel waren es fünf Jahre – eine festgelegte Zahl von Deutschen ausreisen zu lassen, und dass sich die Bundesrepublik Deutschland verpflichtete, für jeden Aussiedler einen genau festgelegten Ablösebetrag zu bezahlen. Im Folgenden drucken wir Teil 2 des im Mai 2012 von ErnstMeinhardt geführten Gespräches mit Dr. Hüsch, in dem es um Härtefälle allgemein und um den Fall des deutschen Weltklasse-Handballers Hansi Schmidt im Besonderen ging.

War Hansi Schmidt Ihr prominentester Härtefall?

Nein, das kann man nicht sagen. Hansi Schmidt war der auffälligste unter den prominenten Fällen – wegen seiner ungeheuren Bekanntheit und weil Genscher und in der Folge Kinkel in so starkem Maße Wert darauf legten, dass der Fall gelöst wird. Ich bin mir sicher: Ohne Genscher wäre es nicht gelaufen.

Ist in jedem Härtefall eine so beträchtliche Summe geflossen wie im Fall Schmidt?

Nein, das war ganz unterschiedlich. Wir haben in einer bestimmten Phase, als wir immer wieder von den Schmiergeldzahlungen hörten, folgenden Weg eingeschlagen: Ich habe meinem Auftraggeber gesagt: „Lasst uns doch mal versuchen, ob etwas über Bestechung läuft. Lasst uns ein paar nicht lösbare oder nicht gelöste Fälle heraussuchen und dann erklären, dass wir bereit wären, dafür auch was Besonderes zu bezahlen. Aber nur als Versuch, nicht um das zur Regel zu machen. Und das dann als Argument zu benutzen: Also, es läuft doch, was ihr bestreitet: Ausreisen gegen Schmiergeld.“ Auf diese Weise haben wir acht oder zehn oder fünfzehn Fälle gelöst mit jeweils deutlich höheren Beträgen, die aber von Fall zu Fall einzeln ausgehandelt wurden.

Das Schmiergeldunwesen hat in Rumänien vor allem in den 1980er Jahren um sich gegriffen. In welcher Weise haben Sie mit Ihren rumänischen Verhandlungspartnern darüber gesprochen?

Die Frage der zusätzlichen Zahlungen auf örtlicher Ebene, also der Schmier- oder Bestechungsgelder, ist in jeder meiner Verhandlungen thematisiert worden. Das können Sie in den Protokollen nachlesen. Wir standen nur vor folgendem Problem: Es gab darüber Nachrichten. Sie waren aber nicht alle verlässlich, sie waren nicht vollständig, und es gab keine Beweismittel. Die in Rumänien bezahlt hatten, schwiegen. Viele schweigen auch heute noch. Die Rumänen haben immer gesagt: „Dann sagen Sie uns doch bitte die Einzelheiten. Wer war das? Wann war das? Wo war das? Wie viel wurde gezahlt?“ Das war eine Forderung, die berechtigt war. Ich hätte als deutscher Jurist dasselbe gefragt. Mit meinem Auftraggeber haben wir dann abgewogen, ob wir Ross und Reiter nennen oder nicht. Wir kamen zu dem Schluss, es nicht zu tun. Unsere Überlegung war: Wir können nicht überblicken, dass, wenn wir Ross und Reiter nennen, wir nicht einen anderen Fall damit stören, also dass dann von rumänischer Seite gesagt wird: „Wenn XY das so gesagt hat, dann dürfen seine Eltern, seine Kinder, seine Verwandten nicht ausreisen.“ Deshalb haben wir davon abgesehen. Ich habe dringend geraten, wenn man es trotzdem tun wolle, dass man dann die Zustimmung der Beteiligten haben müsse. Also, über lange Zeit ist entschieden worden: „Nein, wir nennen Ross und Reiter nicht.“ Zu einem späteren Zeitpunkt habe ich eine solche Liste mal übergeben. Sie enthielt vier oder fünf solcher Fälle, in denen wir Ross und Reiter nannten: Umstände, Höhe, Zahlen. Zuvor haben wir, wie oben geschildert, die Zustimmung der Betroffenen eingeholt.

Welche Folge hatte die Übergabe dieser Liste?

