Der „Ladykiller“ oder der Sieg der schweigenden Mehrheit?

Ein paar Gedanken zu den Wahlen in den USA

Libertas, Göttin der Freiheit, Symbol der Demokratie, mit sieben Strahlen für sieben Kontinente und Weltmeere...

Donald Trump trumpft auf | Foto: Julia Demaree Nikhinson/AP/dpa

Haben die Demokratie in den USA „groß“ gemacht: George Washington, Thomas Jefferson, Theodor Roosevelt und Abraham Lincoln, Mount Rushmore National Memorial

Die Sterne der USA oder bloß den eigenen Stern über die Welt erstrahlen lassen wollen... | Symbolfotos: Pixabay

Die Sterne der USA oder bloß den eigenen Stern über die Welt erstrahlen lassen wollen... | Symbolfotos: Pixabay

6. November 2024. 7.00 Uhr am Morgen. In den Medien gibt es nur eins: die Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten. Ungehalten, politisch inkorrekt, aggressiv, verurteilt, unberechenbar, angeschossen. Der Rotschopf wird im Januar erneut Einzug ins Weiße Haus halten. Seine Gegnerin hält sich an einem seidenen Faden fest und verzögert den traditionellen Diskurs, in welchem sie dem Sieger gratulieren muss. Doch auch dieser reißt schnell. Keine ganze Stunde später ist allen klar: Donald Trump hat die Wahlen gewonnen. In Europa schüttelt man den Kopf.

„Blue collars“ und „das System“

Man schüttelt den Kopf und muss zugeben, dass das Weltbild diesseits des Ozeans doch anders aussieht. Wenigstens in der eigenen Wahrnehmung. Man muss auch zugeben, dass das, was man sich erwünscht hat, den eigenen Bedürfnissen entsprach und nicht unbedingt den Erwartungen des amerikanischen Wählers. Und trotzdem hat die amerikanische Demokratie noch einmal ihre Stabilität unter Beweis gestellt. In Europa hört man ungern, dass die USA die älteste funktionierende Demokratie der Welt ist und führt gerne die griechische Demokratie ins Feld, die aber, wie wir alle wissen, alles andere als wirklich demokratisch war. Zugleich fällt es uns Europäern manchmal schwer, zuzugeben, dass das amerikanische demokratische System in seiner über 250-jährigen Geschichte trotz vieler Fehler, mancher autokratischer zeitweiliger Erscheinungen und etlicher blinder Flecken nie wirklich Synkopen nachzuweisen hat. Anders als unsere viel jüngere europäische Demokratiegeschichte, wo die eigenen demokratischen Kontrollmechanismen vor Diktaturen im 20. Jahrhundert ziemlich kläglich versagt haben. Und trotzdem schüttelt Europa den Kopf vor Trumps Sieg, benutzt angesichts der Zukunft der Vereinigten Staaten, hinter vorgehaltener Hand Synonyme für Begriffe wie „Diktatur“ und betrachtet überheblich das amerikanische Volk als dumm. Begriffe, die man nie für zum Beispiel Ungarn, Polen oder sogar manche deutsche Bundesländer in Folge von Wahlen benutzen würde. „Wie konnte er nur siegen? Wie konnte man nicht die Wahrheit erkennen und sich für ihn entscheiden? Wie blind kann man sein, um so zu wählen?“, bleiben die meist gestellten Fragen auf dieser Seite des Ozeans. 

Seit dem 6. November sind Ströme an Tinte geflossen, die die Wahlergebnisse in den Staaten zu erklären versuchen. Die Erklärung liegt aber auf der Hand. Hat Trump 2016 und jetzt 2024  nur gesiegt, weil seine Gegner Frauen waren? Ist er der „Ladykiller“ der amerikanischen Politik? Sind die Amerikaner noch immer so konservativ, dass sie keine Frau an die Spitze des Landes wählen würden? Ich würde alle diese Fragen verneinen. Trump ist mit seinem Diskurs gegen „das System“ angetreten. Gegen das verkalkte Monster, das in Zementschuhen steckend mit der Zeit nicht schritthalten kann. Von diesem Ansatz her muss man auch sein „Make America great again“ verstehen. Sinnbildlich dafür holt er Elon Musk an seine Seite. Er erklärt in seinem Siegesdiskurs, wie er einen wichtigen Investor 45 Minuten am Hörer warten lässt, um die Landung der Muskschen Rakete zu verfolgen. Zugleich hat er diese Nachricht über die letzten vier Jahre weg von den „white collars“ zu den „blue collars“ getragen. Zu denjenigen, die mit dem Blick in die Brieftasche wählen gehen. Er steigt von den Höhen des Trump Towers hinunter in die kleinen und mittelgroße Orte und redet von Wirtschaftsmaßnahmen. Es ist ihm auch klar, dass er seine Wählerschaft mit den traditionellen Medien nicht erreicht und findet sie dort, wo sie sind: online. Wie wichtig die Onlinemedien in dieser Wahlkampagne waren, werden mit Sicherheit kommende Studien nachweisen. Auf der anderen Seite konnten sich die Demokraten von den klassischen Pfaden nicht loslösen. Und wie überrascht war man dann, als man feststellen musste, dass Kamala Harris in fast allen demografischen Gruppen unter den Ergebnissen von Biden 2020 lag, während Trump zum Beispiel im ländlichen Raum von 15 Prozent Zuspruch auf 30 Prozent gestiegen ist. Die Bilder des angeschossenen, blutverschmierten Trump mit erhobener Faust und sein „Fight, fight, fight“ haben mehr bewirkt, als alle Pop- und Hollywoodstars, die für Kamala die Werbetrommel geschlagen haben. 

Fragwürdige Umfragen?

Eine weitere Gemeinsamkeit haben die Wahlen von 2016 mit denen von 2024 aufzuweisen. In beiden Fällen zeigten die Meinungsumfragen ein Kopf an Kopf Rennen an. Die Wahlergebnisse zeichneten dann aber ein ganz anderes Bild. In beiden Fällen klare und hohe Siege für Trump: Trump vs. Clinton 304 Wahlmänner zu 227 und Trump vs. Harris 312 zu 226. Es ist bekannt, dass in den Staaten die großen Medienkonzerne auch politisch Farbe bekennen. Zugleich sind es auch diese, die die relevanten Meinungsumfragen durchführen oder in Auftrag geben. Sind diese so unprofessionell, dass sie doch so weit neben der Wirklichkeit liegen? Oder versuchten sie mittels der veröffentlichten Ergebnisse die Wahl zu beeinflussen? Beides kann der Fall sein. Doch viel eher würde ich sagen, dass die schweigende Mehrheit in diesen Umfragen nicht berücksichtigt wurde. Eben weil sie schweigt. Den gleichen Fehler haben auch die Demokraten in ihrer Wahlkampagne gemacht und standen am Ende mit offenem Mund da, als diese schweigende Mehrheit in der Wahlkabine nicht mehr schwieg. Natürlich kann man sagen, dass Biden für Kamala früher das Feld freigeben hätte können, natürlich kann man sagen, dass Trump ein inkohärenter populistischer Showman ist, der nicht nur den Mund zu voll nimmt, sondern oft schneller redet als er denkt. Und alles mag auch stimmen. Doch die Wahlergebnisse sprechen eine andere Sprache: nicht nur, dass er die Wahlen gewonnen hat, seine Partei konnte sich auch noch die Mehrheit in beiden Kammern des Parlaments sichern. Ausgehend von der Tatsache, dass die Republikaner auch die Mehrheit im Obersten Gerichtshof haben, steht in den nächsten vier Jahren der Trump-Politik, welche auch immer diese sein wird, nichts im Wege. Und dazu wurde er demokratisch von dem amerikanischen Volk beauftragt. Eine Pille, die wir als Europäer schlucken müssen, egal wie bitter sie manchen schmeckt. 

„Great again“?

In überschwänglicher Weise (Netanyahu, Medwedew, Orban) oder mit leicht zurückgehaltener Begeisterung (Rutte, Duda) oder einfach politisch höflich (die meisten) wurde Trump zu seinem Sieg gratuliert. Die Positionierungen in der europäischen Politik sind genau so verschieden wie die Gratulanten und die Politik, die sie verkörpern. In welche Richtung das Zünglein an der Waage ausschlagen wird, ist ungewiss. Andererseits versucht die Biden-Verwaltung bis Januar, dem offiziellen Amtsantritt, die Weichen so festzulegen, dass Trumps Spielraum nach Möglichkeit eingegrenzt wird. Mit einem Auge auf sein vorangehendes Mandat, darf man skeptisch sein, dass dieses gelingen wird. Zugleich kann sich noch niemand wirklich aus dem Fenster lehnen und absolut vorhersagen, was sein Mandat auf interner und internationaler Ebene für Folgen haben wird. Auch einfach weil niemand erklären kann, was Trump meint wenn er „great again“ sagt. Meint er damit sein voriges Mandat oder irgendeine andere Epoche der amerikanischen Geschichte oder einfach nur eine Fata Morgana, die für ihn Wirklichkeit werden könnte (dafür meine ich aber, dass er zu sehr realistischer Geschäftsmann ist). Eines ist klar: Europa wird einen Weg finden müssen, um mit Trump und einer möglichen, von ihm gewünschten „historical legacy“, zu arbeiten und zu leben. Zugleich aber dürfte man das Vertrauen in die Selbstregelungsmechanismen der amerikanischen Demokratie – dass sie funktionieren, zeigt ihre lange Geschichte – nicht verlieren.  

Genauso sollte man das Vertrauen zur europäischen Demokratie nicht verlieren. Zu viele sehen in dem Sieg des Republikaners eine mögliche Legitimierung national-populistischer Tendenzen auf europäischer Ebene. Dabei wird vergessen, dass die meisten dieser politischen Strömungen in Europa ihre Wahlergebnisse vor dem 6. November eingefahren haben. Zugleich dürfte hier maximal ein Einfluss auf der diskursiven Ebene zu befürchten sein. Diesbezüglich sollte man sich in Europa weiterhin warm anziehen, um dem kalten Moskauer Wind standzuhalten, der mit Sicherheit mehr bewirken will und kann, als die manchmal zum Tornado aufgebauschte kalifornische Brise. Zugegeben eine Brise, die so manchen Abfall oder Schädling mit sich bringen kann (und wahrscheinlich auch wird), die aber doch von vertrauenswürdigen Wetterkontrollmechanismen am Zügel gehalten wird.