Einige Zeit später kam die Mitteilung aus Rumänien, der und der sei verurteilt worden. Das hat wohl auch in einer rumänischen Zeitung gestanden. Wir waren uns aber darüber einig, dass wir dem nicht glauben. Wir hatten mit der Zentrale der Securitate zu tun. Wenn es tatsächlich ein offizieller Mittelsmann der örtlichen Securitate war – die gab es ja auch –, dann waren diese örtlichen Stellen auch mächtig genug, die Nachricht in die Presse zu bringen, der und der sei verurteilt worden, in der Annahme, das wird bei uns bekannt. Unser genereller Eindruck war: Der Umfang der bekannt gewordenen Schmiergeldzahlungen lässt vermuten, dass offizielle Stellen beteiligt waren, zumindest Personen mit offiziellen Funktionen, die es geduldet haben oder ihre Hand schützend darüber hielten. Wir haben aber auch Anlass zu der Annahme, dass kriminelle Trittbrettfahrer sich des Systems bemächtigt  und versucht haben, auch abzukassieren. Denn die Schmiergeldzahlungen blieben ja nicht geheim. Darüber wurde gesprochen – auch in Rumänien. Aber da es über dieses Kapitel keine absolut verlässlichen und beweiskräftigen Unterlagen gibt, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, ist das schwer zu bewerten. Was zu lesen ist von 200 bis 300 Millionen DM, das halte ich für überzogen.

War denn genau definiert, was ein Härtefall ist?

Unter Härtefällen muss man sich ein Konglomerat von ganz unterschiedlichen Fällen vorstellen. Es waren Ausreisewünsche, die bis zu dem jeweiligen Zeitpunkt von der rumänischen Seite nicht bewilligt wurden, die in der Regel sogar ausdrücklich abgelehnt worden waren. Es gab im Laufe der Zeit eine Reihe von besonderen Härtefällen, für die wir auch besondere Leistungen erbracht haben, zum Teil sehr hohe. In „Recuperarea“ (Florica Dobre, Florian Banu, Luminiţa Banu, Laura Stancu: „Acţiunea ‚Recuperarea‘ – Securitatea şi emigrarea germanilor din România, 1962 – 1989) wird unter anderem die Beschaffung einer Dentaleinrichtung erwähnt. Diese Dentaleinrichtung ist für die Begleichung eines dieser schwierigen Härtefälle von uns geliefert worden. Ich glaube mich erinnern zu können, dass sie zwischen 90.000 und 100.000 DM gekostet hat. 

Ich habe immer wieder Aufträge bekommen, mich um Sonderfälle zu kümmern. Mal wurden sie Härtefälle, mal Sonderfälle genannt. Die Sonderfälle kamen von verschiedenen Stellen. Oft handelte es sich um Interventionen von Politikern, namentlich von Ministern. Es war eingerissen, dass bei Minister- und Politikerbesuchen in Rumänien Listen übergeben wurden, auf denen 200, 300, 400 Personen standen. Die Listen wurden übergeben in der irrigen Annahme, man würde damit Ausreisen mit herbeiführen. Tatsächlich war das nicht der Fall. Durch solche Listen wurde keiner einzigen Person zusätzlich die Ausreise erlaubt. Die Ausreisezahlen waren abstrakt definiert. Wer darunter fiel, hatte Glück, wer nicht darunter fiel, hatte Pech. So kam es auch, dass aus diesen unzähligen Listen fast nie jemand ausreiste.

Das führte unter den Ministern und Politikern zur Beunruhigung, weil die Herren natürlich Erfolg sehen wollten, was ich als Abgeordneter des nordrhein-westfälischen Landtags, später des Deutschen Bundestags verstehen konnte.
Dann gab es aber auch Härtefälle, die durch Presseveröffentlichungen bekannt wurden. Die BILD-Zeitung nahm sich schon mal einzelner Fälle an. Und dann gab es Fälle, die von der Wirtschaft dem Ministerium vorgetragen wurden. Es waren unterschiedlichste Fälle, in der Regel solche, die bis dahin nicht nur nicht gelöst wurden, sondern deren Lösung die rumänische Seite verweigert hatte.